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Gestatten, Urmann, der Porno-Anwalt

Kein anderer Jurist gerät derzeit so in die Schlagzeilen wie Thomas Urmann. Er weist alle Vorwürfe zurück, er erledige nur die Drecksarbeit.

18.01.2014 | Stand 16.09.2023, 7:14 Uhr

Morddrohungen, Erpesserschreiben, Polizeischutz: Thomas Urmann gefällt sich dennoch als Advokat der Pornoindustrie. Foto: altrofoto.de

Thomas Urmann ist ein Mann, der scheinbar alles gelassen nimmt. So wie dieses Gespräch. Er lehnt zurück in einem der Sessel des Konferenzzimmers seiner Kanzlei und wiegelt Vorwurf für Vorwurf ab. Immer lockerflockig, immer bissig und wohl überlegt. Eigentlich findet er das ganze, was über ihn geschrieben wird „lustig“. Auch die Überschrift, die die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ abgedruckt hat –„Auf der dunklen Seite des Rechts“– findet er treffend. Er spöttelt über diejenigen, die ihm Tod und Gewalt androhen oder über die Kollegen, die ihn angezeigt haben und für einen besonders dreisten Erpresser halten.

Urmann gefällt sich in seiner Rolle als fieser Advokat der Pornofilmindustrie, als ein beinharter Vertreter des Urheberrechts. Und er schafft es, gelassen und nicht mal unsympathisch herüberzukommen, wenn er spricht und dabei seinem „Senior Corporate Dog“, dem großen Büro-Hund, durchs dunkle Fell wuschelt.

Thomas Urmann, 42, Drei-Tage-Bart, Anzug ohne Krawatte, graue Schläfen: So sieht der derzeit der meistgehasste Anwalt Deutschlands aus. Ein Mann, der nicht genau weiß, wie oft er schon angezeigt wurde. Sicher im hohen dreistelligen Bereich, sagt er. Dafür weiß Urmann umso besser, wie es ist, verabscheut zu werden. Nur interessiert ihn das kaum. Das sei sein Job, hier gehe es nur ums Recht.

Erpressung und Bandenkriminalität

Mit der massenhaften Post, die er gerade rechtzeitig vor den Weihnachtseinkäufen an angebliche Pornogucker versandt hat, hat er Bewegung in eine juristische Grauzone gebracht, die Millionen Deutsche Tag für Tag ausnutzen. Streaming, das ist das – in der Regel kostenfreie – Nutzen von Filmen oder Musik im Netz. In vielen Fällen ist das völlig legal. Die Datei wird dabei nicht im klassischen Sinne heruntergeladen, sondern auf dem Rechner zwischengespeichert und ständig überschrieben. Anders als beim Filesharing wird also nicht getauscht und langfristig gespeichert. Internetseiten wie kinox.to oder movie4k.to gehören zu den 100 meistaufgerufenen Seiten Deutschlands, sind aber auf einem Inselstaat im Südpazifik angemeldet – und so für deutsche Gerichte schwer greifbar. Nutzer haben hier bisher völlig sorglos neueste Blockbuster oder Serien angeschaut. Bisher.

Juristen streiten darüber, ob sich nur derjenige strafbar macht, der die Datei ins Netz stellt, oder auch der, der sie sich anschaut. Bei dem Pornoportal Redtube, um das es Urmann und seinen Mandanten „The Archive AG“ geht, ist die Lage wieder anders. Nach Ansicht des Kölner Internetrechtlers Christian Solmecke ist es hier nicht offensichtlich, dass die Filme illegal verbreitet wurden.

Urmann sieht das natürlich anders. „Es gibt keine Grauzone.“ Das Urheberrecht sei eindeutig. Vor ihm hat es niemand gewagt, Streaming-Nutzer abzumahnen. Sollte der Regensburger in allen Instanzen letzten Endes recht bekommen, dürften sich Millionen Bundesbürger auf Anwaltpost freuen. Das ist ein Grund, warum Urmann in seiner Kanzlei derzeit Reporter aus ganz Deutschland empfängt. Aber nicht der einzige. Die Vorwürfe gegen ihn reichen von Abzocke und Erpressung bis hin zu Bandenkriminalität. Und ständig tauchen neue auf.

