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Connie Palmen lässt Ted Hughes sprechen

Die Niederländerin erzählt die Tragödie des berühmtesten Dichterpaares der englischsprachigen Welt aus Sicht des Ehemanns.

07.10.2016 | Stand 16.09.2023, 6:44 Uhr
Jutta Göller
Das Ehepaar Sylvia Plath und Ted Hughes, im Jahr 1960 fotografiert von Hans Beacham −Foto: Nautilus

„Du sagst es“ – das klingt wie ein banaler, bestätigender Gesprächssatz. Und doch ist es ein Satz aus der Bibel. Im Neuen Testament steht er bei allen vier Evangelisten gleichlautend in der Passionsgeschichte. Allein dadurch erhält er besonderes Gewicht. Jesus spricht diesen Satz als Antwort auf die Pilatus-Frage, ob er der König der Juden sei. Der Satz bedeutet Jesu’ Todesurteil, denn die Bestätigung zählt als Hochverrat im römischen Reich des Kaisers Augustus. Außerdem sagt Jesus diesen Satz auch noch im Matthäus-Evangelium auf die Judas-Frage, ob er der Verräter sei.

Was hat dieser Satz mit dem neuen Roman der holländischen Autorin Connie Palmen zu tun, die als die Grande Dame der niederländischen Literatur gilt? Bekannt geworden ist Palmen, Jahrgang 1955, vor allem durch zwei „Trauer-Bücher“, in denen sie den Verlust geliebter Lebenspartner verarbeitet. Von Verlust und Trauer-Arbeit handelt auch ihr neues Buch „Du sagst es“, das eigentlich kein Roman ist, sondern eine biografische Fiktion.

Ein Monolog in Ich-Form

Es ist eine Art Monolog in Ich-Form, und das Ich ist Ted Hughes, der 1998 mit 68 Jahren an Krebs verstorbene englische „Hofdichter“ („Poet Laureate“). In erster Ehe war er verheiratet mit der amerikanischen Dichterin Sylvia Plath und hatte mit ihr zwei Kinder, Frieda, geboren 1960, und Nicholas, 1962-2009. Plath nahm sich 1963 erst dreißigjährig in London das Leben, als Ted Hughes sie wegen einer anderen Frau verlassen hatte.

Posthum erlangte Sylvia Plath schon in den sechziger Jahren große Berühmtheit durch ihre Gedichtsammlung „Ariel“. In Gedichten wie „Daddy“ oder „Lady Lazarus“ verarbeitete sie biografische Ereignisse, wie den frühen Tod des deutschstämmigen Vaters, ihren ersten Selbstmordversuch als Studentin und die Trennung von ihrem Ehemann. Plath war keine Feministin, wurde aber nach ihrem Tod zu einer Ikone der Frauenbewegung gemacht. Ted Hughes war der Schurke in dem Drama und wurde von Feministinnen als Mörder seiner Frau verunglimpft.

Bis kurz vor seinen Tod lehnte er es ab, sich zu verteidigen oder Sylvia Plath in ihrer Form des autobiografischen Schreibens („confessional writing“, Bekenntnis-Dichtung) zu folgen. Doch wenige Monate vor seinem Lebensende veröffentlichte er 1998 die „Birthday Letters“, erschütternde „Geburtstagsbriefe“ in Gedichtform, die er über Jahrzehnte hinweg an seine erste Frau geschrieben und sozusagen in der Schublade aufgehoben hatte. Sie wurden sofort ein Sensationserfolg. Die britische Ausgabe hat auf dem Schutzumschlag ein Gemälde der Tochter Frieda Hughes. Das Bild ist eine Art vulkanischer Explosion von Rot und Gelb vor dunklem Hintergrund.

Es ist Connie Palmens These in ihrem neuen Buch, dass Ted Hughes mit den „Birthday Letters“ zu seinem wahren Ich gefunden hat: „Nicht das Schreiben, sondern das Offenbaren der Birthday Letters hat mich befreit...Und ich, der so lange der Feind des enthüllendsten Wortes der Sprache war,...ich sagte es, ich.“ So ist also der Titel des Buches zu ergänzen: „Du sagst es“, nämlich das Wort „Ich“, nicht „man“ oder eine andere Maske. Es geht um die Ich-Botschaft, das Sagen des Wortes, das Palmen mehrmals in Kapitälchen schreibt. Das ist die „gute Nachricht“, das Evangelium für sie.

Lieben oder hassen

Im ersten Teil ihres Buches lässt Palmen im Ich-Monolog der Figur von Ted Hughes das eindrucksvolle Bild seiner Braut Sylvia Plath entstehen. Es ist eine völlig zerrissene Person, die da vor unseren Augen gezeichnet wird, die entweder nur abgöttisch lieben oder abgrundtief hassen kann, buchstäblich himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt. Es gibt nur Schwarz oder Weiß, keine Zwischentöne, nur Extreme, keine Schattierungen. Mit siebzehn möchte sie allwissend sein, nennt sich blasphemisch „das Mädchen, das Gott sein wollte“, ist von ihrem Genie überzeugt. Doch jede Ablehnung, jede Zurückweisung durch Verlage oder Zeitschriften, in denen sie publizieren will, stürzt sie in tiefste Verzweiflung und Depressionen.

„Im Sterben und Wiederauferstehen bin ich wirklich gut, übertreffe Gottes eigenen Sohn darin.“

In ihrem Tagebuch und in ihrem späteren Roman „Die Glasglocke“ („The Bell Jar“) schildert sie die Behandlung ihrer Depressionen mit Elektroschocks wie eine Christusfigur („eine Dornenkrone aus Elektroden“). Im „Sterben und Wiederauferstehen“, so sagt sie, „bin ich wirklich gut, übertreffe Gottes eigenen Sohn darin“. Auch das ist eine Beziehung zum Jesus-Zitat des Buchtitels: „Du sagst es“.

Da sich der Ich-Monolog des fiktiven Ted Hughes an Plaths (publizierten) Tagebüchern und ihren und seinen Gedichten orientiert, entsteht ein brillantes Portrait der jungen Dichterin und ihres Bräutigams. Wer Connie Palmens Buch liest, kann sich die Lektüre einiger oft spekulativer und geschwätziger Biografien des Dichterpaares sparen. Allerdings fällt die zweite Hälfte des Buches in seiner analytischen Schärfe ab, der Ich-Monolog wird mehr zu einer referierenden Erzählung in langen Sätzen, die den Gedichten der „Birthday Letters“ folgen.

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