Zeitgeschichte
Der Dresscode des Massenmörders

Warum Hitler die Krachlederne liebte und wer ihm Peitschen schenkte: Esther Sünderhauf hat den Look des Diktators erforscht.

27.05.2016 | Stand 16.09.2023, 6:45 Uhr
Gauleiter Julius Streicher (l.) neben Adolf Hitler: Der „Führer“ 1923 in Nürnberg beim „Deutschen Tag der.NSDAP“, mit Trenchcoat über der Kniebundhose und mit Peitsche. −Foto: Bayer. Staatsbibliothek/Bildarchiv

Adolf Hitler ist gründlich ausgeleuchtet. Ein Heer von Historikern hat sich an ihm abgearbeitet. Diäten, Arzneimittelkonsum, Sexualität: Nichts, was Experten verschiedenster Disziplinen nicht seziert hätten. Und immer noch wollen wir wissen, wer dieser Mann war und wie es zur großen Katastrophe des 20. Jahrhunderts kommen konnte. Esther Sophia Sünderhauf nähert sich dem Phänomen jetzt aus unerwarteter Richtung: Die Kunsthistorikerin untersucht den Dresscode des Massenmörders.

Kleider machen Leute. Herkunft und innere Haltung: Im Äußeren werden sie offenbar. Was also sagt uns Hitlers Vorliebe für die Krachlederne in den 1920er Jahren? Sein später Hang zu weiten Mänteln? Und die Hundepeitsche aus Nilpferdleder, die eine Zeit lang ein zuverlässiges Accessoire ist? Esther Sophia Sünderhauf, Leiterin der zum Münchner Stadtmuseum gehörenden Von Parish Kostümbibliothek, hat den Look des Diktators gründlich studiert.

Sein pomadisiertes Haar, das markante Bärtchen und die Lederhose erwähnt die Hitler-Literatur zwar immer wieder, aber: „Nirgendwo wird sein Erscheinungsbild explizit untersucht.“ Das Thema hat auf Sünderhauf gewartet. Die Wissenschaftlerin stützt sich unter anderem auf Zeitzeugenberichte. Viele Historiker lehnen diese Quellen ab, weil die Zeugen befangen sein könnten und sich meist erst nach 1945 äußern. „Diese Haltung teile ich nicht“, stellt Sünderhauf klar.

„Um Mode geht es hier nicht.“Esther Sophia Sünderhauf

Eine Basis ihrer Studien ist das Heinrich Hoffmann-Archiv in der Bayerischen Staatsbibliothek. Hitlers „Leibfotograf“ lichtete den Führer ab 1923 tausendfach ab – 13 000 seiner Aufnahmen sind erhalten. Sünderhauf stieß bei der Recherche auf überraschende Details, bis hin zu Schilderungen von Hitlers Nachtwäsche, Hüten und Brillen. Müssen wir wissen, was der Menschenverächter im Kleiderschrank hatte? „Um Mode“, sagt Sünderhauf, „geht es hier nicht. Sondern um nicht-verbale Kommunikation.“ Auch das Sprechen ohne Worte hat Hitler bestens beherrscht.

In Illustrierten und Journalen, später auch in Wochenschauen ist zu sehen, wie sich Hitler, einer der meistfotografierten Menschen seiner Zeit, bis ins Detail inszeniert. Sünderhauf analysiert seine Rollenspiele und belegt in Fotografien bis ins Jahr 1945, wie sich Kleidung und Karriere deckungsgleich wandeln.

Der kleine Adolf zeigt sich ordentlich, in kurzer Lederhose und mit grünem Hut, und hält auf adrettes Äußeres. Der Anzug des jugendlichen Hitler mag abgetragen sein, aber die Bügelfalte sitzt korrekt. Eine frühe Schwärmerei prägt möglicherweise ein ambivalentes Verhältnis zur Uniform: Stefanie Isak, eine Jüdin aus wohlhabendem Haus, hat kein Auge für Hitler; sie lässt sich von Offizieren umwerben. Hitler wird seine bescheidene Herkunft bewusst. „Eitle Hohlköpfe“, distanziert er sich von der Offiziersklasse, in einem Gespräch mit seinem Freund August Kubizek.

