Recht
Wenn sich die Polizei vermummt

Falls Ordnungshüter das Gesetz brechen, kommen sie fast immer ohne Konsequenzen davon – auch weil es ihnen fehlende Regelungen so leicht machen.

12.10.2012 | Stand 16.09.2023, 21:05 Uhr

Keine Demo ohne Polizei: Die Beamten tragen Helme, aber keine Nummer. Schwarze Schafe sind so nur schwer zu ermitteln. Foto: dpa

Der Anlass ist nichtig, als am 21. Juni 1962 eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte der bayerischen Polizei beginnt – es ist das Kapitel, das auch 50 Jahre später noch seine Schatten werfen wird. Fünf Straßenmusiker spielen auf ihren Gitarren Volkslieder, umgeben sind sie von gut gelaunten Zuhörern, bis sich ein Anwohner beschwert und die Polizei die Musikanten verhaftet – und die fünftägigen Straßenschlachten in München beginnen. 10000 Protestierer stehen Reiterstaffeln der Polizei und ihren Schlagstöcken gegenüber. Hunderte werden festgenommen, Hunderte werden verletzt. Später werden sie als die „Schwabinger Krawalle“ bekannt sein. Gegen knapp 250 junge Leute wird später ermittelt, Haftstrafen werden verhängt. Polizisten werden kaum belangt. 143 werden angezeigt, nur einer rechtskräftig verurteilt.

Solche Statistiken haben sich bis heute kaum verändert. Hunderten von Anzeigen gegen Polizeibeamte jährlich stehen oft nicht mal eine Handvoll Verurteilungen gegenüber. Auch nach den Schwabinger Krawallen forderten Bürger und Politiker von Polizisten ein, sich durch Dienstnummern und Namensschilder zu kennzeichnen, um Bürger vor Übergriffen von Staatsbeamten zu schützen. Vor fast genau 50Jahren, am 12.Oktober 1962, lehnt das der Polizeipräsident ab. Seither erneuern Initiativen in ganz Deutschland wie beispielsweise die Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten immer wieder ihre Forderungen. In Bayern lehnt der Landtag Vorstöße der Opposition genauso regelmäßig ab – zuletzt im November 2011 durch die Stimmen von CSU, FDP und Freien Wählern.

Ein Polizist, dem keiner glaubt

Am Donnerstagabend verteidigt Gerhard Knorr diese Entscheidung im Namen der Polizei erneut, als er damit in einem Regensburger Gasthaus konfrontiert wurde. Für Knorr war es ein einsamer Abend, obwohl der Wintergarten des Gasthauses bis auf den letzten Platz gefüllt war. Der Polizei-Gewerkschafter saß knapp 50 Personen gegenüber, die der Einladung des Arbeitskreises sozialdemokratischer Juristen gefolgt waren. Knapp zwei Stunden wird Knorrs Folter dauern – jede Aussage wird widerlegt werden, jede Wortmeldung wird sich an ihn richten. Irgendwann wird er sich nur noch wiederholen.

Polizisten, die das Gesetz überschreiten, seien Einzeltäter – die Fälle kämen nicht über den Promillebereich hinaus, auf Demonstrationen schützten sich Polizisten nur, wenn sie gefährdet wären. Man gebe sich sehr wohl zu erkennen. Und niemand habe ein Interesse daran, schwarze Schafe in den eigenen Reihen zu schützen. Doch falls eine Kennzeichnungspflicht eingeführt wird, gebe es mehr Übergriffe auf Polizisten. Wenn die Kollegen dann radikalisierten Gruppen gegenüberstehen, „dann wird das Namensschild zur Zielscheibe“.

Wer ist der eigentliche Feind?

Bei Knorrs Tischnachbarn – dem Schwandorfer SPD-Abgeordneten Franz Schindler und dem Regensburger Strafverteidiger Dr. Jan Bockemühl – rufen diese Aussagen nur Kopfschütteln hervor. Bockemühl macht gleich zu Beginn klar, dass es in Deutschland einen guten Polizeiapparat gebe, aber dass die Polizei gut daran täte, „mit offenem Visier“ voranzugehen – auch um ihren schlechten Ruf loszuwerden. In seiner Kanzlei häufen sich Akten mit der Aufschrift „Widerstand“. Bockemühl: „Das sind Fälle, in denen der Bürger das Rennen um die ersten Anzeige verloren hat – Widerstand gegen die Staatsgewalt.“

Mehrfach habe er es erlebt, wie Polizisten sich schützen, in dem sie den Sachverhalt umdrehen oder einfach keine Aussage zu ihrem oder dem Vorgehen von Kollegen tätigen. Die Folge: Die Staatsanwaltschaft glaube der Polizei, das eigentliche Opfer erhalte einen Strafbefehl. Und dann passiere etwas, dass Bockemühl als „bayerischen Freispruch“ bezeichnet: Das Verfahren wird eingestellt. Er plädiert dafür, ein „rollierendes System“ einzuführen. Soll heißen: Beamte im Einsatz erhalten keine festen, sondern ständig wechselnde Nummern.

Franz Schindler pflichtet dem bei. Es sei ein Wesensmerkmal der Demokratie, dass staatliche Macht nicht anonym ausgeübt werden könne. Schon wegen des Rechtsstaatsprinzips müsse jede Handlung der Polizei auch einer Person zugeordnet werden können. Ein Richter unterschreibe sein Urteil schließlich auch mit seinem Namen. Durch eine Nummer erwachse für die Beamten keine zusätzliche Gefahr – dafür gebe es auch keinen Beweis. In Europa hätten die meisten Länder eine Kennzeichnungspflicht eingeführt; in Brandenburg sei diese von der CDU vorangetrieben worden. In Berlin soll sie 2013 in Kraft treten. „Warum also nicht auch in Bayern?“

Als Schindler dann ein Schreiben der Münchner Staatsanwaltschaft verliest, wird eine Frau in der ersten Reihe unruhig. Später sagt sie, dass sie diesem Brief nur zustimmen könne. Die Frau heißt Ulrike Pauckstadt-Maihold, sie ist leitende Oberstaatsanwältin in Nürnberg. „Wir können Fälle gegen einen unbekannten Polizisten einfach nicht aufklären“. Gewaltbereite Demonstranten hätten die Polizei zum Feindbild – nicht einzelne Namen.