MZ-Serie
Die „Teufelsrutsche“ und der OB

In den Schlagzeilen war sie im Jahr 1993 als Horror- und Gruselrutsche: Ein Spaßgerät in der Weidener Thermenwelt wurde für Badegäste zum Ernstfall.

30.08.2014 | Stand 16.09.2023, 7:14 Uhr
Fritz Wallner

So sieht die Rutsche in der Weidener Thermen- und Saunenwelt heute aus: Längst gibt es keine Unfälle mehr. Ihre Vorgängerin sorgte dagegen bundesweit für Schlagzeilen. Foto: Gabi Schönberger

In den 1970er Jahren war die Freizeitwelt in Weiden noch in Ordnung. Die Stadt leistete sich, dem Trend der Zeit folgend, ein Hallenbad mit einem Becken für Schwimmer und für Nichtschwimmer. Generationen von Jugendlichen lernten in dem hässlichen Betonklotz mit Drei- und Fünfmeterbrett die ersten Kraulzüge, die Wasserballer trainierten zweimal die Woche. Mehr Fun, wie man heute sagen würde, war nicht.

Da schickte es sich, dass bei Umbauarbeiten im Jahr 1990 das in die Jahre gekommene Hallenbad in Brand geriet und mit einer kilometerweit sichtbaren Rauchwolke weitgehend eingeäschert wurde. Die Stadtväter wollten das Hallenbad nicht mehr im alten, längst überholten Stil wieder aufbauen. Eine Bade- und Thermenwelt sollte entstehen, mit einer 93 Meter langen Wasserrutsche als in der Region einmaligen Attraktion. Am 8. Dezember 1992 wurden Thermenwelt und Röhre eingeweiht – und auch die Bürgermeister und Stadträte, darunter der CSU-Sprecher im für das Freizeitzentrum zuständigen Werkausschusses, Stadtrat Hans Sperrer, sind die Rutsche hinuntergesaust. „Ich habs überstanden. Es hat Spaß gemacht und als gefährlich hab ich es nicht empfunden“, erinnert sich Sperrer heute.

Über 110 Unfälle wurden bekannt

Soviel Glück hatten aber nicht alle. Es dauerte nicht lange, bis es erste Berichte über Unfälle in dem „Hochleistungssportgerät nach DIN 7937“ bekannt wurde. Vor allem junge Menschen verletzten sich beim Rutschen. Es gab Prellungen, Platzwunden, ausgeschlagene Zähne, Abschürfungen, Gehirnerschütterungen. Das wurde zunächst nicht so ernst genommen – aber langsam wurden auch überregionale Medien auf die Weidener Röhre aufmerksam. Plötzlich war von der „K.O.-Rutsche“ und der „Teufelsrutsche“ die Rede. Binnen eines Jahres summierten sich die Unfälle auf 110 (bekannt gewordene) Fälle und der damalige Weidener Oberstaatsanwalt Lutz Höbold, der bekanntermaßen über keinen guten Draht ins Rathaus verfügte, brummelte öffentlich etwas von einer „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Stadt für die Staatsanwaltschaft“.

Nur einen focht das Ganze nicht an. Oberbürgermeister Hans Schröpf (CSU) erklärte die Unfälle mit „Bedienungsfehlern“ und weigerte sich nachdrücklich, die Rutsche auch nur vorübergehend zu schließen. „Im Werkausschuss wurde eifrig diskutiert“, erinnert sich Sperrer. Aber der „Ober“, wie Schröpf in Weiden respektvoll genannt wurde, übernahm die Verantwortung. „Er hat sich vor die Verwaltung und die Mitarbeiter gestellt und die Rutsche nicht gesperrt“.

Die Stadt verliert vor Gericht

Mittlerweile wurde der Streit um die Weidener „Todesrutsche“ („Bild“) bundesweit beachtet. Die Situation eskalierte. Anfang Oktober kam es vor der Ersten Zivilkammer des Landgerichtes Weiden zum Prozess. Rechtsanwalt Dr. Burkhard Schulze, der mittlerweile 15 Rutschenopfer vertrat, verklagte die Stadt Weiden im Namen eines 13-jährigen Mädchens auf 20 000 Mark Schadenersatz. Die Jugendliche war zusammen mit ihrem Vater gerutscht, der seine Tochter nach der Schilderung vor Gericht plötzlich leblos vor sich treiben sah. In einer Links-Rechts-Kombination war das Mädchen mit dem Gesicht auf die rechte Seite aufgeschlagen und bewusstlos weggekippt. In dem Prozess bezeichnete sich die angeklagte Stadt Weiden als „Opfer einer Kampagne“ und argumentierte, dass so eine Rutsche schließlich „von der Schwerkraft und der Fliehkraft“ lebe. Bei mehr als 230 000 gerutschten Badegästen sei die Zahl der Verletzten „verschwindend gering“.

Das beeindruckte die Zivilkammer nicht. Die Stadt Weiden sei schuld an dem Unfall, weil sie ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht genügt habe und die Rutsche nicht den Sicherheitsanforderungen entspreche. Kühl reagierte Oberbürgermeister Hans Schröpf: Er sehe weiterhin keinen Anlass für einen Umbau oder gar für eine Sperrung der Rutsche, teilte er mit.

Unterdessen hatte die Staatsanwaltschaft ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Schluss kam, dass in der Rutsche DIN-Normen nicht eingehalten werden und sie nicht einer Euro-Norm entspreche. Wegen der bekannten Spannungen mit OB Hans Schröpf leitete Höbold das Gutachten der Stadt nicht zu – Kenntnis hatte aber der damalige Oberpfälzer Regierungspräsident Karl Krampol. Der ersuchte seinen Sportfreund Hans Schröpf per Fax und telefonisch, die Rutsche „ab sofort und bis auf weiteres“ für die Besucher zu sperren. Krampol wollte Schröpf, den er sehr schätzte, vor dem Sog weiterer strafrechtlicher Ermittlungen bewahren. Zähneknirschend gab er nach.

Heute ist die Rutsche längst wieder in Betrieb. Umgebaut und deutlich entschärft lockt sie Badegäste in Scharen. „Sie ist zwar keine rasante Attraktion mehr“, sagt Sperrer, der selber nicht mehr rutscht. „Aber es war sicherlich besser so“.