Aus dem ordentlichen Studenten wird ein Lump

Der junge Mann lebt bescheiden. Er bewirbt sich 1907/1908 an der Kunstakademie Wien, wird abgelehnt, will Baumeister werden und legt sich ein gediegenes großstädtisches Benehmen zu. Jeden Abend breitet er die Hose unter seiner Matratze aus, damit die Bügelfalte am Morgen tadellos sitzt. Ab und an tut er einen Blick in gehobene Kreise. Nach einem Abend bei einer Fabrikantenfamilie schildert er, wie unbehaglich es ihm dort wegen seines ärmlichen Aufzugs war. Das Erbe seines Vaters ist inzwischen fast verbraucht.

Hitler ist 20, er malt Postkarten und bringt sich mehr schlecht als recht durch. Er muss sich Schuhe borgen, weil die Sohlen seiner eigenen durchgelaufen sind. Sein blauer Anzug hat durch Desinfizierung im Obdachlosenheim einen Stich ins Lila bekommen. Von einem jüdischen Altkleiderhändler besorgt er sich einen Frack mit viel zu langen Schößen. Sünderhauf: „Er schaut erbärmlich aus und unterscheidet sich in Nichts von den armen Juden Wiens.“

Aus dem ordentlichen Studenten ist ein Lump geworden. Ist das der Grund, warum er später seine Vergangenheit in Wien geheim hält? Damit niemand den „Führer“ des Dritten Reichs als Nobody sieht?

Als 1913 der Rest des Erbes an den Volljährigen ausbezahlt wird, kauft sich Hitler als Erstes einen Mantel. Er zieht nach München, ist Untermieter beim Herrenschneider J. Popp und lebt das Leben eines Bohemiens. Und: Er verbringt viel Zeit mit Körperpflege, als wolle er die Wiener Zeit abwaschen. Als er sich 1914 zum Militär meldet, lässt er bei seinem Vermieter sauber gestapelte und säuberlich gelistete Wäschestapel zurück. Ab dieser Zeit, so Sünderhauf, hat er immer dienstbare Geister um sich.

Ein Interview mit Esther Sophia Sünderhauf lesen Sie hier

Hitler erlebt einen raschen Aufstieg in der Partei. Er tritt Ende 1919 bei und übernimmt 1921 bereits den Vorsitz. Dann legt er sich auch äußerlich ein markantes Detail zu: Er stutzt seinen Bart. Wie immer, wenn er eine neue Karrierestufe erreicht, verändert er seinen Look. Ein Foto von 1922 zeigt ihn erstmals mit Kleinbart auf der Oberlippe. Die Mode, mit der sich Hitler optisch auch von der Kaiserzeit und ihren lang gezwirbelten Bartspitzen absetzt, findet sich in keinem der einschlägigen Modejournale der Zeit. Ein Vorbild gibt es allerdings: Charly Chaplin, den Hitler verehrt, trägt seinen Schnurrbart bereits 1917 ultraschmal. „Mein Bart wird eines Tages Mode machen“, zitiert Sünderhauf den Nazi.

Hitler nennt sich Künstler und Schriftsteller. Er trägt einen langen Mantel und Schlapphut. Mitte der 1920er Jahre findet er Zugang zum Großbürgertum. Er verkehrt etwa bei der Pianofabrikanten-Familie Bechstein, und die Dame des Hauses findet Gefallen an ihm. Frauen ihres Schlags sind es, die Hitler mit Geld, Süßigkeiten und Hundepeitschen aus Nilpferdleder beschenken.

