MZ-Serie
Die musikalischste Familie Bayerns

Originale: Traudl Well zog 15 Kinder groß. Sie hatten wenig zu essen, aber dafür eine große Portion Freude an der Musik.

11.11.2015 | Stand 16.09.2023, 6:54 Uhr
Katja Meyer-Tien

Die Familie Well im Jahre 1964. Von links: Moni (Wellküren), Christoph (Biermösl Blosn), Karli, Michael (Biermösl Blosn), Bärbl (Wellküren seit 2005), Ursula, Hans (Biermösl Blosn), Burgi (Wellküren), Helmut, Vroni (Wellküren bis 2004), Werner, Christa, Traudi, Berti, Hermi, Vater Hermann und (sitzend) Mutter Gertraud Well. Foto: www.wellkueren.de

Beinahe hätte es mal ein Buch über Gertraud Well gegeben. Ein großer Verlag kontaktierte die Familie, ganz wie in dem Buch „Herbstmilch“ hätte Traudl Wells Geschichte zur Dokumentation ihrer Generation werden können. Dass sich die Familie schließlich dagegen entschied, aus Furcht, Details aus der Nazizeit könnten einen Schatten auf das Renommee ihres Mannes und der ganzen Familie werfen, ist vielleicht ein Beleg dafür, wie sehr sie, die Well-Mutti, tatsächlich für ihre Generation stand.

Traudl wollte Ärztin werden

Zur Welt kam sie als Gertraud Effinger kurz nach dem Ende des ersten Weltkrieges, am 19. November 1919 in Schiltberg, einer kleinen Gemeinde im Landkreis Aichach-Friedberg. Der Vater war Bader und als solcher auch erster Ansprechpartner für kleine und große Wehwehchen in der Nachbarschaft, Friseur, Heiler und Zahnarzt in einem. Gertraud wäre gerne Ärztin geworden, doch die Finanzen erlaubten es nicht. Immerhin: Mit 14 Jahren wurde sie Arzthelferin im nahen Hilgertshausen. 1938 lernte sie, inzwischen im Bund Deutscher Mädel, Hermann Well kennen, Lehrer und Unterbannführer in der Hitlerjugend Aichach. Nur ein Jahr später heirateten sie. Dann zog Hermann in den Krieg, doch weil er zwischendurch immer mal wieder auf Heimaturlaub kam, kamen schon 1941, 1943 und 1944 die ersten drei Well-Kinder zur Welt. 15 sollten es insgesamt werden.

Man kann es sich nur schwer vorstellen, dieses Leben in der Großfamilie, die bis 1954 in einem Schulhaus ohne fließendes Wasser wohnte und gerade mal 340 Mark zum Leben hatte. Täglich musste sie damals das Wasser für ihren Mann, sich und die inzwischen sechs Kinder aus dem Dorfbrunnen holen. Irgendwie ist es immer gegangen, hat Traudl Well gesagt, aber dass es nicht immer so gut ging, dass weiß man, wenn man das autobiografische Buch „35 Jahre Biermösl Blosn“ von ihrem Sohn Hans, dem Neuntgeborenen, liest. Mit Schaudern erinnert der sich zurück an klumpigen Grießbrei und geröstete Kartoffeln. Tagein, tagaus, ergänzt um Lebertran. Und an die Festtage, an denen sich die ganze Familie ein einziges Hähnchen teilte. Noch heute habe er ein schlechtes Gewissen, wenn er ein halbes Hähnchen ganz alleine aufesse, schreibt er da. Neid und Konkurrenzkampf unter den Geschwistern war an der Tagesordnung, denn natürlich hatte jeder das Gefühl, benachteiligt zu werden. Wobei Mutti Well wohl wirklich ihre Lieblinge hatte: Den kleinen Christoph, genannt Stofferl, zum Beispiel. Mit einem Herzfehler geboren, aber mit dem absoluten Gehör, ein musikalisches Naturtalent, schon mit 17 Solotrompeter bei den Münchner Philharmonikern. Er war der einzige, der richtigen Musikunterricht erhielt, aber die Musik spielte im Alltag der Familie immer eine große Rolle. Der Vater ließ die Kinder im Chor singen, jeder lernte ein Instrument und brachte es den jüngeren bei. So war bei der heimischen Stubnmusik bald alles vertreten, von der Zither über die Trompete bis zu Kontrabass. Vater Well schrieb die Stücke, Mutti Well lernte sie mit den Kindern. So bekamen sie als Abwechslung zu Grießbrei mit Lebertran immer öfter Wiener Würstchen zu essen: als Gage, wenn sie mit immer größerem Erfolg in den Wirtshäusern der Region auftraten. Traudl Well war oft dabei, nach den Auftritten, schreibt Hans Well, blieb sie manchmal noch auf der Bühne sitzen und genoss die Aufmerksamkeit, die Momente der Anerkennung. Sie liebte die Musik und war gerne unter Menschen.

Auf der Bühne bis zuletzt

Man ahnt, dass so ein Leben an den Kräften zehrt. Die Schwangerschaften, die Kinder, die Geldnot. 1961 kam mit der kleinen Moni das letzte der Well-Kinder zur Welt. Die Kinder wurden größer, die ersten zogen aus, die Jüngeren fingen an, Fragen zu stellen. Die Nazi-Vergangenheit des Vaters, von der er sich inzwischen deutlich distanziert hatte, war dabei ein Reibungspunkt, der den Jugendlichen half, sich zu positionieren.

Bald gingen die Kinder eigene musikalische Wege, die Jungs gaben mit den Biermösl Blosn der bayerischen Opposition eine musikalische Stimme, die Schwestern sind als Wellküren unterwegs. Die bissigen Texte hörte Mutti nicht so gerne, aber irgendwann mochte sie ihnen nicht mehr reinreden. Lieber machte sie Musik, ging Schafkopfen, gab noch mit 90 Jahren Kurse an der Volkshochschule, fuhr mit dem Mofa, spielte Zither und stand bis kurz vor ihrem Tod auf der Bühne. Am 16. Januar 2015 starb Traudl Well im Alter von 95 Jahren. „Streitet nicht“, sollen ihre letzten Worte an ihre Kinder gewesen sein.

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