Prozess
Trisomie 21: Klage der Eltern abgewiesen

Kann ein Kind ein „Schadensfall“ sein? Weil es behindert ist, oder gar, weil es zur Welt kam? Das OLG München sagt nein.

04.02.2016 | Stand 16.09.2023, 6:48 Uhr

Die vierjährige, mit Down-Syndrom geborene Jasmin aus dem Landkreis Freyung-Grafenau, kniet auf einem Flur im Oberlandesgericht München. Ihre Eltern verklagen ihre Ärzte auf Schadenersatz und Unterhalt. Foto: dpa

Das Oberlandesgericht München hat eine Klage von Eltern auf Unterhalt für ihr behindertes Kind abgewiesen. Das Paar aus dem Landkreis Freyung-Grafenau hatte von Frauenärzten Schadenersatz und Schmerzensgeld verlangt, weil sie das Down-Syndrom und einen Herzfehler in der Schwangerschaft nicht erkannt hatten. Dem beklagten Mediziner sei aber kein Vorwurf zu machen, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Steiner am Donnerstag. Die Eltern verlangten in zweiter Instanz von den Medizinern den Ersatz für den Mehraufwand durch den Unterhalt ihrer behinderten Tochter sowie mindestens 10 000 Euro Schmerzensgeld.

„Es tut mir leid für Sie“

„Es tut mir leid für Sie“, sagte Steiner, an die Eltern gewandt. Er verstehe gut, dass sie von der Behinderung hätten wissen wollen. Es gehe um ein schweres Schicksal. Aber: „Sie werden bei uns nicht gewinnen, so wenig wie vor dem Landgericht.“

Der Sachverständige und Pränatalmediziner Rainer Bald hatte vor Gericht dargelegt, das im Ultraschall vor der Geburt sichtbare, womöglich geringfügig verkürzte Nasenbein sei kein signifikanter Hinweis auf eine Trisomie 21 gewesen. Deshalb sei es gerechtfertigt gewesen, dass der untersuchende Arzt dieses Detail gar nicht mit der werdenden Mutter besprochen hatte – um diese nicht unnötig in Sorge zu stürzen. Weitere Parameter wie die Länge des Oberschenkelknochens hätten keinerlei Auffälligkeiten ergeben.

Auch der Herzfehler des Mädchens hätte zwar eventuell festgestellt werden können, aber nicht festgestellt werden müssen, sagte Bald. Nur in 40 bis 50 Prozent der Fälle würden Herzfehler schon während der Schwangerschaft erkannt.

Mutter war an Multipler Sklerose erkrankt

Die Eltern, die bereits drei Kinder hatten, argumentierten, sie hätten die Schwangerschaft unterbrechen lassen, wenn sie von der Behinderung gewusst hätten. Die damals 28 Jahre alte Mutter von drei Kindern war 2009 an Multipler Sklerose (MS) erkrankt. Als sie 2010 wieder schwanger war, wollte sie mit den Ärzten mögliche Risiken für das Ungeborene durch die Medikamente abklären, die sie wegen ihrer MS-Erkrankung nehmen musste. Ein behindertes Kind schien die Grenzen der Belastbarkeit zu überschreiten, sagen sie heute – auch wenn die kleine Jasmine heute geliebtes Nesthäkchen der Familie ist.

Das Landgericht München hatte die Klage der Frau in erster Instanz im vergangenen Sommer abgewiesen. Die Behinderungen des Mädchens seien durch eine Verkettung unglücklicher Umstände nicht erkannt worden. Gegen das Urteil hat das Paar Berufung eingelegt. Das OLG ließ eine Revision nicht zu. Ob die Eltern Nichtzulassungsbeschwerde einlegen ist nach Angaben ihrer Anwältin noch offen.

„Überhaupt kein Verständnis“ für eine solche Klage hat Violetta Paprotta. Die Mutter von vier Kindern aus dem Landkreis Neumarkt, brachte vor fünf Jahren ihren Sohn Mattis mit dem Down-Sydrom zur Welt. Es war ihre dritte Schwangerschaft, die Nackenfaltenmessung im dritten Schwangerschaftsmonat wies auf das hohe Risiko eines Gendefekts hin, doch Paprotta und ihr Mann entschieden sich gegen weitere Tests. Ganz bewusst: „Ich wollte das Kind. Ich habe einfach abgewartet“. Auch als in der folgenden Schwangerschaft in den Untersuchung wieder Trisomie 21 diagnostiziert wurde, war ein Abbruch für sie nie eine Option: „Wie hätte ich das Mattis erklären sollen? Da kam noch einer wie Du, den habe ich dann umgebracht?“. Sie verlor das Kind in der 20sten Schwangerschaftswoche. Als sie erneut schwanger wurde, entschied sie sich ganz gegen die Pränataldiagnostik und ließ sich fast nur von Ihrer Hebamme betreuen. Das Baby kam gesund zur Welt.

Violetta Paprotta genießt das Leben mit ihren vier Kindern, von denen Mattis trotz seiner Behinderung „nicht das aufwändigste ist“, wie sie selber sagt. Sie kann sich vorstellen, dass die selbst kranke Klägerin sich überfordert fühlt, aber dass die Geburt eines Kindes als „Schaden“ gesehen werden kann, ist für sie nicht nachvollziehbar. Und ein solcher Gerichtsprozess, sagt sie, setze alle unter Druck: die Ärzte, die sich vor ähnlichen Klagen nur schützen können, wenn sie im Zweifelsfall eher zur Abtreibung raten. Die Schwangeren, die sich rechtfertigen müssen, wenn sie nicht alle potentiell möglichen Untersuchungen mitmachen. Und die Mütter behinderter Kinder, die sich vorwerfen lassen müssen, ihr Kind überhaupt zur Welt gebracht zu haben.

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