„Heinrich Hoffmann hat Hitler mit seinen Fotos erst geschaffen.“Esther Sophia Sünderhauf

Mitte der 1920er wirkt Hitler in seinem blauen Anzug eher wie ein kleiner Angestellter. Bis 1933 fühlt er sich in formeller Kleidung unwohl. Der gesellschaftliche Schliff hinkt dem schnellen politischen Aufstieg noch hinterher. Helene Bechstein bewegt den Mann, der auf glanzvollem Parkett wenig trittsicher ist, zu einem neuen Stil. Sie kauft ihm einen Smoking und halbhohe Lackstiefel.

Hitler bleibt Zeit seines Lebens ein kleiner Mann, der sich groß gibt. In seinem Körper fühlt er sich unsicher, seine Körpersprache auf einem Foto – hohlbrüstig, kurzbeinig, mit schlaffer Muskulatur – spricht Bände. Und Heinrich Hoffmann wird sein „Leibfotograf“. Jedes einzelne Bild wird vor der Freigabe vom „Führer“ zensiert. Studio-Aufnahmen zwischen 1923 und 1939 zeigen, wie der Machtergreifer imponierende Gesten und einen gültigen Kleidungsstil probte. Nach Äußerungen des Fotografen hatte Hitler immer Angst, sich lächerlich zu machen. Im Hoffmann-Archiv finden sich unter den 13 000 Aufnahmen auch die Bilder, die der Diktator abgelehnt hat. Gerade die, sagt Sünderhauf, sind interessant, und: „Hoffmann hat Hitler mit seinen Fotos erst geschaffen.“

Der Österreicher zeigt sich den Bayern als einer der ihren

Hitler, von reichen Gönnerinnen während der Haft in Landsberg mit Süßem verwöhnt, ist dicker geworden; der 1,75-Meter-Mann wiegt nicht mehr 72, sondern 78 Kilo, als er 1924 entlassen wird. Hitler wird Bayer. Er geht bevorzugt in Lederhose, kombiniert mit Leinenjanker oder kariertem Jackett, darüber den Trenchcoat – eine Art Räuberzivil. Die Tracht wird so etwas wie eine Heimatlizenz. Der Österreicher zeigt sich den Bayern als einer der ihren und dient sich so dem Fußvolk seiner Partei an.

Nach der Haftentlassung erprobt Hitler die staatsmännische Geste. Ein Foto von 1925 zeigt ihn im Lehnstuhl, mit Schäferhund zu seinen Füßen und Bismarck-Porträt im Hintergrund. Von 1922 bis 1933 ist eine Hundepeitsche sein Dauer-Begleiter: Herrschaftsattribut und Machtinstrument, eine materialisierte Drohgebärde.

1927 entsteht eine Art Uniform: SA-Hemd mit Krawatte, Hakenkreuz-Armbinde, kurze Lederhose, ab 1929 kommen Breeches mit Stiefeln, Koppelgürtel und Schulterriemen dazu. Auch dieses Outfit probiert der NSDAP-Chef erst im Fotostudio an.

Die Hände verkrampft, aber hoch erhobenen Haupts

Hitler wird wohlhabend. Die Tantiemen aus „Mein Kampf“ sprudeln, der „Führer“ legt sich – auch aufgrund des zeitweiligen Uniformverbots – einen staatsmännisch-zivilen Stil zu. Er richtet seinen Dresscode wieder neu aus, diesmal auf das Ziel, in Deutschland die Macht zu übernehmen. Er wählt ein neues Outfit: mehrere dunkle Anzüge und gleich zwei weiße Westen. Die Schneiderrechnung von 1931 beläuft sich auf 1340 Mark. Ein Foto von der Reichspräsidentenwahl in Berlin 1932 zeigt Hitler mit verkrampften Händen dastehen – aber hoch erhobenen Haupts.

