Schicksalsschläge
Erkrankte Politiker: Lieber Schweigen?

Der Umgang mit solchen Schicksalsschlägen ist höchst unterschiedlich, wie acht prominente Beispiele zeigen.

06.06.2017 | Stand 06.06.2017, 5:41 Uhr

Der scheidende Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern Erwin Sellering Fotos: dpa

Helmut Schmidt: Mehrfach besinnungslos

Der Ende 2015 verstorbene und nahezu ständig Zigarette rauchende Altkanzler gab erst lange nach seiner Amtszeit zu, dass ihn das Leben als Politiker gesundheitlich schwer mitgenommen habe. „Ich bin nie ganz gesund gewesen“, bekannte er fast drei Jahrzehnte nach dem Ausscheiden aus dem Regierungsamt. Die Probleme setzten schon vor dem 50 Lebensjahr ein. Annähernd hundert Mal sei er in seiner Regierungszeit bewusstlos gewesen, manchmal nur Sekunden, manchmal aber auch minutenlang.

Seine Sekretärin oder Regierungssprecher Klaus Bölling fanden ihn mehrfach „besinnungslos“ im Dienstzimmer vor. Angesichts der enormen Arbeitsbelastung versagte offenbar der Kreislauf. Über die gesundheitlichen Probleme wurde jedoch eisern Stillschweigen bewahrt. Schmidt wurde dennoch 96 Jahre alt.

Horst Seehofer: Der erste Einschlag 2002

Horst Seehofer sprach dagegen offen von einem „Einschlag“. Er meinte die lebensbedrohliche Herzerkrankung, die ihn Anfang 2002 traf. Seehofer glaubte damals, er habe lediglich eine Grippe und fuhr zur CSU-Klausur nach Kreuth. Theo Waigel riet ihm jedoch dringend, eine Klinik aufzusuchen. In Ingolstadt wurde dann eine verschleppte schwere Herzmuskelentzündung diagnostiziert, von der er sich nur langsam erholen konnte. Inzwischen steht der Ministerpräsident, der auch nach 2018 weitermachen will, sozusagen unter peinlicher Beobachtung. Jeder Eindruck von Schwäche, etwa Kreislaufprobleme im überhitzten Bayreuther Festspielhaus oder halbgare Bierzelt-Auftritte, könnte die Nachfolge-Debatte anheizen. Das will Seehofer nicht.

Manfred Stolpe: Den Krebs verheimlicht

Der frühere evangelische Kirchenmann, später Brandenburger Ministerpräsident und von 2002 bis 2005 Bundesverkehrsminister, in dessen Amtszeit die pannenreiche Einführung der Lkw-Maut fiel, hatte seine Krebserkrankung lange vor der Öffentlichkeit verborgen. Er sei im Sommerurlaub, verkündete seine Presseabteilung seinerzeit. In Wirklichkeit unterzog er sich jedoch einer Krebsoperation. Wegen der Problem mit der Maut sollte die gefährliche Krankheit nicht publik werden. Nach dem Ende des politischen Amtes musste sich der SPD-Politiker weiteren Operationen, Bestrahlungen und Chemotherapien unterziehen. Die Ärzte hatten ihm nur noch drei Jahre gegeben. Daraus sind inzwischen über zwölf geworden.

Jürgen Trittin: Aus heiterem Himmel

Der frühere Bundesumweltminister, großgewachsen, sportlich-drahtig, lief, wenn es die Zeit zuließ, gerne durch den Tiergarten. Doch vor sieben Jahren, im Januar 2010, erwischte es den Grünen-Politiker aus heiterem Himmel: Herzinfarkt. Zum Glück konnte durch frühzeitiges Eingreifen eine Ausdehnung des Infarkts verhindert werden. Vielleicht war es eine Nachwirkung des Dauereinsatzes als Spitzenkandidat im Wahlkampf 2009. In dem war der heute 62-Jährige Spitzenkandidat seiner Partei gewesen. Inzwischen werden dem längst genesenen Trittin Ambitionen auf das Amt des Außenministers nachgesagt, in einer etwaigen Koalition mit der Union und den Liberalen.

