Ostern
Liegenbleiben gilt nicht

Sozialunternehmerin Sina Trinkwalder lebt nach einer simplen Rechnung: „Immer einmal mehr aufstehen, als man hinfällt.“

26.03.2016 | Stand 16.09.2023, 6:51 Uhr
Claudia Bockholt

Sina Trinkwalder war früher in der Werbe-Branche, jetzt produziert sie Textilien – regional, nachhaltig und sozial. Foto: Bockholt

An Karfreitag hielt ein Streifenwagen vor der Tür von Sina Marie Trinkwalder, geb. 28.1.1978, Mädchenname Riefle. Ohne lange Erklärung, noch in der Schlafklamotte ging es im Polizeiauto quer durch die Augsburger Innenstadt. Der Willy-Brandt-Platz lag in christlich-asketischer Feiertagsruhe – nur in der Produktionshalle von „manomama“ ratterten Nähmaschinen. Die Muslimas unter ihren „Ladies“ in der neu eröffneten Fabrik hatten entschieden, dass man an einem Tag, an dem man nicht shoppen kann, doch ebensogut zur Arbeit gehen könne.

Sina rollt die Augen – und grinst, als sie von dem Osterwochenende erzählt, als es für ihre junge Firma verdammt eng wurde. Auf Kante genäht ist vieles, seit sie 2010, nach einer märchenhaften Begegnung, beschlossen hat, den Kosmos von Werbung und Konsum zu verlassen und ihre kreative Kraft in eine bessere, auf ihre Ideale maßgeschneiderte Welt zu stecken.

Wundersame Begegnung auf einem Bahnsteig

Das Märchen, das Charles Dickens geschrieben haben könnte, geht so: Ein ärmlich wirkender Mann fischt auf dem Bahnsteig in Hamburg die Lifestyle-Magazine, die Sina Trinkwalder gerade achtlos weggeworfen hat, aus dem Müll. Sie spricht ihn neugierig darauf an, und er erklärt ihr, dass er mit seiner Frau aus den farbigen Hochglanzseiten Weihnachtsschmuck für die Obdachlosenunterkunft bastelt, in der sie leben.

Auf der ganzen Heimfahrt grübelt die Werberin, die bisher auf High Heels durchs Leben stöckelte. Als abends ihr Sohn die kaum angebissene Wurststulle in den Abfall schmeißt, ist ihr alles klar. Und sie hält ihrem Mann Stefan eine kleine Ansprache: „Wir werden Menschen, denen sonst niemand eine echte Chance einräumt, eine sinnvolle Arbeit geben. Zu alt, zu viele Kinder, Migrationshintergrund, krumme Nase, keine Eins in Religion? Kommt zu uns!“

"Lass dich nicht unterkriegen. Sei frech, wild und wunderbar!"(Pippi Langstrumpf)

Posted by Sina Trinkwalder on Donnerstag, 10. Dezember 2015

Sina („Wir duzen uns hier!“) redet gerne und viel – und dann macht sie. Das unterscheidet sie von Sonntagsrednern, die anprangern, fordern, appellieren und es dabei bewenden lassen. Die 38-Jährige hat ihr eigenes Leben ebenso radikal verändert wie das ihrer derzeit 146 Beschäftigten. Alle waren für die Arbeitsagentur Problemfälle mit „multiplen Vermittlungshindernissen“. Sina gibt ihnen eine Chance und – sofern sie sie nutzen – eine Perspektive bis zur Rente. Sie macht aus scheinbar Gescheiterten hoffnungsvolle Fälle.

Das Leben ist schön.Von einfach war nie die Rede.

Posted by Sina Trinkwalder on Donnerstag, 4. Februar 2016

Die Textilfabrikantin trägt Jeans und flache Schuhe. Sie schaut von der Metalltreppe hinunter auf die helle Halle und wuselige bunte Haufen. Vor allem Frauen jenseits der 50 stellen dort pink- und orangefarbene Stoffbeutel für „dm“, peppig gemusterte Tragetaschen für Edeka und noch vieles mehr her. Ohne Siegel zwar, aber biologisch. Nicht weil die Firma mit dem Prädikat „Öko“ gute Geschäfte machen will. Sondern weil die Arbeiterinnen nicht mit giftigen Stoffen hantieren sollen. Gearbeitet wird mit Garnen und Stoffen, die in Deutschland gesponnen und gewebt werden. Trotzdem kostet eine „Skinny Delta blue tinted“ aus der Kollektion „augschburgdenim“ nur 99 Euro. Nicht mehr als eine in der Türkei oder China gefertigte Markenjeans.