Der Nazi meidet jetzt die Lederhose und kleidet sich sportlich-zivil. Der Trenchcoat gehört zu seiner Garderobe, außerdem Knickerbocker, Lederkappe und Breeches – auch wenn Hitler nie auf einem Pferd saß. Mit dem sportlichen Look setzt er sich ab vom Erscheinungsbild der Weimarer Republik. Hitler präsentiert sich als Pionier, mobil und modern, als Mann in ständiger Bewegung: im offenen Auto, im Zug, im Flugzeug. Als „Bewegung“ bezeichnet sich ja auch die NSDAP.

Als elegantes Outfit wählt der Reichskanzler 1933 Cut, Stresemannhosen, dunklen Mantel und Zylinder : Markenzeichen der politischen Klasse, auch der internationalen Elite – obwohl Hitler die Upperclass ablehnt. Der „Führer“ zeigt sich seriös. 1933 entdeckt er das zweireihige Sakko. Es gibt Halt, verbirgt seine körperlichen Schwächen und seine Fülle. Die im Mai 1933 geschaffene Führer-Uniform ist mit gepolsterten Schultern ausgestattet.

Hitler wechselt seine Rollen, je nachdem, welche Anhänger er sucht. Er verachtet die Oberen Zehntausend und distanziert sich vom Proletariat, aber er nimmt seine Parteigänger, wo er sie findet. Er ist Bohemien mit Schlapphut, braver Bürger im blauen Anzug, nationalistisch gesinnter Bayer in Lederhose, rastloser Redner in Reisekleidung, der „Führer“ in brauner Uniform, und schließlich Staatsmann und Reichskanzler.

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„Menschen in seinem Umfeld fiel auf, wie unsicher er sich benahm“, sagt Sünderhauf. Die Frackschöße behindern ihn, die Hand sucht Halt am Koppelgürtel. Hitler will nicht angreifbar sein. Er kleidet sich so tadellos wie möglich, ist ab 1933 nie wieder in offener Jacke zu sehen und er verbietet seinem „Leibfotografen“, Aufnahmen zu verbreiten, die ihn in der Krachledernen und mit Peitsche zeigen. Egal, wie das Wetter ist: Hitler trägt keinen Schal. Götter frieren nicht.

Als er 1939 im Krieg zum obersten Feldherrn wird, legt er die feldgraue Uniformjacke an und bis zum Ende nicht mehr ab. Oper, Hochzeit, Diplomaten-Empfang, Spaziergang: Der Feldherr zeigt sich zuverlässig in Feldgrau. Das einzige Kleidungsstück, das er wechselt, ist der Mantel. Und immer, wenn er sich ein neues Modell zulegt, steht ein Einmarsch bevor: Im Sudetenland. In Wien. Bei der Ankunft in Paris am 23. Juni 1940 steht er im weißen Raglanmantel am Grab von Napoleon, auf einem anderen Foto, nur wenige Stunden früher aufgenommen, präsentiert er sich im grauen Uniformmantel vor dem Eiffelturm. Das Detail zeigt, wie bewusst und aufwändig sich der Diktator inszenierte.

„Hitler ist Mitte 50 und ein Greis.“Esther Sophia Sünderhauf

Gegen Ende sieht man Hitler fast nur noch in einer wallenden Pelerine, die seinen zusammengesackten Körper und die zitternden Hände verbirgt. Er ist schwerfällig und krank geworden seit dem Verlust von Stalingrad. „Hitler ist Mitte 50 und ein Greis“, interpretiert Sünderhauf Aufnahmen vom Frühjahr 1945.

Adolf Hitler ist gründlich ausgeleuchtet. Nur in seinem Kleiderschrank hat sich bisher noch niemand wirklich umgesehen. Esther Sophia Sünderhauf hat ein Thema aufgetan, das auf ziemliches Interesse stoßen dürfte. Das ist ihr auch bewusst. „Aus dem Stoff“, sagt sie am Rand eines Regensburger Vortrags, „soll ein Buch werden.“

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