Justiz
Richter will Mollaths Mitleid nicht

Der pensionierte Justizbeamte sagt vor Gericht, das Urteil zu Gustl Mollath sei „nicht zu beanstanden“ gewesen. Alle Details finden Sie im Newsblog.

17.07.2014 | Stand 16.09.2023, 7:19 Uhr
Gustl Mollath muss sich wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung verantworten. −Foto: dpa

Als der weißhaarige Mann sagt, dass das Verfahren gegen Gustl Mollath nur eines von sehr vielen gewesen sei und er davon überhaupt nichts mehr wisse, geht ein Raunen durch den Saal. Die Zuschauerbänke sind restlos gefüllt, „Ja, Ja“, ruft jemand. Eine Mischung aus Spott und Enttäuschung. Die Vorsitzende Richterin mahnt zur Ruhe. Otto Brixner, der Zeuge, dreht sich nicht um – mit so etwas muss er schon gerechnet haben, als er im Blitzlichtgewitter die Türen zum Landgericht öffnete.

Brixner ist einer von zwei Zeugen, die an diesem Donnerstag im Wiederaufnahmeverfahren gegen Gustl Mollath geladen sind. Brixner, der Mann, der das umstrittene Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth 2006 unterschrieb und Mollath so wegen eines angeblichen Wahns endgültig in die Psychiatrie abschob, und der Mann, der den Angeklagten zuerst begutachten sollte, sich dann aber für befangen erklärte, Dr. Michael Wörthmüller, Leiter der Forensik am Erlangener Klinikum. Brixners Aussage ist mit Spannung erwartet worden. Aber als Richterin Escher Details aus Brixners Urteil von 2006 vorliest und mehr wissen will, sagt der Mann nur: „Das weiß ich nicht mehr.“ Escher: „Kennen Sie den neuen Mann der Petra M., den Martin M.?“ – Brixner: „Ja, freilich kenn ich den.“ Er habe Martin M. im Handballverein im Frühjahr 1982 trainiert. Unter anderem wegen dieser Verbindung ist Brixner harsch kritisiert worden. Am Donnerstag bestreitet er, engen Kontakt zu diesem Mann gehabt zu haben. Brixner sagt, er habe wegen des Falles Mollaths kurz vor seinem 70. Geburtstag wiederholt Drohanrufe bekommen: „Du alte Drecksau, du sollst verrecken.“

Über den Zustand der Justiz

Mit Staunen habe er festgestellt, dass seine Beisitzerin dem Untersuchungsausschuss des Landtags erzählt hat, er habe mit Martin M. vor dem Prozess 2006 gesprochen. Er könne sich nicht daran erinnern. So geht es noch lange weiter, Brixner weist alle Vorhalte und Vorwürfe von sich, ab und an wird er laut. Aber einen Wutausbruch, den er damals gehabt haben soll, wird es nicht geben. Dazu, dass sein Urteil diverse Fehler enthält, erklärt er: „Im Nachhinein muss ich sagen, das hätte ich sehen müssen. Da brauche ich nicht nach Entschuldigungen zu suchen.“ Ob das Urteil wirklich so schludrig ist, bezweifelt Brixner. „Dem Bundesgerichtshof hat unser Urteil gereicht.“

Ob er zu seinem damaligen Schöffen gesagt haben soll „Dem schaut der Wahnsinn aus den Augen“, dazu will sich Brixner nicht äußern. Das wäre ein „Verstoß gegen das Beratungsgeheimnis.“ Der Schöffe hatte das vor wenigen Tagen im Wiederaufnahmeverfahren ausgesagt. Verteidiger Gerhard Strate bohrt da nach: „Haben Sie sich so geäußert?“ Brixner kann sich nicht erinnern: „Ich wüsste nicht, warum ich sowas gesagt haben sollte.“

Als Mollath mit seiner Vernehmung beginnt, wird Brixner lauter: „Grüß Gott, erst einmal mein Beileid zum Tod ihrer...“ – „Ach, hören Sie auf. Lassen Sie das bitte (...) Ich brauche kein Mitleid von Ihnen.“ Mollath will wissen, ob er Verhandlungen, bei denen es um eine Unterbringung in der Psychiatrie geht, immer im Schnellverfahren abgearbeitet habe. Brixner: „Ich habe das Verfahren so terminiert wie andere auch.“ Mollath fragt, ob er es richtig verstanden habe, dass Brixner unter hohem Druck stand. Zeuge: „Ich habe nur einen Zustand geschildert, wie er in der Bayerischen Justiz üblich ist.“ Ob in Nürnberg, Regensburg oder München – überall gebe es zu wenig Personal.

Zuvor hatte am Donnerstag der erste gerichtlich beauftragte Psychiater, Dr. Michael Wörthmüller, erklärt, warum er den zur Zwangsbegutachtung eingewiesenen Angeklagten im Juli 2004 nicht begutachtet hatte. Denn ein Nachbar, damals ein Arbeitskollege von Frau Mollath, hatte ihm schon vor der Zwangseinweisung anonym den Fall sowie die Schwarzgeldvorwürfe des Mannes geschildert. Der Nachbar habe dann um eine Einschätzung zum Grad der Bedrohlichkeit gebeten. Daraufhin habe Wörthmüller seinem Nachbarn eine „laienhafte Einschätzung“ über den Geisteszustand Mollaths gegeben. Er habe damals ja nicht ahnen können, jemals mit ihm beruflich zu tun zu haben.

„Dramatisch und schlimm“

Als er dann später Gustl Mollath untersuchen sollte, sei ihm schnell klar geworden, dass er nicht die notwendige Objektivität habe, betonte der 56-Jährige. Daher habe er einen Befangenheitsantrag gestellt und die Überstellung Mollaths nach Bayreuth vorgeschlagen. Als Mollath am 30. Juni 2004 mit Handschellen zu ihm gebracht wurde, sei der Angeklagte nicht aggressiv, eher eigentümlich gewesen. Immer wieder habe er mit ihm über Schwarzgeldverschiebungen gesprochen und dem Arzt unterstellt, etwas damit zu tun zu haben.

Später verliest Strate wie Mollath diese sieben Tage erlebt hat: „Über Tage wurde ich in Vollisolationseinzelhaft gequält...“ Er habe nicht schlafen können, das Licht sei immer eingeschaltet gewesen, andere Patienten hätten nachts laut geschrien, er sei unter Dauerbeobachtung gestanden, man habe ihm mit Fixierung gedroht. Wörthmüller distanziert sich von Quälerei-Vorwürfen, aber in der geschlossenen Abteilung untergebracht zu sein, sei sicher keine angenehme Situation. Mollath fragt am Ende selbst: „Ist Ihnen klar, was es bedeutet, siebeneinhalb Jahre in verschiedenen Bezirkskrankenhäusern gehalten worden zu sein?“ – „Ich finde ihre Geschichte dramatisch und schlimm.“

Der Prozess wird an diesem Freitag fortgesetzt. Dann wird das rechtsmedizinische Gutachten erwartet.