Familie
Das Geschäft mit den Geburten

Auf dem Land fehlt es an Hebammen, weil die Geburtshilfe in Regensburg gebündelt wird. Familien finden oft keine Betreuung.

15.02.2017 | Stand 16.09.2023, 6:35 Uhr
Jana Wolf
Marita Burkhardt betreut die Familie Viehbacher nach der Geburt des kleinen Toni. Das Baby scheint die Fürsorge der Hebamme zu genießen. −Foto: Jana Wolf

Toni ist noch klein, gerade mal vier Wochen ist er alt. Aber die Fragen, vor die er seine Eltern stellt, sind groß – und viele. Ist er rundum gesund, entwickelt er sich richtig? Welche Ernährung ist optimal? Wie lange kann man mit dem Baby im Winter raus gehen, ohne dass ihm die Kälte zusetzt? Wie organisiert man als junge Familie den Alltag mit dem Neugeborenen? Fragen über Fragen.

Marita Burkhardt besucht Familie Viehbacher in ihrem Haus in Diesenbach im Landkreis Regensburg, um Antworten zu geben. Die Hebamme hat sich auf den Boden vor das Sofa gekniet, auf dem Toni liegt. Er bleibt seelenruhig liegen als die 49-Jährige, selbst Mutter von vier Kindern, ihn untersucht. Burkhardt überprüft als erstes den Nabel des Kleinen, der zuletzt noch wund war und regelmäßig gepudert werden muss. Sie nimmt sich Zeit und hört sich die Anliegen der jungen Eltern an. Toni gluckst. Er scheint die Fürsorge zu genießen.

Marita Burkhardt hat die Viehbauers schon nach der Geburt des ersten Kindes, dem heute vierjährigen Paul, betreut. So konnte die Familie beim zweiten Kind Toni problemlos auf den Kontakt zurückgreifen. Eine vorteilhafte Situation. Denn viele Familien haben mittlerweile Probleme, Hebammen für die Wochenbettbetreuung zu finden. Einige bleiben mit dem Neugeborenen ganz auf sich allein gestellt.

Engpass im ländlichen Raum

Gerade in ländlichen Regionen tun sich Frauen immer schwerer, Unterstützung bei der Nachsorge nach der Geburt zu finden. Astrid Giesen,Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbandes, sieht neben dem Hebammenmangel in großen Städten wie München große Defizite zum Beispiel im Landkreis Cham. Neben der Nachsorge falle in Teilen dieser Region auch die Geburtsvorbereitung weg, weil es schlichtweg an Hebammen fehlt, sagt Giesen. Während das medizinisch-technische Know-how in den Geburtshilfe-Abteilungen in Kliniken immer besser werde, würde die Betreuung durch die Hebamme vor und nach der Geburt zunehmend vernachlässigt. Dabei seien die Zeit und Zuwendung durch die Hebamme unerlässlich, sagt Giesen. „Denn, auf den Anfang kommt es an.“

Zeit und Zuwendung durch die Hebamme sind unerlässlich. Denn, auf den Anfang kommt es an.Astrid Giesen, Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbandes

Ein Grund für den Versorgungsmangel in ländlichen Regionenist die Zentralisierung der Geburtshilfe in großen Kliniken. Seit dem Jahr 2010 wurden in Bayern laut einer Erhebung der Firma Nestle 16 kleinere Geburtshilfe-Einrichtungen geschlossen, darunter in Burglengenfeld, Bogen und Viechtach. Die Landesverbandsvorsitzende Giesen deutet an, dass weitere Einrichtungen von der Schließung bedroht sind. Für die Familien hat das zur Folge, dass sie weitere Fahrzeiten bis zur nächsten Geburtsstation in Kauf nehmen müssen – mit den damit verbundenen Risiken.

Laut Astrid Giesen gibt es eine Regelung, wonach in allen Teilen des Landes innerhalb von 30 Minuten eine Geburtsstation erreichbar sein sollte. Regel und Realität klaffen jedoch weit auseinander. Giesen nennt als Beispiel den Ort Lohberg im Landkreis Cham. Gerade im Winter bei schlechten Witterungsverhältnissen könne die Regelung hier nicht eingehalten werden. „Ich bezweifle, dass das dort machbar ist“, sagt Giesen. „Da wird auch viel schön geredet.“

Entspannung rund um Regensburg

Im städtischen Einzugsgebiet rund um Regensburg ist die Lage entspannter als im Raum Cham. Hier ist noch eine individuelle Betreuung möglich, wie sie Marita Burkhardt leistet. Wie viele Kolleginnen ist Burkhardt freiberuflich als Hebamme tätig. Neben der Wochenbettbetreuung bietet sie auch Betreuung für schwangere Frauen und Rückbildungsgymnastik an.

