Leben
Schlossherren ohne Standesdünkel

Die Zierers packen im Biergarten von Schloss Ratzenhofen und auf dem Feld selbst mit an – auch wenn Besucher sie häufiger mit dem Personal verwechseln.

19.10.2010 | Stand 16.09.2023, 21:06 Uhr

RAtzenhofen.Sie gab gerne die große Dame von Welt. Nicht selten stolzierte die frühere Herrin von Schloss Ratzenhofen Anfang des vorigen Jahrhunderts mit ihrem bestickten Sonnenschirm über das malerische Anwesen, flanierte hochvornehm an den Normalbürgern des kleinen Dorfs im Landkreis Kelheim vorbei. Heute weht auf Schloss Ratzenhofen ein anderer Wind. Denn Protzen liegt den aktuellen Besitzern Georg und Hannelore Zierer überhaupt nicht. Ganz egal, ob sie im liebevoll angelegten Garten werkeln, Hopfen auf dem Feld ernten, Feste und Hochzeiten in den romantischen Schlossräumen organisieren oder die Gäste im Biergarten bei Laune halten – die Zierers packen selbst mit an. Für sie ist das Schloss eben mehr als eine schicke Wohnung. Es ist ein Betrieb, der vier Generationen ernährt.

Schlossbesitzer in Arbeitskleidung

„Besucher grüßen uns manchmal gar nicht“, lacht Georg Zierer. „Wegen unserer Arbeitskleidung kommen die nicht auf die Idee, dass wir die Schlossherren sind.“ Jeder aus der Familie hat sich sein eigenes Projekt gesucht. Georg und Frau Hannelore kümmern sich um den idyllischen Biergarten, der unter alten Laubbäumen Platz für 1000 Gäste bietet. Sohn Georg jun. widmet sich dem Hopfenanbau und züchtet Hereford-Rinder. Schwiegertochter Karin organisiert Hochzeitsfeiern im herrschaftlichen Festsaal.

Seit 1918 ist das Schloss im Besitz der Familie. Gekauft hat es Zierers Großvater. An ihn und die Vorbesitzer erinnert ein kleiner Museums-Raum, vollgepackt mit Zeugnissen der Schlossgeschichte. Neben eleganten Möbeln und Kerzenleuchtern finden sich dort ein Butterfass, eine Nähmaschine und jede Menge Werkzeug. Ratzenhofen war eben immer auch ein Betrieb. Viele Stücke haben mit Zierers eigener Geschichte zu tun. „Auf der Schreibmaschine da hinten habe ich Tippen gelernt“, sagt er wehmütig. „Und mit der Kutsche da ist mein Opa auf den Markt gefahren.“

RAtzenhofen.So sehr Zierer heute daran hängt, als Jugendlicher wollte er das Schloss gar nicht übernehmen. Doch dann erkrankte sein Vater und Zierer trat in seine Fußstapfen. Über 30 Jahre ist er nun Herr über das Schloss. Fast ebenso viel Zeit hat er in die Sanierung gesteckt. Von der Kapelle auf dem Dach bis zu den Toiletten im Keller kam alles dran. „Jetzt können wir wieder von vorne anfangen“, lacht Zierer. „Die Risse in der Kapellenmauer haben wir als erstes ausgebessert und die müssten jetzt wieder gemacht werden.“

Doch die Mühe der Zierers hat sich gelohnt. Ausflügler kommen von weit her, um im Biergarten zu entspannen, Kabarett, Kunst und Musik zu genießen, oder um den schönsten Tag im Leben zu zelebrieren. Gut 25 Paare pro Jahr feiern dort ihre Hochzeit. „Wir hatten sogar welche, da kam die ganze Verwandtschaft von der Nordseeküste angefahren,“ sagt Zierer. Vielleicht sind es nicht nur die üppigen Weinranken, romantischen Höfe und angenehm kitschfreien Räume, die die Paare locken. Ratzenhofen scheint auch von seiner Geschichte her ideal zum Heiraten. 1475 verbrachte das Brautpaar der Landshuter Hochzeit seine Flitterwochen auf dem Anwesen.

Der Schlossherr im Austragshaus

Dass Georg jun. das Schloss einmal weiterführen würde, war für die Zierers immer klar – und auch der zweijährige Enkel Schorschi scheint ins Schlossherren-Dasein hineinzuwachsen. „Wenn wir Mähen, muss er mit seinem Spielzeug-Rasenmäher immer gleich mitmachen“, lacht der Opa.

Dem kleinen Schorschi, seinen Eltern und der 88-jährigen Uroma haben Georg und Hannelore Zierer mittlerweile das Feld im Schloss geräumt. Seit acht Jahren leben sie in einem kleinen Häuschen direkt nebenan. Hannelore Zierer ist froh darüber. Sie hatte sich in den dunklen, großen Räumen nie so recht zu Hause gefühlt. Georg Zierer dagegen musste sich erst einmal umgewöhnen. Heute aber lebt auch er gerne in dem neuen Haus. „Es sind ja nicht nur positive Erinnerungen mit dem Schloss verbunden“, meint er. „Als Kinder mussten wir immer mit blechernen Wärmflaschen schlafen, weil es so kalt war, und wir hatten kein fließendes Wasser.“ Das Schlossleben missen wollen die Zierers aber trotzdem nicht – es hat ja auch seine Vorteile. „Als ich die erste Nacht zu Besuch war, hat mich Georg vor seinen Eltern versteckt und keiner hat’s gemerkt“, erinnert sich Hannelore Zierer schmunzelnd. „So etwas geht eben nur auf einem Schloss.“