So beliebt wie eine Radarfalle

Urmann findet allesamt ungerechtfertigt und meistens amüsant. Es folgt ein Satz, den er gern zu Journalisten sagt: „Wir sind in einem Bereich tätig, in dem man so beliebt ist wie eine Radarfalle in einer Tempo-30-Zone.“ Bei seinen Mandanten hingegen genießt er „nicht den schlechtesten Ruf“, ist er sich sicher.

Er mache keine Geschäfte mit der Scham der Nutzer, wie U + C häufig vorgeworfen wird. Meine Güte, das ist das Jahr 2014. Ein Scham-Mäntelchen müsse sich in diesem Land niemand überziehen. „Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, ob Sie so ein verklemmtes Sexualleben haben, dass Sie – anders als ich – keine Pornos gucken dürfen.“

Urmann stört es nur, dass für geschützte Werke, auch wenn diese sich nur auf bloßes Rein-Raus beschränken, niemand bezahlt: „Sie müssen sich das vorstellen wie einen Aldi-Markt, in den 90 Prozent der Konsumenten reingehen, die Produkte einsammeln und mit vollen Händen rausspazieren ohne zu bezahlen.“

Es ist nicht das erste Mal, das Urmann für Schlagzeilen sorgt. Mitte 2012 machte er bereits bundesweit von sich reden. Urheberrechtlich war die Sache damals aber so eindeutig, wie das eindeutige Material, was sich Nutzer in einer Tauschbörse heruntergeladen haben. Trotzdem weigerten sich viele, die horrenden Abmahnkosten Urmanns zu zahlen. Um Druck zu machen, kündigte er an, eine „Gegnerliste“ zu veröffentlichen – besser bekannt als „Porno-Pranger“. Doch ein Gericht stoppte Urmann.

Ein Jahr später wollte Urmann den Telekommunikationskonzern o2 per Gerichtsbeschluss zwingen, Verbindungsdaten herauszurücken. Doch das Gericht stellte sich quer und entschied: Die Filme sind zu primitiv, um als ein „Werk mit Schöpfungshöhe“, wie es im Urheberrecht heißt, angesehen zu werden. Stattdessen seien die Schmuddelvideos lediglich „Laufbilder“ – und die sind nicht abmahnwürdig. Reine Pornografie könne keinen Schutz als Filmwerk für sich beanspruchen. Eine Entscheidung, die Urmann bis heute nicht nachvollziehen kann. Natürlich gebe es immer wieder „Ausreißer-Urteile“. Nur: Wenn man zu dem Ergebnis komme, dass Laufbilder keinen Urheberrechtsschutz mehr genießen, würde das auch für jedes Pressefoto gelten. Ein Film sei auch nur eine Abfolge von Bildern. „Bei dem Film, um den es damals ging, hat man auch eine Kamera aufgebaut, die Belichtung eingestellt und, ich sage es mal vorsichtig, ein Drehbuch dazu geschrieben.“ Der Richter habe eine schwierige Rechtsauffassung vertreten – die Frage laute doch: „Würde er auch bei einem Film, der nicht pornografisch ist, auch so urteilen. Oder hatte er nur persönlich ein Problem damit, weil da vielleicht nur wenig gesprochen wird.“

Urmann begann seine Karriere allerdings nicht als Abmahnanwalt. Er lehnt diese Bezeichnung ohnehin ab. Das mache nur höchstens 40 Prozent der Arbeit der Kanzlei aus. Urmann fing als Strafverteidiger auf dem juristischen Parkett an, ehe er ins Urheberrecht wechselte. Im Jahr 2007 habe sich der Markt dann aufgeteilt: „Der Hollywood-Mainstream ging zu einer Münchner Kanzlei, die Pornos sind irgendwie zu uns gekommen.“ Und sie sind geblieben. Dass Urmann erfolgreich ist, belegt ein Zimmer im dritten Stock seiner Kanzlei. Da Juristen noch bis vor kurzem verpflichtet waren, ein Original des Werks bereitzuhalten, für das sie die Urheberrechte vertreten, steht in dem schmucklosen Plattenbau mitten im Rotlichtviertel Regensburgs eine der größten Pornosammlungen der Republik. „Da sehen Sie, auf was für lustige Ideen die Menschheit alles so bei ihrem Sexualtrieb kommt.“ Für die Kanzlei stehe ein rein professionelles Interesse dahinter, sagt Urmann, angesehen habe man sich höchstens drei davon. Alles andere ist Privatsache.

Abgebrüht oder nur unbequem?