In unserer MZ-Grafik sehen Sie, wie sich die Arbeitsbedingungen für Hebammen geändert haben:

Burkhardt ist Mitglied im Qualitätszirkel für Hebammen rund um Regensburg und Kreissprecherin für Regensburg Land. Der Zirkel hat sich auf der Internet-Seitewww.hebammenliste-regensburg.deorganisiert und will damit die Versorgung in der Region verbessern. Doch auch wenn es hier keinen akuten Engpass gibt, rät Burkhardt werdenden Müttern dazu, frühzeitig Ausschau nach einer Hebamme für die Nachsorge nach der Geburt zu halten. Sie empfiehlt, bereits zwischen der zwölften und 15. Schwangerschaftswoche zu suchen.

Neben der Versorgung vor und nach der Geburt sind viele Hebammen in den zwei großen geburtshilflichen Zentren in Regensburg, der Klinik St. Hedwig und dem Krankenhaus St. Josef, im Einsatz – Bedarf steigend. In beiden Häusern nimmt die Zahl der jährlichen Geburten konstant zu. Während es in der Klinik St. Hedwig im Jahr 2012 noch rund 2540 Geburten waren, lag die Zahl 2016 bei mehr als 3000 Geburten. In St. Josef sind die Zahlen von rund 1300 (2012) auf rund 1490 (2016) angestiegen.

In dieser Grafik sehen Sie, wie sich die Geburtenzahlen in der Region in den vergangenen zehn Jahren entwickelt haben. Im Auswahl-Feld können Sie eine beliebige Klinik auswählen.

Große Zentren stocken auf

In der Folge haben die Kliniken ihre geburtshilflichen Zentren zunehmend ausgebaut. Prof. Dr. Birgit Seelbach-Göbel, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe in St. Hedwig, sagt: „Mit dem Bau neuer Kreißsäle ist es uns gelungen, dieser erfreulichen Entwicklung gerecht zu werden.“ In St. Josef wurde zuletzt vor zehn Jahren ein neuer Kreißsaal gebaut.

Auch anhand des Einzugsgebietes, aus dem Frauen zum Entbinden nach Regensburg kommen, lässt sich die Zentralisierung beobachten. Laut Prof. Seelbach-Göbel kämen die Frauen zwar vorwiegend aus Stadt und Landkreis Regensburg in die Klinik St. Hedwig. „Unser Einzugsgebiet umfasst jedoch auch die Landkreise Neumarkt, Kelheim, Schwandorf, Cham und Straubing-Bogen“, sagt die Klinik-Direktorin. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich in St. Josef ab. Auch hier kämen die Frauen überwiegend aus der Stadt und dem Landkreis Regensburg. „Durch die Schließung von Häusern in der Umgebung kommen aber zunehmend auch Frauen aus anderen Landkreisen und mit teils weiten Anfahrtswegen“, sagt der ärztliche Direktor Prof. Dr. med. Olaf Ortmann.

Die Landesverbandsvorsitzende Astrid Giesen sieht diese Entwicklung kritisch. Zwar sei das medizinische Wissen in den Zentren sehr weit fortgeschritten. Doch Giesen bezweifelt, ob jede gesunde Frau aus allen Ecken der Region in einem Perinatalzentrum versorgt werden muss. Damit gehe die Normalität einer Geburt verloren, sagt sie. „Man sieht hinter jedem Busch gleich einen Wolf.“Sie spricht sich für eine hebammengeleitete Geburtshilfe aus – und die brauche es auf dem Land genauso wie in der Stadt.

Der kleine Toni hat mit der Betreuung durch Marita Burkhardt großes Glück gehabt. Er lässt ihre geschulten Handgriffe brav über sich ergehen. Dem Kleinen scheint es sogar zu gefallen – und die Eltern finden Antworten auf ihre Fragen.

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