Eine Frau wie der FC Bayern

„Aufstehen, Krone richten, weitermachen“ steht auf einigen „manomama“-Produkten. Dieses Motto aller pragmatischen Prinzessinnen passt perfekt auf die zupackende, unverblümte Sina. „Alter!“ ruft sie oft. In den Sozialen Medien postet sie, wie ihr der Schnabel gewachsen ist: „Also 10% Arschlöcher gibt’s überall, aber 23%? Meine Fresse“, kommentierte sie die Wahl in Sachsen-Anhalt. Morgens twittert sie „Erstmal Kaffee“ für fast 18 000 Follower, auf Facebook gibt es Lyrik zur Nacht für rund 10 000 Freunde. Die Wirtschaftsaktivistin ist eine öffentliche Person. Sie verteidigt bei Maybritt Illner Merkels Flüchtlingspolitik, bietet Markus Söder die Stirn, streitet in Vorträgen und im neuen Buch „Fairarscht“ wider ein Gutmenschentum, das sich mit Fairtrade ein gutes Gewissen erkauft. Sie polarisiert auf allen Kanälen. Ihr Mann sagte mal: „Du bist wie der FC Bayern: Die eine Hälfte liebt Dich, die andere hasst Dich“.

In Sinas Buch „Wunder muss man selber machen“ steht der Schlüsselsatz, den man braucht, um sie zu verstehen. Zur ungleichen Verteilung des Wohlstands im Land schreibt sie: „,Man müsste sich einfach mal wehren!‘, werden Stimmen laut. Natürlich. Aufstehen, sich empören und etwas dagegen tun. Was dabei gerne vergessen wird: Wie soll jemand, der täglich um ein weiteres Stückchen Kraft beraubt wird, aufstehen und dagegen angehen?“ Ihr Schluss: Wer das Geld und die Kraft hat, muss es für andere tun.

„Sorg’ dich nicht um mich, du weißt ich liebe das Leben“: Sina schmettert den alten Vicky-Leandros-Schlager quer durch die Halle. Die Ladies drehen sich nicht einmal um. Sie kennen das schon. Der alte Bösendorfer ihrer Chefin steht zwischen hochgestapelten Stoffballen, Paletten und hüfthohen Kartons mit Styroporchips. Sina haut in die Tasten – und bricht dann in schallendes Gelächter aus.

Journalisten und Talkshow-Redaktionen lieben sie: erfolgreich, sozial, immer für eine Schlagzeile gut – und dazu noch attraktiv. Eine sexy Mutter Teresa von Augsburg. Allerdings verlässt sich Trinkwalder bei wichtigen Dingen nicht auf den lieben Gott: „Wunder muss man selber machen“ heißt ihr erstes Buch. Darin kommt mancher nicht gut weg. Bayerische Politiker beispielsweise, die sich mit der taffen Unternehmerin schmückten und Preise überreichten, sich aber wegduckten, als es um Förderzusagen und konkrete Unterstützung ging.

Und dann muss man anerkennen, dass Pipi Langstrumpf nicht recht hatte. "Im Grunde genommen kann ich alles", sagte...

Posted by Sina Trinkwalder on Dienstag, 2. Februar 2016

Mit knapper Not, Charme und Überzeugungskraft konnte Sina Trinkwalder an jenem denkwürdigen Karfreitag eine drakonische Geldbuße abwenden. Und nahm den Damen, die ihre Arbeitszeit frei bestimmen dürfen, die Schlüssel zur Firma ab. Die Chefin hat Lehrgeld bezahlt. Wer zu oft nicht zur Arbeit erscheint, fliegt raus. Wer sozial ist, läuft Gefahr, ausgenutzt zu werden. „Ich musch des lernen“, sagt die bayerische Schwäbin.

Im Clinch mit Horst Seehofer

Sina hat den Fairnesspreis erhalten, den Nachhaltigkeits- und Bürgerkulturpreis, zuletzt das Bundesverdienstkreuz. Im Nachgang kabbelte sie sich öffentlich mit Horst Seehofer. Sie löste einen Shitstorm aus, wurde beschimpft und bedroht. Die Drogeriekette nimmt nicht mehr so viele Stoffbeutel ab wie in den Anfangsjahren. 2014 wurde bekannt, dass ein großer Teil der von „dm“ als Vorzeigeprojekt beworbenen Taschenproduktion nach Indien ausgelagert worden ist.

Sinas grüngraue Katzenaugen funkeln, meist fröhlich, manchmal angriffslustig: „Aufgeben geht nicht!“. Mathe ist nicht ihr Ding. Doch sie handelt nach einer einfachen Rechnung: „Man muss immer einmal mehr aufstehen, als man hinfällt.“

Wärmepflaster auf den breiten Rücken, und weitermachen. So. #berufsoptimist

Posted by Sina Trinkwalder on Freitag, 19. Februar 2016

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Eine Auswahl der Artikel aus demMZ-Wochenendmagazin nr. sieben finden Sie hier.