MZ-Serie
Günter Kaufmann: Ein Leben wie ein Film

Schauspieler Günther Kaufmann war der Liebling von Regisseur Werner Fassbinder, Häftling und dann Dschungelcamper.

02.09.2015 | Stand 16.09.2023, 7:00 Uhr
Katja Meyer-Tien

Der Schauspieler Günther Kaufmann hat es gehasst, der Neger zu sein. Die schwierigste Rolle aber schrieb ihm das Leben.

„Ein Neger im Schnee“, soll einer der Einsatzkräfte bei seinem Anblick gesagt haben. An jenem Wintertag, an dem Günther Kaufmann vor dem Haus seines Freundes und Steuerberaters Hartmut stand und auf die Polizei wartete. Die findet Hartmut ermordet. Kaufmann wird beschuldigt, legt ein falsches Geständnis ab, wird verurteilt und später doch freigesprochen. Die unfassbare Geschichte seines Lebens, doch am Anfang steht diese Bemerkung über seine Hautfarbe.

Glücklich – und dann kam die Schule

Das passt. Dass Günther Kaufmann nicht weiß war, prägte sein Leben. So sehr, dass er seiner Biografie den Namen „Der weiße Neger vom Hasenbergl“ gab. Er hat es gehasst, der Neger zu sein. Der Regisseur Rainer Werner Fassbinder ließ einmal, als er Kaufmann in einer Szene in Querelle – ein Pakt mit dem Teufel richtig wütend sehen wollte, in Endlosschleife und voller Lautstärke Joachim Witts „Ich bin der deutsche Neger...Ich bin der deutsche Neger...“ über das Set dröhnen. Es wirkte. Kaufmann war furios.

Die Hautfarbe verdankte Kaufmann seinem Vater, einem GI namens Jimmy, der kurz nach bekannt werden seines Missgeschicks mit einer siebzehnjährigen Näherin in München wieder in die Heimat geschickt wurde. Der Verlobte von Kaufmanns Mutter, Fallschirmjäger bei der Luftwaffe, kümmerte sich nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft um Günther wie um seinen eigener Sohn. Die Eltern arbeiteten hart, es gelang ihnen, sich eine eigene Wohnung im damals neuen und schicken Stadtviertel Hasenbergl zu leisten. Glücklich sei er gewesen, schreibt Kaufmann in seiner Biografie, bis er in die Schule kam. Da war er dann „das Negerl“, das gehänselt und traktiert wurde, im Schwimmbad stiegen die Kinder aus dem Wasser, wenn er hineinwollte. Nur die Balletstunden habe er geliebt, bis er dafür zu große Füße bekam. Dass er musikalisch war, zeigte sich schon früh, eine Ausbildung zum Berufsschlagzeuger aber durfte er nicht machen: Er sollte etwas vernünftiges lernen. Kaufmann lernte Beutelmaschinenführer. Und ging dann zur See. Bundesmarine, Segelschulschiff Gorch Fock, eine Zeit, die ihn zum Seebären machen sollte, erzählt er später.

Wieder an Land folgen wilde Zeiten, in denen Kaufmann unter vielen Frauen auch seine erste große Liebe fand. Dass er sie schwängerte, fand sie gut, er nicht, doch sie fanden zusammen, heiraten und bekamen nach Sohn Dave noch eine Tochter, Eva.

Der Anfang vom Aufstieg und Fall

Aber Kaufmann war kein Familienmensch. Er sorgte für Frau und Kinder und war froh um den ruhigen Hafen, den er immer wieder ansteuern konnte. Doch seine wilden Jahre sollten noch lange nicht vorbei sein. Zumal er kurz darauf eher zufällig als Schauspieler entdeckt wurde: Eigentlich versuchte er, Mitgliedschaften in einem Buch- und Schallplattenclub zu verkaufen, als ein Mann ihn zum Vorsprechen für den Film Baal einlud, den Volker Schlöndorff gerade drehen wollte. Kaufmann, der weder den Namen Schlöndorff kannte noch irgendeine Ahnung von der Schauspielerei hatte, ging hin. Es war der Anfang vom Aufstieg und Fall des Günther Kaufmann, der nie ganz unten endete.

Bei Baal traf er Rainer Werner Fassbinder, der war fasziniert von ihm, und so folgte auf Schlöndorff Fassbinder. Alternativfilme wie Götter der Pest, Fernsehproduktionen wie Pioniere in Ingolstadt, später Die Ehe der Maria Braun und Berlin Alexanderplatz und viele mehr: Kaufmann gehörte zu Fassbinder, spielte und litt mit und an ihm, der sich wohl heftig in ihn verliebt hatte. Aber „Ich bin nicht schwul, diesen Gefallen konnte ich ihm nicht tun“, sagte Kaufmann später.

Und plötzlich ein Mörder

Seine Ehe ging trotzdem entzwei, auch eine zweite, während Kaufmann alles spielte, was er bekommen konnte. Mit Rollen in Otto – Der Film, Derrick und Der Alte wurde er in den 1980er und 1990er Jahren zum bekannten Fernsehgesicht, doch dann kam jene Februarnacht 2001, in der er im Schnee vor dem Haus seines ermordeten Freundes stand. Viel später stellte sich heraus, dass der Liebhaber seiner dritten Frau mit zwei Komplizen in das Haus eingedrungen war und den Steuerberater getötet hatte. Doch zunächst galt Kaufmann, der hohe Schulden bei seinem Freund hatte, als tatverdächtig. Und gestand. Unter Druck, wie er später sagte. Er widerrief nicht, aus Furcht, dass er dadurch unglaubwürdig wirken würde, und aus Angst um seine krebskranke Frau, von der er bald ahnte, dass sie in die Sache verstrickt war. Hatte sie ihn doch betrogen und ihm mit Lügen um einen angeblichen Prozess in den USA das Geld aus der Tasche gezogen, wie sich nun herausstellte. Sie starb im Mai 2002, sechs Monate später wurde Günther Kaufmann wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Drei Jahre später wurden die wahren Täter verhaftet.

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Es ist diese Geschichte, die von Kaufmann in Erinnerung bleibt. Wie auch immer sie sich tatsächlich zugetragen hat: Kaufmann gelang es, sie als Geschichte vom großen, naiven Glauben an die wahre Liebe zu erzählen.

Seiner Popularität hatte der Gefängnisaufenthalt nicht geschadet, nur das Publikum wandelte sich: Kaufmann war der Schreckliche Sven in „Bully“ Herbigs Wickie-Filmen, der Tongo in Türkisch für Anfänger und 2009 sogar der „Dschungelbär“ im RTL-Dschungelcamp: Berührungsängste mit dem Boulevard hatte er keine.

Günther Kaufmann wurde 64 Jahre alt, er starb am 10. Mai 2012 in Berlin, als er bei einem Spaziergang einen Herzinfarkt erlitt. Die Verfilmung seiner Geschichte hatte er für das nächste Jahr geplant.

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