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Der Jungbrunnen der Gemüsefrau

Mit 96 Jahren noch topfit. Das Geheimnis: Statt zu Hause zu sitzen, steht Christine Hünn am Spargelstand in Regensburg.

10.07.2017 | Stand 16.09.2023, 6:26 Uhr
Marion Lanzl

Am Spargelstand ist Christine Hünn in ihrem Element – auch noch mit 96 Jahren. Foto: Lanzl

„Ja, aufm Markt lernt ma d’Leit kenna!“ Und Christine kennt sie alle. Die 96-jährige Gemüsefrau vom Neupfarrplatz ist immer noch gern an ihrem Spargelstand, und der ist für Christine Hünn ein wahrer Jungbrunnen. Stammkunden kaufen schon seit Jahrzehnten bei ihr und freuen sich jedes Jahr wieder über die umtriebige Verkäuferin.

Natürlich kommen auch neue, junge Kunden dazu. Kochen ist in, und der Spargel ist eines der feinsten Gemüse, zumal regional, das man auf den Tisch bringen kann und wird sogar als Welt-Genuss-Erbe Bayerns betitelt. Heute gehört der Stand der Schwarzbauers aus Schrobenhausen zum Neupfarrplatz fast wie das Karavan-Denkmal gleich um die Ecke. Und Christine Hünn darf beim Standl zwischen Neupfarrkirche und Tändlergasse einfach nicht fehlen.

Marktoma mit Oberpfälzer Charme

Von Anfang März bis zum Ende der Spargelsaison stehen sie hier, Montag bis Samstag von 9 Uhr bis zum „Ladenschluss“ um 18 Uhr. Jahrzehntelang war Hünn hier unentbehrlich und jeden Tag dabei. Längst gehört sie zur Familie der Spargelbauern, ist sie Marktoma für die inzwischen erwachsenen Kinder der Gemüsehändler und bricht mit ihrem spitzbübischen, etwas spröden Oberpfälzer Charme auch heute noch das Eis, wenn jemand fremdelt.

„Jahrelang ist sie jeden Tag von Reinhausen reingeradelt und war immer zur Stelle. Nicht einmal krank oder zu spät“, schwärmt die Chefin des Familienbetriebs Elisabeth Schwarzbauer über ihre älteste Mitarbeiterin. Dann bekam die Powerfrau vom alten Schlag von der Familie vor einigen Jahren ein Ticket für den Bus verordnet, und seit einigen Monaten wird sie nun vom Enkel Harald, nur noch samstags, zum Markt gefahren. Mehr als standesgemäß – im Porsche. Den verdankt Harald nach eigenen Worten auch der Oma, weil sie ihm damals die Weiterbildung zum Betriebswirt finanziert hat. Eine gute Investition: „Des Geld muass ma raus lassen! Dahoam hilft’s koam was!“, weiß die rüstige Oma.

Ein Leben voller Sparsamkeit

Schon als Sohn Günther gebaut hat, gab es eine kräftige Spritze aus dem Sparstrumpf der resoluten Mutter. Der konnte gar nicht glauben, was die in den Jahren mit der harten Arbeit und natürlich durch Sparsamkeit alles angespart hatte. „Wir haben ja ned viel ausgegeben. Mein Mann war ja auch so genügsam“, erzählt sie weiter.

„Um die Finanzen musste ich mich immer kümmern, aber er wollt’ jede Woche sein Taschengeld!“ Oft war aber das von der Woche davor noch nicht aufgebraucht, und so konnte eben wieder was in den Sparstrumpf wandern. Eine Zigarette und ein Bier, mehr brauchte der fleißige Bahnbeamte nicht, erinnert sich auch der Enkelsohn.

Schon als junge Frau hat Hünn Äpfel verkauft, mit dem Schwiegervater, damals noch in der Landshuter Straße. Später hat sie 20 Jahre lang bei der Gärtnerei Melzl gearbeitet und dann die Äpfel vom Oberislinger Betrieb Obstbau Palme am Kornmarkt verkauft. Dort hat sie die junge Spargelbäuerin Elisabeth Schwarzbauer aus Schrobenhausen quasi abgeworben. „Beim Spargelstand war eine lange Schlange, da hat eine Kundin gmeint: ,Geh schaun’s ned lang, helfen’s!‘“, sagt Hünn und lacht darüber noch heute. So startete sie mit über 50 Jahren ihre Karriere als Spargelfrau und ist bis heute dem Asparagus treu geblieben. „Mit dem Spargel im Frühjahr blüht die Oma richtig auf“, sagt auch Harald Hünn. Wenn der zarteste Bote des bayerischen Genussfrühlings sprießt, geht es auf zum Markt, in ihr zweites Zuhause. „Dahoam hock i bloß rum und werd grantig“, sagt die Seniorin. Früher hat sie dann Socken gestrickt für die ganze Familie, für die nächsten Jahrzehnte auf Vorrat, doch die Finger wollen nicht mehr so recht. Umso mehr treibt es sie auf „ihren Markt“: „Da bin i unter Leut’, da werd’ i ’braucht“, bestätigt die zweifache Oma und dreifache Uroma.

Gerechnet wird im Kopf

Über 40 Jahre steht die Oma Hünn nun schon am Markt, greift flink die schönsten Stangen des weißen Spargels und rechnet ebenso fix den Preis der edlen Ware aus: „Freilich im Kopf!“ Bei Wind und Wetter und, wie zuletzt, bei brennender Sonne. Die Familie Schwarzbauer hat dabei ein Auge auf sie, damit sie genug trinkt, und zum Feierabend, bevor der Enkel sie wieder abholen kommt, gibt es bei den Temperaturen auch mal eine Runde Eis für alle am Stand.

Nur widerwillig lässt sich die Oma dann auf einem Stuhl nieder. Auch einhaken darf sich Harald nicht auf dem Weg vom Markt zum Parkplatz. „Geh weiter“, sagt die Oma dann nur und grinst verschmitzt – denn schön findet sie es natürlich schon, wenn sich ein so junger Mann um sie bemüht. Lange Zeit sei auch jede Woche ein Verehrer zum Spargelstand gekommen. Aber ihr komme keiner mehr über die Schwelle, seit der Mann vor 30 Jahren gestorben ist, sagt die geborene Sallernerin.

Ende Juni nun war der letzte Spargelverkauf für diese Saison am Neupfarrplatz. Jetzt müssen wir wieder lange auf den Gaumenschmaus aus der bayerischen Heimat warten. Auch Oma Hünn kann es gar nicht erwarten, bis im Frühjahr 2018 wieder die ersten Spargelstangen durch die Erde spitzen und es für sie hoffentlich wieder auf geht zum Markt und sie zwischen den weißen und grünen Stangen stehen darf, die wohl doch ein echter Jungbrunnen sind: Bester Beweis ist Christine Hünn, die ihn am liebsten mit zerlassener Butter genießt.

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