MZ-Serie
Der Prangertag und die Bratwürstl

Zum Monatsende gibt es wieder Wissenswertes rund um den Dialekt. Diesmal beschäft sich Professor Zehetner unter anderem mit der Laut- und Formenlehre.

24.07.2014 | Stand 24.07.2014, 19:00 Uhr
Am Prangertag sind die Straßen geschmückt, die Menschen tragen Festtagskleidung. −Foto: altrofoto

Der Prangertag hat nichts mit der Farbe braun zu tun

An Fronleichnam erhielt ich folgende Frage: „Der heutige Feiertag wird landläufig auch ‚Braunertag‘ genannt. Hängt das mit ‚braun‘ zusammen, vielleicht weil die Bratwürstl, die man am Nachmittag grillt, schön braun werden sollen?“ Nein, weit gefehlt! Der Fronleichnamstag heißt in Altbayern „Prangertag“. Die Bezeichnung kommt von „prangen“, das heißt: festlich geschmückt sein wie die Straßen und Plätze auf dem Prozessionsweg, wie die Menschen in Festtagskleidung oder in Volkstrachten, die Mädchen mit Blumenkränzchen im Haar. Der „Prangertag“ wurde in vereinfachter Aussprache zum „Brannertag, Branadog“. Von da aus ist es nicht weit zum „Braunertag“. Diese lautliche Variante hat man sich wohl zurechtgelegt, um eine Erklärung zu konstruieren. (Gefragt hatte Kerstin Bringk.)

Mach niat so a Branks!

Zu „prangen“ in einer besonderen Bedeutung gehört auch „Brànks“, ein Ausdruck, den man ausschließlich in der Oberpfalz kennt. Für „prangen, prangezen, prangßen“ gibt Schmeller als Bedeutung an: ‚sich zieren (im üblen Sinne), aus Ziererey nicht zugreifen, nicht vorwärts kommen etc., zaudern, langsam seyn und thun‘ (Bayerisches Wörterbuch, Band I (1872), Spalte 469 f.). Auch führt er die Substantive „das Gepránkß“ und „der Prangß“ an. Letzteres erklärt er als ‚Ziererey, unnöthige Ceremonie‘. Aus Neunburg vorm Wald stammen die aktuellen Belege: „Mach niat so a Branks! Ho niat a so a Branks!“ Zu erwarten wäre eigentlich „an Branks“; denn Schmeller verzeichnet das Wort als Maskulinum. Der Einsender umschreibt die Bedeutung so: ‚Mach nicht so viel Tamtam, zier dich nicht, fang endlich an!‘ (Es fragte Otto Reimer aus Neunburg.)

Der Söldner auf der Sölde

Auf einem Grabstein aus dem Jahr 1921 liest man, dass an dieser Stelle „ruhen in Frieden Johann und Agathe Schneider, Söldnerseheleute von dahier“. Man stutzt. Kann es ein Söldner-Ehepaar geben? Söldner, also Sold-Empfänger, Soldaten waren doch ausschließlich Männer. Das ist richtig. Doch hat „Söldner“ noch eine weitere Bedeutung, und die steht in keinem Zusammenhang mit „Sold“. Früher hat man die bäuerlichen Anwesen je nach der Größe des Grundbesitzes unterschiedlich bezeichnet. Es gab den „ganzen Hof“ mit 50, 60 oder mehr Tagwerk bewirtschaftetem Land; der Besitzer eines solchen hieß „Bauer“ oder „Maier, Moar“. Die Familiennamen „Bauer, Baur, Maier, Meier, Mayer, Mayr“ leiten sich davon her. Kleiner war ein „halber Hof“, auch „Hube“ genannt, was zu dem vor allem in Bayern häufigen Familiennamen „Huber, Hueber“ führte. Ferner gab es Drittel-, Viertel- und Achtelhöfe. Letztere wurden auch als „Sölde“ bezeichnet. Noch kleiner war dann ein „Häusl“, erst recht das „kleine Häusl“, die einem Sechzehntel- bzw. Zweiunddreißigstel-Hof entsprachen. Die Kleinbauern, die Söldner, Häusler und Kleinhäusler konnten ihre Familien meist nicht vom Ertrag der bescheidenen Landwirtschaft ernähren, sondern mussten zusätzlich als Handwerker oder Taglöhner arbeiten und dazuverdienen. „Söldner“ waren also die Bewirtschafter eines kleinen landwirtschaftlichen Anwesens, einer „Sölde, Selde“. Das Wort geht zurück auf althochdeutsch „selida“ im Sinne von ‚Herberge, Unterkunft, Hütte‘. Zugrunde liegt die ursprüngliche Bedeutung von althochdeutsch „sal“ = ‚Wohnraum, Haus‘. (Die Frage stellte Ludwig Völkl aus Schierling.)

