Gastronomie
Ein Sternekoch ohne Restaurant

Ganz einfach sollte Andi Schweigers erstes eigenes Restaurant werden. Doch dann kamen die Michelin-Tester.

29.01.2017 | Stand 16.09.2023, 6:41 Uhr
Katja Meyer-Tien
In seiner Kochschule ist Andi Schweiger wieder in seinem Element. −Foto: Meyer-Tien

Bis halb drei Uhr in der Früh stand Andi Schweiger in der Küche. Wachtelinnereien hat er vorbereitet, für den Fond, den er heute noch kochen will. Und er hat es genossen. „Ich bin viel zu sehr zum Allrounder, zum Gastronom geworden“, sagt er. Die Zeit in der Küche hat ihm gefehlt. Deswegen ist Andi Schweiger seit Januar ein Sternekoch ohne Restaurant. Auch wenn man darüber philosophieren kann, ob ein Sternekoch ohne sein Restaurant noch ein Sternekoch ist, wichtig ist: Seither hat Schweiger wieder Zeit zum Kochen. In seiner Kochschule, in der er auch Events veranstaltet und Catering anbietet.

Die Entscheidung, das kleine Restaurant Schweigerµ in München Haidhausen zu verkaufen, haben er und seine Frau Franzi sich nicht leicht gemacht, „einige Tränchen“ seien schon geflossen. Schließlich haben die zwei das Lokal vor zehn Jahren selber aufgebaut, selber den Boden geschliffen, die Wände gestrichen. „Klein und lecker“ sollte es werden, ursprünglich nie mit dem Anspruch, ein Sternehaus zu werden, dafür fehlte den beiden das Geld. „Wir hatten einen einfachen Holzboden, einen Pizzaofen und einen sechsflammigen Gasherd. Mehr nicht“. Flammkuchen und Salate sollte es geben.

„Das war bitter“, erinnert sich Schweiger. Denn bis dahin hatte der damals 30-Jährige in der Spitzengastronomie gearbeitet, Fallert im Schwarzwald, Vincent Klink in Stuttgart, Holger Stromberg in München. Große Namen, Spitzenprodukte. Und jetzt: Flammkuchen, Salate und ein einziges Menü. Als Entschädigung schenkte ihm seine Frau damals einen Stern, erzählt Schweiger. Eine Tätowierung.

Drei Monate nach der Eröffnung ließ Schweiger sich seinen Stern in den Unterarm stechen. Und exakt an diesem Abend – Schweiger grinst noch immer, wenn er die Geschichte erzählt – exakt an diesem Abend kamen die Michelin-Tester in sein Restaurant. Aßen und fragten, ob Schweigers etwas dagegen hätten, im Guide Michelin zu stehen. Das Schweigerµ, damals noch (und heute wieder) Showroom, war Anwärter auf einen Stern.

Erst ein Jahr später kam der Koch

Noch heute wirkt Andi Schweiger überrumpelt, wenn er davon erzählt. Er war damals allein in der Küche, seine Frau, gelernte Konditorin, kannte sich nur mäßig mit Wein aus, keiner von beiden hatte Ahnung, wie man richtig eindeckt. Erst ein Jahr später stellten sie den ersten Koch ein, heute hat das Restaurant mit seinen 24 Sitzplätzen zwölf Angestellte. Und seit 2009 auch einen Michelin-Stern.

Schweiger, der schon als kleiner Junge Koch werden wollte, liebend gerne mit guten Produkten experimentiert und unter den Münchner Köchen als einer der „jungen Wilden“ gilt, konnte wohl doch einfach nicht aus seiner Haut. „Wir haben einfach immer gearbeitet“, sagt Schweiger.

20 Stunden am Tag, neben dem Restaurant noch Foodstyling, Catering und Kochkurse, immer wieder auch kleinere Sachen fürs Fernsehen. Weshalb Schweiger 2008 auch gefragt wurde, ob er nicht bei den „Kochprofis“ mitmachen möchte, einem Fernsehformat, bei dem mehrere Berufsköche den Besitzern schlecht laufender Restaurants mit Rat und Tat zur Seite stehen. Zunächst habe er abgesagt, sagt Schweiger, er wollte niemanden kritisieren, schon gar nicht im Fernsehen. Als ein befreundeter Koch aber mitmachte, sagte er doch zu.

Heute, eine Lebensmittelvergiftung und viele fragwürdige Testessen in hilflosen Restaurants später, sieht er die Sache anders: „Die Leute bewerben sich ja, die wollen, dass wir kommen.“ Und wenn, beispielsweise, ein unbelehrbarer Elektriker in einer versifften Küche ungenießbares Essen produziere, aber das Dorf dafür verantwortlich mache, dass sein Restaurant schlecht laufe, dann dürfe man dem auch mit einer gewissen Brutalität die Realität verdeutlichen, sagt Schweiger.

Harte Arbeit macht ihm nichts aus

Schweiger selbst legt enormen Wert auf Qualität, und harte Arbeit macht ihm nichts aus. Zumindest seit seiner Ausbildung nicht mehr, als er sich irgendwann einmal mitten in der Nacht bei seiner Mutter wiederfand, frustriert und enttäuscht: In einer Zeit ohne Handys hatte er nach seinem Schichtende im Restaurant nachts um zwölf keine Chance, seine Freunde zu finden, die auf ihren Mopeds zu Partys und Clubs fuhren. „Ich höre auf, ich mag nicht mehr“, jammerte er, doch seine Mutter überzeugte ihn: „Du ziehst das durch.“ Und er zog es durch.

So haben die Schweigers schließlich auch in ihrem eigenen Restaurant etwas geschafft, was längst nicht selbstverständlich ist: Sie haben ohne große Namen und ohne die Finanzkraft einer Hotelkette im Rücken ein ausgezeichnetes Sternerestaurant aufgebaut, das – sagt Schweiger – immer wirtschaftlich gearbeitet hat. Und das sie nun nach zehn Jahren an ihren Küchenchef Dominik Käppeler verkaufen konnten, das Team bleibt gleich. Andi und Franzi wollen sich umorientieren, sich auf ihre Kochschule konzentrieren, die seit 2013 ihren Standort in einem Kellergewölbe am Wiener Platz hat. „Ich bin total froh“, sagt Schweiger, „und ich bin total traurig.“

Immer eine Reise wert: Alle Teile unserer Serie zu Münchens Sterneköchen finden Sie hier.