Mundart
Man redt ja net, man sagt’s ja bloß

Im Bairischen haben „reden“ und „sprechen“ unterschiedlichen Sinn.

22.04.2010 | Stand 22.04.2010, 19:34 Uhr

Abweichend von der Hochsprache sind „reden“ und „sprechen“ im Dialekt keine Synonyme. Weitgehend gilt noch heute, was Schmeller im 19. Jahrhundert festgestellt hat: „‚Sprechen‘ hat im Munde des Volkes fast durchgängig den Nebensinn des Großsprechens, affektierten Sprechens, indem für gewöhnlich das Verb ‚reden‘ vorgezogen wird.“ Für ‚sich mündlich äußern‘ verwendet man fast ausschließlich „reden“. „Er hat nicht mehr reden können“, schreibt Oskar Maria Graf, „das heißt, reden schon, aber wenn er angefangen hat, ist ihm immer sein falsches Gebiss herausgefallen.“ Stolz berichten die Großeltern, dass der anderthalb Jahr alte Enkel „schon recht schön reden“ kann, und welche Wörter er sagt. Verstummt jemand vor Schreck oder Überraschung, so heißt es: „Dem hat’s d’Red verschlong“. Unhaltbare Behauptungen, leeres Geschwätz werden kommentiert mit der Bemerkung: „De Red hod koa Hoamat net“.

„Red oder scheiß Buachstabn“

Verärgert darüber, dass der Gesprächspartner nur wortkarg antwortet oder gänzlich schweigt, raunzt man ihn an: „Jetz red endlich – oder scheiß Buachstabn! Na setz i ma’s selber zsamm.“ Für ‚sich besprechen, unterhalten‘ steht ebenfalls meist „reden“: „Wir müssen unbedingt einmal mit deiner Lehrerin reden.“ Um Gesagtem die Spitze zu nehmen, es als beiläufig hinzustellen, dient die Floskel: „Is ja bloß, daß ma redt.“ In der Wendung „Man redt ja net, man sagt’s ja bloß“ meint „reden“ eher ‚ernsthaft behaupten‘ oder ‚ein Gerücht in die Welt setzen‘.

Anders verhält es sich mit „sprechen“, das mehr den Sinn von ‚Sprüche machen, aufschneiden, prahlen‘ hat. „Nix wia gsproocha hod da Schorsch von dera guadn Partie, wo sei Bua gmacht hod.“ Einen „Sprüchmacher, Spruchbeutel“ nennt man jemanden, der durch notorisches „Sprechen (Spreecha)“ auffällt.

Im Althochdeutschen gab es für ‚reden, sprechen‘ auch das Wort „quedan“. Es ist noch greifbar in einer Redewendung, die in diversen Varianten vorkommt: „sam godika, sam guadika, sam goka“, auch „godika, gottikeit, gottwolkeit, guadekeit“. Diese Ausdrücke sind zwar selten geworden, aber immer noch in der lebendigen Mundart belegbar. Die Bedeutung ist ‚sozusagen, als ob man sagen wollte; gleichsam; das heißt; zum Beispiel‘. Über die „Hutzenabende“ – wofür man anderswo „Sitzweil, Rockenreis, Hoagarten, Hoagart, Hoagascht“ sagt – weiß Barbara Heinrich zu berichten: „Oach lang sans oft woardn, döi Hutza-Oumbmd. Dou hout d Hausfrau scho äiamol samgocka soogn möin: Leit, göihts hamm, d Hutzaleit wölln se niedalegn“. (Übersetzung für diejenigen, die mit dem Nordbairischen nicht so vertraut sind: ‚Arg lang sind sie oft geworden, die Hutzenabende. Da hat die Hausfrau schon manchmal beispielsweise sagen müssen: Leute, geht heim, die Gastgeber wollen sich niederlegen.‘). In seinem „Bayerischen Wörterbuch“ zitiert Johann Andreas Schmeller den Satz: „Du lobst mir’s braun Bier aso, godika, i soll dir oans zahln“ (‚… das heißt wohl; als ob du sagen wolltest, ich soll dir eins zahlen.‘). Dass die Wendung vor mehr als 300 Jahren in Regensburg üblich war, belegt der allerletzte Eintrag im „Glossarium Bavaricum“ von Johann Ludwig Prasch (1689): „zamgodikä – quasi vero“.

Quasseln wird zu schmàtzen

Bemerkenswert ist die Differenzierung innerhalb der Wortfamilie „schmatz-“. Durch dunkles „å“ und helles „à“ unterscheidet sich „schmåtzen“ (‚küssen‘ oder ‚geräuschvoll essen‘) von „schmàtzen“ (‚reden, plaudern‘). Am Karfreitag sagt die Mutter zum Buben: „Hansl, geh, heind derfst zum Herrgottschmatzn mitgeh“ – d. h. zur Kreuzverehrung, zu welcher das Küssen der Wundmale des auf den Altarstufen liegenden Kruzifixes gehört.

Was in anderen Regionen Deutschlands als „quasseln, quatschen, sabbeln, klönen“ bezeichnet wird, bei den Schwaben als „schwätzen“, heißt bei uns „schmàtzen“; dazu existiert das Substantiv „der Schmàz“ (Geschwätz, leeres Gerede). Der Berliner sagt: „so ’n Quatsch“, der Bayer: „a so a Schmàz“. Otto Kerscher (aus Rattenberg im Altlandkreis Bogen) schildert ein Begräbnis mit einem kuriosen Zwischenfall, und am Ende heißt es: „Und a drei Woocha-r iss gwen no da Lächt. Gnockand do no an etla Buaschn boranana en Wiatshaus, und da Bou do vo den, wos gstoam is gwen, dear is àà dabà gsessn. Und wäi se hoid da Schmàz schickt, hànd-s do z schmàtzn kema name iwa de Lächt. Und auf oamoi sogt da Bou: ‚Mana, des oane sog-e eng: A so hon-e ma Ledda ned glocht na, wäi auf man Vodan säna Lächt.‘“ Übertragung in die Standardsprache: ‚Und etwa 3 Wochen ist es gewesen nach der Beerdigung. Hocken da noch etliche Burschen beieinander im Wirtshaus, und der Sohn des Verstorbenen ist auch dabei gesessen. Und wie sich halt der ‚Schmàz‘ schickt, sind sie da zu ‚schmàtzen‘ gekommen noch einmal über die Beerdigung. Und auf einmal sagt der Sohn: Manner, das Eine sag ich euch: So habe ich mein Lebtag nicht gelacht noch, wie auf der Beerdigung meines Vaters.‘ Dieser Text enthält zwei schöne Beispiele für den analytischen Sprachbau des Bairischen: „auf meinem Vater seiner Leich“ (Genitiv-Umschreibung für: ‚auf der Beerdigung meines Vaters‘) und, besonders großartig: „der Bub da von dem, was gestorben ist gewesen“ (für: ‚der Sohn des Verstorbenen‘).

Für ‚schwätzen, plaudern, sich unterhalten, unentwegt, haltlos viel reden‘ ist „ràtschen“ geläufig. Kaum jemand denkt dabei an den Zusammenhang mit dem hölzernen Lärminstrument, das der Volksmund metaphorisch gebraucht für das Geschwätz allzu redseliger Menschen. Am Karfreitag, wenn die Glocken schweigen, rief das schnarrende Geräusch der „Ràtschen“ zum Gottesdienst. Mit „Ràtschn“ oder „Quàdràtràtschn“ können schwatzhafte Zeitgenossen beiderlei Geschlechts bezeichnet werden; meist weiblich hingegen ist eine „Ràtschkàthl“.