Nix z’lachen – nix zum Lachen

Im Internet-Wissensportal Wikipedia findet man zur Demonstration der bairischen Lautung den Satz: „Mei Bruada is in’n Kella ganga, um a Flaschn Wein z’hoin.“ Die wesentlichsten Charakteristika der (mittel-)bairischen Laut- und Formenlehre sind korrekt angegeben. Was jedoch nicht stimmt, ist der Nebensatz mit „um zu + Infinitiv“. Gleiches trifft zu für eine aus dem Norden zugezogene Dame, die sich große Mühe gibt, Bairisch zu lernen. Ihr legte man den folgenden Satz vor mit der Bitte, ihn ins Bairische zu übertragen: „Ich bin auf den Baum gestiegen, um die Äpfel zu ernten.“ Hier das Ergebnis: „I bin auf’n Baam gschdiang, um d’Äpfl z’erntn.“ Die Gute hat gewusst, dass die Treppen in Bayern und Österreich „Stiegen“ heißen, ausgesprochen „Stiang“ (nordbairisch „Stäing“). Die Verbform „gestiegen“ sieht so aus, als hätte sie denselben Zwielaut. Es liegt aber einfacher Langvokal vor (mittelhochdeutsch „gestigen“; vgl. „Auf-, Ab-, Einstieg“). Die Wörter „Ernte, ernten“ (mundartlich „Ààrn(t), àà(r)na“) werden nur im Zusammenhang mit Getreide gebraucht; bei Obst und Beeren hingegen sagt man „owa-doa / -dou“ (herab-, heruntertun) oder „brocken“ (nicht „pflücken“). Wiederum taucht die Konstruktion „um zu + Infinitiv“ auf, die dem bairischen Sprachgefühl zuwiderläuft; denn dieses syntaktische Muster ist der Mundart fremd. Die Nebensätze „um a Flaschn Wein z’hoin“ und „um d’Äpfl z’erntn“ erweisen sich als Schriftsprache in mundartlicher Lautgestalt, als Möchte-gern-Dialekt. Wer das Bairische wirklich beherrscht, kann auf Anhieb sagen, wie es richtig heißt. Bei Wikipedia: „weil a-r a Flaschn hoin woit“ oder „und hoid a Flaschn“ oder „(Er) is um a Flaschn in Kella ganga“, bei der norddeutschen Dame: „weil i d’Epfe owa-doa hob woin“ oder „und hob d’Epfe owa-doa woin“ oder „zum Epfebrocka“.

Dem schriftdeutschen „zu“ (als Präposition, vor Adjektiven, beim Infinitiv) entspricht bairisch „z“. Es wird streng unterschieden zwischen „z“ (aus mittelhochdeutsch „ze“) und „zua“, nordbairisch „zou“ (aus „zuo“); in der Schriftsprache hingegen sind die beiden Wörter zusammengefallen in der einheitlichen Form „zu“. Bei Ortsangaben kann im Dialekt die Präposition „z“ statt „in“ stehen: „Wohna duads z’Straubing, owa oawan duads z’Rengschbuag“. Ein Erdinger Autohändler setzt in die Schriftzeile des Nummernschildrahmens der bei ihm gekauften Fahrzeuge: „I bin aa oana vom Weber z’Arding“ – absolut stimmiges Bairisch! Für ‚zu langsam, zu wenig, zu zäh‘ heißt es: „z’lanxam, z’weng, z’zààch“. Im Unterschied dazu aber steht „zua / zou“ in Aussagen wie: „Wia geht’s’n do herinn zua! Mochts d’Dia zou! Äitz foama àf Grenz zou“. – Vermieden werden, wie oben gezeigt, Nebensätze mit „um zu + Infinitiv“. Es ist nicht möglich, den hochsprachlichen Satz „Wir sind hier, um zu feiern“ in die Mundart umzusetzen als: „Mia sàmma do, um z’feiern“. Man sagt: „Mir sàmma zum Feiern do.“ Die Fügung „zum + substantiviertes Verb (= Gerundium)“ expandiert zusehends – gerade bei jüngeren Dialektsprechern – und ersetzt diejenige mit einfachem „z“. Anstelle von „Es gibt wos z’essn. Der hod nix z’lacha“ registriert man immer öfter: „Es gibt wos zum Essn. Der hod nix zum Lacha.“ Selbst in zusammengesetzte Verbformen schleicht sich „zum“ ein (statt „zu / z‘“). Mit Verwunderung nimmt man Beispiele wie die folgenden zur Kenntnis: „Des Formular is aus-zum-Fülln; koa Zeit, sich hin-zum-Leeng; um ihr Einkommen auf-zum-Bessern; schwer auseinander-zum-Halten“ – statt „auszufüllen, hinzulegen, aufzubessern, auseinanderzuhalten“. Da in „zum“ der bestimmte Artikel enthalten ist („zu dem“), muss das Verb als substantiviert gelten und mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben werden. (Die Anregung lieferte Dr. Ludwig Waldmann)

Noch mehr Bayerisch mit dem Dialektpapst Prof. Dr. Ludwig Zehetner gibt esin unserem Podcast „Basst scho!“.