Historie
Liegt hier das Bernsteinzimmer begraben?

Es wäre eine Sensation: Zwei Oberpfälzer sind sicher, den mysteriösesten Kunstschatz der Welt gefunden zu haben.

05.02.2016 | Stand 16.09.2023, 6:59 Uhr
Sebastian Heinrich
Schloss Friedland in Nordböhmen, 25 Kilometer von der Stadt Liberec (Reichenberg) entfernt. In den Kellerräumen des Schlosses soll der sensationelle Schatz liegen. −Foto: elPadawan/Wikimedia

Plötzlich blickt der Mann auf. Er heftet seine Augen auf die zwei Männer aus Deutschland und auf den Dolmetscher neben ihnen. Dann sagt er einen kurzen Satz, mit zischenden tschechischen Lauten. Der Dolmetscher beugt sich zur Seite, flüstert einem der beiden Gäste ins Ohr: „Der Teufel hat Euch zu mir geschickt.“

„Der Teufel hat Euch zu mir geschickt.“ein Beamter in der obersten tschechischen Denkmalbehörde

Die Männer, die der Teufel an diesem Tag im Juni 2014 nach Prag geschickt haben soll und die von diesem Treffen berichten, sind Erich Stenz und Georg Mederer aus dem Landkreis Neumarkt. Der Mann ist ein hoher Beamter in der obersten tschechischen Denkmalbehörde NPU. Und die Aussage, die ihm das Entsetzen ins Gesicht treibt und den Satz mit dem Satan aus dem Mund lockt, ist: Das Bernsteinzimmer soll sich in Tschechien befinden, auf dem nordböhmischen Schloss Friedland, knapp 400 Kilometer von Regensburg entfernt.

„Haben den Schlüssel in der Hand“

Es ist ein Verdacht, der eine gigantische Sensation bedeutet, sollte er sich bewahrheiten: das seit 1945 verschwundene Bernsteinzimmer, der wohl mysteriöseste Kunstschatz der Welt, an dessen Suche sich seit Jahrzehnten Autoren, Forscher und Geheimdienste die Zähne ausbeißen, eingemauert in einem tschechischen Schlosskeller. Es ist ein Verdacht, der Erich Stenz und Georg Mederer seit Jahren in den Köpfen bohrt, ihnen immer wieder den Schlaf raubt. Ein Verdacht, der sich für die beiden zur Gewissheit verdichtet hat. „Wir haben den Schlüssel in der Hand“, sagt Mederer. Das Schlüsselloch aber, glauben die zwei, will ihnen niemand zeigen.

Historische Fakten zu Schloss Friedland und zum Bernsteinzimmer:

Die Suche nach dem Bernsteinzimmer beginnt für Erich Stenz im Jahr 2007. Stenz, Jahrgang 1946, ist seit seiner Jugend ein Experte für Geheimnisse. Bis in die neunziger Jahre ist er Agent für den Bundesnachrichtendienst, beschafft im Kalten Krieg im Ostblock Informationen für die deutsche Regierung. 2007 arbeitet er als Wirtschaftsdetektiv. Ein Kollege erzählt ihm von einer fast 90-jährigen Frau, die ihrer Tochter ein Geheimnis anvertraut hat, um es nicht mit ins Grab zu nehmen.

Februar 1945, wenige Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs: Die Frau, so geht die Erzählung, sei damals Köchin auf Schloss Friedland gewesen, das zum deutschen Reichsgau Sudetenland gehörte. Sie will eines Nachts gesehen haben, wie Kolonnen von Militär-Lastwagen auf den Schlosshof fuhren. Wie Soldaten ausstiegen, Kisten ausluden, gefüllt mit Schmuck, Gold und Gemälden, damit im Keller des Schlosses verschwanden und im Morgengrauen wieder zurückfuhren. Knapp zwei Wochen lang sollen die Lkws jeden Abend gekommen sein.

Eingemauerte Kisten im Keller

Die Köchin soll eines Tages im Keller nachgesehen und an den Kellerwänden dutzende eingemauerte Kisten entdeckt haben. Stenz wird neugierig. 2008 fährt er mit seinem Kollegen nach Schloss Friedland. Die beiden gehen bei einer Führung durch das Schlossmuseum, setzen sich von der Gruppe ab, gehen die Treppen hinab in den Keller, durchschreiten einen Gang – bis sie vor einer Wand stehen, die völlig anders aussieht als die Wände ringsum. Der Verdacht: die Mauer stammt aus dem Februar 1945. Stenz‘ Kollege macht ein Foto.

Erich Stenz forscht ohne den Kollegen weiter. Stenz trifft eine Freundin der Schlossköchin, über 90 Jahre alt, geistig topfit. Auch sie lebte im Februar 1945 auf Schloss Friedland, auch sie erzählt ihm von den nächtlichen Kisten-Transporten. Stenz, der ehemalige Geheimdienstler, hält die Frau für glaubwürdig. Er wittert eine Sensation, schaltet einen Anwalt ein, der im September 2008 dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein schreibt. „Herr Stenz hat das Bernsteinzimmer gefunden“, steht in dem Brief. Die Staatskanzlei antwortet, verweist an die Bundesregierung. Die Antwort aus Berlin, zweieinhalb Monate später: „Die Bundesregierung kann ihrem Hinweis nicht nachgehen.“

Doch Stenz sucht weiter. Er füllt Ringordner mit „Aktenvermerken“ zu seinen Treffen, mit ausgedruckter E-Mail-Korrespondenz und Briefen.