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Gregor Gysi: Keine Zigaretten, mehr Ruhe

Der Medienstar der Linken plaudert inzwischen unbefangen über seine schweren Krankheiten. Der langjährige Fraktionschef im Bundestag, begnadete Schnellredner und begehrte Talkshow-Gast, hatte in den letzten Jahren allein drei Herzinfarkte sowie eine schwere Gehirnoperation zu überstehen. Ende 2004 wurde er drei Stunden lang wegen einer Gefäßausbuchtung im Gehirn (Aneurysma) in einem Berliner Krankenhaus operiert. Etwa die Hälfte der Patienten überlebe einen solchen Eingriff nicht, hatten ihm die Ärzte gesagt. Inzwischen tritt der 69-jährige Berliner kürzer. Das Rauchen hat er längst aufgegeben, den Fraktionsvorsitz gab er ab. Einladungen zu Talkshows folgt er nur noch höchst selten. Doch im Wahlkampf wird er für die Linkspartei wieder antreten. Wenn er sich früher zehn Probleme am Tag vorgenommen habe, seien es heute höchstens noch zwei, sagt er.

Malu Dreyer: Mit MS in die Politik

Bereits im Alter von 34 Jahren verspürte die heutige Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz beim Inline-Skaten ein merkwürdiges Gefühl im rechten Bein. Die Ärzte stellten multiple Sklerose fest. Die junge Frau galt als ein großes Nachwuchstalent der SPD. Nun jedoch schien sie den Boden unter den Füßen zu verlieren. Doch die heute 56-Jährige gab nicht auf. Die studierte Juristin, Staatsanwältin wechselte in die Politik, wurde Sozialministerin und 2013 Landesmutter. Rückendeckung bekam sie von ihrem Förderer Kurt Beck, dem sie als erstem von ihrer Krankheit erzählte. Die Pfälzerin schafft es, die vermeintliche Schwäche in Stärke umzuwandeln. Sie betrachte die Krankheit als „Lehrerin“, sagt sie. Erst als sie die Krankheit ohne Hass zu akzeptieren gelernt habe, habe sie sich wieder frei fühlen können. Die Krankheit habe ihr „Entschleunigung“ beigebracht.

Wolfgang Bosbach: Krebs sehr spät entdeckt

Der 65-jährige CDU-Bundestagsabgeordnete ist eigentlich eine rheinische Frohnatur. Fast wäre aus dem Mann aus Bergisch-Gladbach ein Bundesinnenminister geworden. Doch es kam anders. Vor sieben Jahren war bei dem Vater von drei erwachsenen Töchtern Prostatakrebs diagnostiziert worden, der unglücklicherweise noch sehr spät entdeckt wurde. Auch nach der Operation war der tückische Krebs nicht besiegt. Es folgten weitere Behandlungen, weil sich Metastasen gebildet hatten. Trotzdem wurde Bosbach vor vier Jahren wieder in den Bundestag gewählt. Doch heuer soll Schluss sein.

Matthias Platzeck: Der Körper

Als „Deichgraf“ wurde Matthias Platzeck durch das Hochwasser an der Oder 1997 bekannt. Mit Unterstützung der Bundeswehr und Kanzler Kohl wurde eine Katastrophe verhindert. Danach stieg der SPD-Politiker rasch auf, wurde Ministerpräsident von Brandenburg und 2005 sogar SPD-Vorsitzender. Man jubelte ihm seinerzeit zu, wie Anfang des Jahres Martin Schulz. Doch der Höhenflug wurde jäh gebremst. Nach zwei Hörstürzen und einem Nervenzusammenbruch trat er 2006 vom Posten des Parteichefs zurück. Er wolle kürzer treten. Acht Jahre später versagte ihm der Körper wiederum den Dienst. Er erlitt einen Schlaganfall, der anfangs verheimlicht wurde. Er zog sich daraufhin endgültig zurück. (rzw)

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