Auch Zehntausende deutsche Porno-Fans dachten, dass sie sich auf dem Porno-Portal Redtube unbemerkt und ganz privat Filme wie „Miriams Abenteuer“ anschauen können. Anfang Dezember 2013 bekamen sie dafür Post. Der Inhalt: Eine Unterlassungserklärung und eine Forderung in Höhe von 250 Euro. Wer nicht zahle, müsse Konsequenten fürchten. Prompt folgte der öffentliche Aufschrei – und die Frage, wie U + C an die IP-Adressen kommen konnten, also die individuelle Zahlenreihe, die jeder Computer im Netz hinterlässt. Um herauszubekommen, welcher Rechner hinter einer IP-Adresse steckt, braucht man einen richterlichem Beschluss. Und den beantragte nicht Urmann, sondern der Berliner Rechtsanwalt Daniel Sebastian in dieser Sache 62 Mal. U + C mahnte ab.

Seither überschlugen sich die Meldungen: Urmanns Mandant „The Archive“ soll weder die Rechte an den abgemahnten Werken besitzen, noch soll die beauftragte Firma itGuards Inc. die IP-Adressen auf legalem Wege beschafft haben, sondern Nutzer in eine Falle gelockt haben. Dann folgten die „Chaostage in Köln“, wie Urmann sie nennt. Die Richter am Landgericht Köln, die die Herausgabe der Daten absegneten, seien getäuscht worden. Zwischenzeitlich erstattete die Berliner Kanzlei Müller Müller Rößner Anzeige gegen Urmann wegen besonders schweren Betrugs und Erpressung. Staatsanwälte aus Hamburg und aus Regensburg ermitteln gegen ihn. Unterdessen sei Urmanns Mandant „The Archive“ abgetaucht.

Und dann kommt Hollywood

Alles Quatsch, meint Urmann. Alle Vorwürfe seien nicht haltbar oder längst in sich zusammengefallen. Seinen Mandanten, der nur ein paar Kiloemeter umgezogen sei, habe er erst am Vortag gesprochen. Die Anzeige aus Berlin sei juristischer Unfug. Und schon schießt er zurück: „Die Kanzlei Müller, Müller irgendwas gibt sich als Rächer der Enterbten, man müsse das für eine vermeintliche Rechtshygiene tun.“ Diese Herrschaften würden ihre Position missbrauchen, um Werbung für ihre Kanzlei zu machen.

Urmann hat auf alles eine Antwort: Den Advokaten der Pornofilmindustrie kann, so scheint es, nichts aus der Reserve locken. Entweder ist Urmann also einer der abgebrühtesten Vertreter seines Fachs oder einer, gegen den sich alle verschworen haben, weil er umbequem ist. Dort, wo er Gefahr laufen könnte, keine Antwort parat zu haben, beruft er sich auf seine Schweigepflicht oder sagt er zum Beispiel: „Ich bin ja nur der Anwalt, ich werde mich da auf keine technische Diskussion einlassen.“

Dass nach der Abmahnwelle die Wut groß ist, war klar. „Alles, was von uns Post gekriegt hat, ist ein Querschnitt durch diese Gesellschaft und dieses Land.“ Von ganz unten bis ganz oben. „Und alle Klischees, die jetzt in ihrem Kopf herumspuken, sind dabei.“ Massenhafte Abmahnungen zogen massenhafte Drohungen nach sich. Jetzt flaut es etwas ab. „Wir bekommen noch interessante Erpresserschreiben: Wenn wir nicht sofort 50000 Euro bezahlen, dann kriegen wir aber so richtig Ärger. Aber gut...“ Angst hat Urmann natürlich nicht. Hier schreibe ihm jemand ein Zettelchen mit 28 Rechtschreibfehlern pro Seite. „Wollen Sie das ernst nehmen?“

Urmann weiß genau, dass seine Abmahnwelle die Nutzung des Internets verändern könnte, sofern alles nach Plan läuft. Er findet, dass seine Kanzlei staatliche Aufgaben übernimmt. Kaum eine Staatsanwaltschaft sei dazu bereit, in Urheberrechtsfragen tätig zu werden. Zum einsamen Kämpfer oder Vorreiter mache ihn das nicht. Es sei immer nur dasselbe. Alle anderen ziehen erst später mit. „Erst wenn alles freigekämpft ist und das Feld bereitet, kommt Hollywood und sagt: Jetzt machen wir uns die Finger nicht mehr schmutzig, jetzt hat der Urmann ja die Drecksarbeit erledigt. “ Das findet er dann aber doch nicht so lustig.