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Ochsensepp: Der gerissene Taktiker

Er ist ein bayerisches Original: Josef Müller, den man den Ochsensepp nannte, war Urheber und Mitbegründer der CSU in Bayern.

17.03.2015 | Stand 16.09.2023, 7:12 Uhr
Fritz Wallner
Der Franke Josef Müller war einer der Gründungsväter der CSU und von 1946 bis 1949 ihr erster Vorsitzender. −Foto: Fotos: dpa, MZ-Archiv

Am 21. Dezember 1946 herrschte Hochspannung in der ungeheizten Aula der Münchner Universität. In der provisorischen Unterkunft des Bayerischen Landtages steht die Wahl des ersten Ministerpräsidenten der Nachkriegszeit auf der Tagesordnung. Einziger Kandidat ist Josef Müller, der Ochsensepp, der Mitbegründer der CSU. Er ist der einzige Kandidat – und er scheitert kläglich. Nur 73 der 175 abgegebenen Stimmen erhält er. Schuld an seinem Scheitern ist – natürlich – ein Parteifreund. Der stramm konservative Alois Hundhammer, der mit dem eher liberalen Müller wenig am Hut hatte, hatte hinter dem Rücken des Ochsensepp intrigiert. Der Landtag hatte seinen ersten Skandal.

Geheime Kontakte zum Vatikan

So kurz nach ihrer Gründung hatte die CSU ihren Kurs noch nicht gefunden. Der Jurist und Nationalökonom Josef Müller wollte eine interkonfessionelle, christliche Sammlungspartei ins Leben rufen, die als echte Volkspartei in einem föderalistischen System mehrheitsfähig sein sollte. Ihm gegenüber positionierten sich Alois Hundhammer, Fritz Schäffer oder Anton Pfeiffer, die nicht nur von der Wiedergründung der katholischen Volkspartei träumten, sondern auch von einem selbstständig bayerischen Staat mit eigenem Staatspräsidenten, wenn nicht gar von der Wiedereinführung der Monarchie.

Müller galt schon damals als Meister des Intrigenspiels und hatte die Wahl eines bayerischen Staatspräsidenten vor seiner Niederlage bei der Ministerpräsidentenwahl erfolgreich vereitelt. Schäffer und Hundhammer hatten mit Wilhelm Hoegner (SPD), dem von den Amerikanern eingesetzten Ministerpräsidenten, Fühlung aufgenommen, um die Staatspräsidenten-Wahl mit Unterstützung der SPD durchzusetzen. Hoegner, dem klar war, dass seine Partei bei den Wahlen keine Mehrheit haben würde, spekulierte darauf, selbst Staatspräsident zu werden. Müller organisierte mit gezielten Indiskretionen und Desinformationen eine hauchdünne Mehrheit gegen diesen Plan. Die Rache folgte am 21. Dezember 1946: Statt des Ochsensepp wurde der gar nicht nominierte CSU-Justizstaatssekretär Hans Ehard zum Ministerpräsidenten gewählt.

Bei der Regierungsbildung wurde Müller nicht berücksichtigt. Erst als 1947 die Koalition aus CSU, SPD und Wirtschaftlicher Aufbauvereinigung (WAV) zerbrach, ernannte ihn Ehard zum Justizminister und zum stellvertretenden Ministerpräsidenten. Eine Karriere, die schon 1952 unrühmlich zu Ende gehen sollte.

Josef Müller war am 27. März 1898 als sechstes Kind einer Kleinbauernfamilie im oberfränkischen Steinwiesen zur Welt gekommen. Seine Schulzeit wurde vom 1. Weltkrieg unterbrochen, nach seiner Entlassung aus der Armee machte er das Abitur und studierte in München Soziologie, Nationalökonomie und Staatswissenschaft. Nach der Promotion eröffnete er eine eigene Anwaltskanzlei und war zwischen 1933 und 1939 als Berater kirchlicher Institutionen tätig. So unterhielt er auch gute Kontakte zum Vatikan. Im Zweiten Weltkrieg war er als Oberleutnant bei der Abwehr des Oberkommandos des Heeres in der Außenstelle München eingesetzt. Dort gewann er das Vertrauen des Widerstandskreises um Ludwig Beck und Wilhelm Canaris. Bei mehreren Auslandsreisen nach Rom sollte er die Bereitschaft des Vatikan zu Friedensverhandlungen mit den Westmächten ausloten. 1943 wurde Müller von der Gestapo verhaftet und sollte exekutiert werden – am 4. Mai 1945 wurde er aber in Südtirol als Geisel der SS von Soldaten der US-Armee befreit.

Josef Müller starb mit 81 Jahren

Nach dem Krieg versammelte er einen informellen Gesprächskreis – den „Ochsen-Club“ – um sich, in dem politische Pläne geschmiedet und Ideen ausgetauscht wurden. Schließlich übernahm Müller den Vorsitz der „Christlich-Sozialen Union“, die am 8. Januar 1946 landesweit von der US-Militärregierung als Partei zugelassen wurde.

Sein alter Widersacher Alois Hundhammer sorgte als Landtagspräsident 1951 dafür, dass Justizminister Müller in den Verdacht geriet, den Prozess gegen den jüdischen Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte Menschen in Bayern, Josef Auerbach, unzulässig beeinflusst zu haben. Dieser war unter anderem wegen Erpressung, Untreue und Betrug angeklagt.

Müller wurde verdächtigt, von einer jüdischen Wiedergutmachungsinstitution Geld erhalten zu haben. Er gab daraufhin zu, im ersten Halbjahr 1950 vom Landesrabbiner Aaron Ohrenstein 20 000 DM bekommen zu haben. Da er in dem im Sommer 1952 zur Auerbach-Affäre tagenden Landtagsuntersuchungsausschuss unter anderem die Verwendung des Geldes nicht belegen konnte, musste er sein Amt als Justizminister aufgeben.

In seinen letzten Lebensjahren schrieb Müller seine Autobiographie, die sich vor allem mit seinem Widerstand gegen die NS-Diktatur befasste. Er starb am 12. September 1979.