Brauchtum
Sie platteln, bis die Lederhose reißt

Acht gut gebaute Oberpfälzer revolutionieren den bayerischen Balztanz. Die „Neidaffer“ springen und klatschen auch zu Rock.

05.01.2017 | Stand 16.09.2023, 6:31 Uhr

Der „Neidaffer Plattlerclub“ bei einem Auftritt: Stramme Jungs vollführen den bayerischen Balztanz zu Rock- und Popmusik. Fotos: Franz Hüttner

Regensburg. Das Video ist ein bisschen verwackelt, aber was man sieht, ist schon sehr bizarr. Auf einer Bühne im Eventzentrum Strohofer in Geiselwind hüpfen sieben gut gebaute Männer in Lederhosen im Kreis, schütteln ihre langen schwarzen Zottelhaar-Perücken, schlagen sich mit der flachen Hand auf Schenkel, Sohlen und Schultern. Wenn da nicht die Scheinwerfer wären und statt des Holzbretterbodens gestampfter Lehm: Es könnte sich hier auch um einen inbrünstigen Regentanz in Papua-Neuguinea handeln oder um ein imposantes indianisches Beschwörungsritual.

Als der Tanz zum Höhepunkt kommt, riffelt einer der Sieben exstatisch zum stampfenden Sound von „Highway to Hell“ eine Luftgitarre, hüpfend und headbangend, genau Angus Young von AC/DC. Das Video auf der Homepage des „Neidaffer Plattlerclubs“ ist, wie gesagt, von mäßiger Qualität und stammt auch schon von 2012. Neuere Filmchen stellt der Club nicht ins Netz: „Wir wollen keine Nachahmer“, sagt Franz Hüttner, Plattler-Name: Gustav, einer aus der wilden Truppe auf Neudorf (eingebayerischt auf „Neidaff“) bei Luhe-Wildenau im Kreis Neustadt/Waldnaab.

Platteln bis zum Hangover

„Ein paar verrückte Buam“, wie der Club über sich selbst schreibt, konnten nach einer Kirwa 2011 das Schuhplatteln nicht mehr aufhören. Sie gründeten einen Club. Fünf bis acht Mann hoch treten sie bei Hochzeiten, Kirchweihfesten, Betriebsfeiern oder Geburtstagspartys auf und platteln – nicht zu bayerischen Landlern und Polkas, sondern zu handfestem Rock und hitverdächtigem Pop. Die „Neidaffer“ greifen sich aus den Charts das Material für ihre Auftritte. Helene Fischer würde „Atemlos“ staunen über das, was die Oberpfälzer aus ihrem Hit machen. Andreas Gabalier („Hulapalu“), Hubert von Goisern („Brenna tuats guat“), David Guetta („Would I Lie To You“) oder die Alpenrebellen („(Rock Mi“) sind die Stars, die die Lederhosen-Gang aus Neudorf verplattelt. „Wir sind schon recht professionell“, sagt Franz Hüttner (22).

„Das ist Hochleistungssport“

Der Club mit seinen acht Mitgliedern schwimmt auf der Welle des progressiven Bayern-Rocks. Vor den Auftritten – einige Dutzend im Jahr – geht die Truppe die Choreographie durch und passt sie der Größe der Bühne an; viel mehr an Proben braucht sie nicht. Die Burschen mit den strammen Wadeln wollen mit ihrem Spaß an Musik und Tracht anstecken. Dazu braucht es Kondition. „15 oder 25 Minuten Platteln, das ist wie 15 oder 25 Minuten Seilspringen und mit dem Oberkörper rotieren. Hochleistungssport“, sagt Hüttner. Training? „Wir sind keine, die gern auf der Couch liegen. Ein paar von uns spielen Fußball.“ Wer länger kopfüber an den Oberschenkeln seines Tanzpartners hängt, „spürt jeden Muskel, die er länger nicht bewegt hat“, erzählt der 22-Jährige. Bevor die Jungs schlapp machen, gibt aber höchstens die Lederhose nach. Der Verschleiß ist hoch. „Das Leder wird halt schnell dünn.“ Manchmal reißt es. Der Pechvogel wird selbstverständlich spöttisch vorgeführt.

Im Leben, das sich außerhalb der Bühne abspielt, sind die „Neidaffer“ Physiklaborant wie Hüttner, oder Banker, Elektroniker, Student, Krankenpfleger, Schüler. Der Jüngste ist 16, der älteste 40. Zwei der acht spielen ein Instrument. „Aber wir sind eher Entertainer als Musiker“, sagt Hüttner. Deshalb gehört zur Show mehr als „Platteln bis zum Hangover“. Einer übernimmt die Rolle des Moderators, reißt Witze und erzählt ein bisschen vom Gründungsmythos. Und häufig treten die Burschen in voller Montur auf: zu „Timber“ von US-Rapper Pitbull etwa mit Motorsäge, Helm, Ohrschutz und oranger Sicherheitsweste.

Der Gauverband geht auf Distanz

Die Resonanz ist gewissermaßen bärig. „Die Leute finden es toll – vor allem bei Hochzeiten.“ Einer, der die Gaudi nicht so lustig findet, ist Alexander Herold, Gauvorplattler beim Oberpfälzer Gauverband der Heimat- und Trachtenvereine. „Wir betrachten diese Strömung kritisch“, sagt er, „weil das mit Brauchtum im ursprünglichen Sinn nichts zu tun hat.“

Der Ursprung: Der Plattler geht zurück auf einen Werbetanz in der Zeit der Holzknechte. Der Bua wirbt ums Madl, und wenn er nicht sehr redegewandt ist, zeigt er sein athletisches Potenzial eben mit Springen und Klatschen. Der Imponiertanz, ausgeführt im Dreivierteltakt des Landlers, stammt aus dem Alpenraum. Im Zugehörigkeits- und Gruppentaumel der Jahrhundertwende formierten sich auch Plattler zu Vereinen in einheitlicher Tracht. Als um 1900 immer mehr Sommerfrischler, „Preißn“ vor allem, in den Bergen unterhalten werden wollten, erstaunte man sie gern mit dem bayerischen Balztanz.

Heiratsbedingt landeten die „Neidaffer“ 2015 sogar im Fernsehen. In der Serie „4 Hochzeiten – eine Traumreise“ wollte der Club ein Paar zum Sieg platteln. Das klappt zwar nicht – aber „die Zwei sind glücklich geworden“. Und die PR stimmte natürlich.

Die Lederhosen werden auch bei Gautrachtler ziemlich strapaziert. Und das A und O beim Auftritt ist für die „Neidaffer“ und wie für Verbandstänzer das präzis-synchrone laute Klatschen. Tut das weh? „In den ersten vier Wochen sind die Oberschenkel blau und die Handflächen rot“, sagt Franz Hüttner. „Aber dann wird geht’s.“ Der Indianer kennt keinen Schmerz.