„Die Bundesregierung kann ihrem Hinweis nicht nachgehen.“Antwort aus Berlin an Erich Stenz

2011 trifft er die hochbetagte einstige Köchin von Schloss Friedland persönlich. Sie ist damals geistig topfit, sagt Stenz. Sie bestätigt ihm die Erzählung von den eingemauerten mysteriösen Kisten. Und sie offenbart ein weiteres Geheimnis: Ein Neffe des damaligen Schloss-Kastellans soll 1945 Funker im ostpreußischen Führerhauptquartier Wolfsschanze gewesen sein – und dort einen Funkspruch abgesetzt haben, auf Befehl von Adolf Hitlers Privatsekretär Martin Bormann. Thema: der Abtransport des Bernsteinzimmers aus Königsberg, mit dem Ziel Schloss Friedland. Stenz hält auch sie für glaubwürdig. Noch ein Indiz.

2012 wird auch Georg Mederer zum Bernsteinzimmer-Jäger. Der Landwirt und Unternehmer hat Stenz als Wirtschaftsdetektiv engagiert. Bei einem Gespräch erzählt der Mederer die Geschichte vom Bernsteinzimmer. Zwei Jahre später sitzen Stenz und Mederer in der Denkmalbehörde NPU in Prag und hören, dass sie der Teufel geschickt hat.

Ein Notenblatt mit Sprengstoff

Seit diesem Tag im Juni 2014 hat Stenz viel neues Futter für seine Ringordner bekommen: Protokolle von Treffen bei der NPU, Korrespondenz mit der Behörde und einem Dolmetscher, mit einem deutschen und einem tschechischen Anwalt – und dutzende Fotos von Schloss Friedland. Die zwei Oberpfälzer haben neue Indizien: Ein Bauingenieur der TU München hat die Zwischenmauer im Schlosskeller untersucht und bestätigt, dass sie viel jünger ist als die Mauern ringsum; Stenz und seine Frau, eine Pianistin, haben eine Geheimbotschaft auf einem Notenblatt interpretiert, die aus den letzten Wochen der Nazi-Herrschaft stammen soll – und aus der hervorgehen soll, dass auf Schloss Friedland wertvolle Schätze versteckt und mit Sprengfallen gesichert sind.

Stenz und Mederer glauben: Zwischen ihnen und der Weltsensation stehen nur noch die tschechischen Behörden. „Die haben uns behandelt wie den letzten Dreck“, sagt Erich Stenz. Das macht die beiden wütend. Und gleichzeitig noch sicherer, dass sie ganz nah dran sind. Im Dezember 2014, ein halbes Jahr nach ihrer ersten Einladung bei der Denkmalbehörde, empfängt man sie direkt auf Schloss Friedland, erzählen sie. An einem massiven Holztisch, vor knisterndem Kaminfeuer, unter einem Porträt des böhmischen Feldherrn Wallenstein, sitzen acht Personen neben ihnen: darunter die Schlossherrin, ein Polizist, ein Geheimdienstmitarbeiter.

„Es gibt in diesem Schloss keine Keller“, sagt die Schlossherrin. Dann zeigt Erich Stenz ihr das Foto von der Kellerwand, das sein Kollege 2008 geschossen hat. Drei Monate später haben Stenz und Mederer einen Vertrag in der Tasche, der ihnen Forschungen im Schloss erlaubt. Doch als sie erstmals dort sind, mit dem Bauingenieur der TU an ihrer Seite, folgt ihnen die Schlossherrin auf Schritt und Tritt, telefoniert immer wieder mit der Regierung in Prag, verbietet ihnen, dorthin zu gehen, wo sie die eingemauerten Kisten mit den Kunstschätzen vermuten. Seither sind die beiden nicht mehr auf Schloss Friedland gewesen. Seither ist ihre Entscheidung gereift, mit ihrer Geschichte an die Medien zu gehen.

Das zweite Neuschwanstein?

Erich Stenz sagt, wenn das Bernsteinzimmer einmal gefunden ist, könnte es auf Friedland neu aufgebaut und das Schloss zu einem zweiten Neuschwanstein werden. Tschechien, glaubt er, würde enorm profitieren. „Aber du läufst da drüben gegen eine Wand“, sagt er. Stenz sieht vor ihm und Georg Mederer eine Wand aus Lügen und Geheimniskrämerei, die nur der Druck der Öffentlichkeit zum Einsturz bringen kann. Die Regierung in Prag, glauben die zwei, fürchtet einen internationalen Skandal, wenn herauskommt, dass im Land Milliarden Euro wertvolle NS-Raubkunst liegt und die Behörden Hinweise darauf jahrelang ignoriert haben. Die Fragen der MZ zu dem Fall hat die tschechische Denkmalschutzbehörde NPU nicht beantwortet.

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Warum Erich Stenz sicher ist, zusammen mit Georg Mederer das Bernsteinzimmer gefunden zu haben, erklärt er in diesem Video:

Was die beiden Bernsteinzimmer-Jäger jetzt von den tschechischen Behörden verlangen, erklärt Georg Mederer in diesem Video:

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Lesen Siehier, warum der „Mythos Bernsteinzimmer“ die Fantasie beflügelt.Auch ist das Bernsteinzimmer nicht der einzige angebliche Schatz aus der Nazi-Zeit, nach dem gesucht wird:So hält beispielsweise die Kontroverse um einen „Nazi-Goldzug“, der in einem geheimen Tunnel in Polen vermutet wird, an.