MZ-Serie
Die weinende Madonna im Reihenhaus

Die großen Schlagzeilen Ostbayerns: 1977 wird Schwandorf zur Pilgerstätte für Wundergläubige. Bischof Graber lässt den Fall untersuchen.

18.04.2014 | Stand 16.09.2023, 7:15 Uhr
Diese weinende Madonna lockte erst die Presse und dann hunderte Pilger ins Schwandorfer Lindenviertel. Für Fotos verlangten die Besitzer Geld und machten gute Geschäfte. −Foto: Ponnath

Mit Bussen drängen sie ins Schwandorfer Lindenviertel. Die Pilger wollen zur weinenden Maria. In einem Reihenhäuschen tritt das Phänomen erstmals im Januar 1977 auf. Die Bewohnerin, eine sehr gläubige Katholikin, die sich unter dem Dach eine Hauskapelle eingerichtet hat, entdeckt beim Morgengebet die Wassertropfen auf dem Bild einer Fatima-Madonna, die sie aus Italien mitgebracht hat. Sie scheinen aus den Augen zu fließen. Die 55-Jährige glaubt sofort an ein Wunder. Der Trubel bricht los, als ein Regensburger Studienrat, ebenfalls sehr gläubig und empfänglich für Wunderdinge, mit Hilfe eines Chemiebaukastens die Echtheit der Tränen feststellt. Für die Familie beginnt ein einträgliches Geschäft.

Wände voller Marienbilder

Peter Ponnath arbeitete damals als Redakteur für die Mittelbayerische Zeitung in Schwandorf und hatte am Stammtisch von den seltsamen Vorkommnissen erfahren. „Also fuhr ich hin und klingelte an der Tür. Die Hausherrin öffnete und führte mich in die Mansarde zur Hauskapelle“, erinnert er sich im Gespräch mit der MZ. Hier wurde offensichtlich ein besonders tiefer Glaube gelebt. Ein gutes Dutzend Marienfiguren standen in Reih und Glied, die Wände waren mit Jesus- und Mariendarstellungen tapeziert. Doch bei Ponnaths Besuch weinte die Madonna nicht, sie hatte es nur im Winter getan. 27 Tage lang.

Blut- und Tränenwunder sorgen immer wieder für helle Aufregung in der katholischen Kirche. Allein in Italien soll es mehr als 190 Blutreliquien geben. Weinende, blutende, schwitzende Statuen und Heiligenbilder werden regelmäßig auch aus anderen katholischen Ländern Europas und den USA gemeldet. Öffentlich reagiert die Kirche auf solche Mysterien diplomatisch. „Der Glauben gründet sich nicht nur auf Zeichen und Wunder“, kommentierte der damalige Kardinal Joseph Ratzinger die blutigen Tränen der Muttergottes von Civitavecchia. Die meisten Wunder würden sich durch ein natürliches Phänomen aufklären, der Rest sei auf Geschäftemacherei zurückzuführen, schreibt Bernd Harder von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften in einem Aufsatz.

Als Ponnath im August 1977 seinen Artikel „Geschehen in einer Schwandorfer Familie Wunderdinge“ veröffentlichte, trat er eine Welle los. Auch „Die Woche“, die „Neue Revue“ und sogar der „Stern“ kamen in die Oberpfalz, um über die weinende Madonna zu schreiben. Beim Bistum Regensburg war man wenig erfreut, als das angebliche Wunder publik wurde und die Pilgerströme einsetzten. Bis aus dem Sauerland kamen die Gläubigen in Bussen. Ein Pilgerführer aus Essen rief an, um sich „nach dem Wallfahrtsort Schwandorf mit Zielpunkt Hauskapelle“ zu erkundigen.

Der arbeitslose Reihenhausbesitzer und seine Frau kamen angesichts des Rummels auf eine Idee. Sie ließen Bildchen von der weinenden Madonna drucken und verteilten sie unter den Besuchern – das Stück für 3,80 Mark, erinnert sich Ponnath. Von Zeitungsfotografen wurden immer höhere Honorare verlangt. Bis zu 1000 Mark wollte man für ein Bild mit der betenden Hausherrin haben. Die Schwandorfer Geistlichen reagierten zunehmend verärgert, was wiederum die Madonnenbild-Besitzerin erzürnte. Bischof Rudolf Graber schrieb einen Brief, in dem er „jegliche weitere Verbreitung der Erlebnisse“ auf unabsehbare Zeit verbat. Eine Expertenkommission wurde eingesetzt, um die Tränen auf ihre Echtheit zu überprüfen. Die Herrschaften im Reihenhaus sahen darin Missgunst. „Das alles ist eine Kampagne der Kreuzberger Patres, die Angst haben, dass durch die weinende Madonna ihre Wallfahrtskirche abgewertet wird“, sagten sie dem „Stern“.

Maria schickte sogar eine Botschaft

Das angebliche Wunder lockte nun eine immer skurrilere Klientel an. Der Studienrat aus Regensburg erhielt Nachricht von einem italienischen Seher, der mit der Muttergottes über das Schwandorfer Phänomen gesprochen haben will. Die Muttergottes höchstpersönlich, so schrieb damals Ponnath, ließ Folgendes ausrichten: „Die Last ist erdrückend, du bist ein Lieblingskind unter meinen Lieblingskindern, weil du so viel betest, ich wünsche, dass man mir hier eine Kapelle baut.“ Auch aus Österreich kam eine Seherin in die Oberpfalz. „Sima“, die man in eingeweihten Kreisen dafür kannte, dass sie arme Seelen sehen und kontaktieren konnte, betete in der Reihenhaus-Kapelle. Danach erzählte sie den Bewohnern, dass sie dort tatsächlich arme Seelen erblickt hätte. Und quartierte sich gleich über Nacht ein. Und das alles passierte, obwohl die Tränen am Marienbild eigentlich schon seit Monaten getrocknet waren. Doch der Zauber ging von Neuem los, als die kalte Jahreszeit über Schwandorf hereinbrach. Wieder gab es feuchte Stellen. Nun hatten die Experten aber einen Verdacht. Wenn die Familie nicht beim Tränenwunder nachgeholfen hatte, dann musste es sich um Kondenswasser handeln. Zu diesem Urteil kam auch der Abschlussbericht, der ein undichtes Dach über dem unbeheizten Raum als Ursache für die Kondenswasserbildung ausmachte.

Die Tränen waren also nicht menschlich, wie der Studienrat mit seinem Chemiebaukasten ursprünglich festgestellt hatte. Es war simples Regenwasser, das die Menschen in und um Schwandorf monatelang in helle Aufregung versetzte.