Zeitgeschichte
Ein Stück deutscher Schizophrenie

Hans Baumann aus Amberg, Troubadour der Hitlerjugend, war ein fragwürdiger Russlandfreund. Walter Koschmal schildert Details.

13.01.2016 | Stand 16.09.2023, 6:54 Uhr
Harald Raab
Der Amberger Volksschullehrer Hans Baumann: Ein neues Buch des Regensburger Slavisten Walter Koschmal dokumentiert ihn als fragwürdigen Russlandfreund. −Foto: Europaeum der Universität Regensburg

Von der katholischen Jugendbewegung zum Barden der Hitlerjugend. Vom Wehrmachts-Propagandaoffizier im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront zum Übersetzer russischer Kinderbücher und selbst der Lyrikerin Anna Achmatova, die im belagerten Leningrad unvorstellbares Leid erduldet hat. Vom Jugendverführer im Dienst der Nazis zum viel gelesenen, mit zahlreichen Preisen versehenen Kinder- und Jugendbuchautor im Nachkriegsdeutschland: Das ist die schillernde Metamorphose des Amberger Volksschullehrers, Schriftstellers und Komponisten Hans Baumann (1914-1988).

Das aggressive Schandlied der Hitlerei ist Baumanns Werk: „Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem großen Sieg ( ... ) Wir werden weiter marschieren, bis alles in Scherben fällt, denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.“ Ein Drittel der sogenannten Fahnen- und Feierlieder der Nazis stammt aus der Feder Baumanns. Sein Schmachtfetzen „Hohe Nacht der klaren Sterne...“ wird sogar als weihnachtliches Volkslied wahrgenommen.

1932 auf einer Wallfahrt gedichtet

Dieser in Deutschland gar nicht so seltene, jedoch exemplarische Lebenslauf eines Wendehalses ist Anlass für Walter Koschmal von der Universität Regensburg, Baumann zum Gegenstand der Jahresgabe 2016 des Europaeums zu machen. Baumann, ein falscher und verfälschender Russlandfreund, das geht einen Slavisten schon etwas an. Seit zehn Jahren wendet sich das Europaeum mit seiner Jahresgabe an eine breite Öffentlichkeit. Signalisiert wird, dass Universitäten neben Forschung und Lehre auch die Verpflichtung haben, in die aktuelle Gesellschaft hineinzuwirken. Das Europaeum steht zudem im Dienst des Gründungsauftrags der Regensburger Universität, Brückenfunktion vor allem zum europäischen Osten wahrzunehmen.

Nazideutschland mit seinem Plan, einen Raubkrieg im Osten anzuzetteln, um Raum für germanischen Größenwahn zu schaffen, ist kein Betriebsunfall. Es ist schon eher die logische Konsequenz einer verhängnisvollen Haltung zu vieler Deutscher zur Welt, aus Enttäuschung nach dem Ersten Weltkrieg. Das Lied der jungen Raubtiere vom Marsch, „bis alles in Scherben fällt“, ist bezeichnenderweise vom jungen Katholiken Hans Baumann auf einer Wallfahrt nach Neukirchen beim Heiligenblut im Bayerischen Wald 1932 entstanden. Wie so vieles andere des alten Systems passte es haargenau in die NS-Ideologie.

Erfolgreicher Jugendbuch-Autor

Der Lehrerseminarist Baumann wurde 1933 Mitglied der NSDAP.Nach einer kurzen Zeit als Junglehrer im Bayerischen Wald wurde er nach Berlin in die Kulturabteilung der Reichsführung der HJ berufen. Er konnte noch ein Studium absolvieren und zog 1939 in den Krieg. Er lernte Russisch und diente als Chef einer Propagandakompanie im Osten. Ausgerechnet ihm, diesem begnadetenJugendverführer im Sinn der NS-Ideologie, gelang nach dem Zweiten Weltkrieg eine Karriere als Übersetzer russischer Kinderbücher. Baumann selbst hat 50, zum Teil sehr erfolgreiche Kinder- und Jugendbücher geschrieben.

Obwohl Ingeborg Bachmann heftig protestierte, beauftragte der Piper-Verlag Hans Baumann in den 1960er Jahren, Gedichte der großen russischen Lyrikerin Anna Achmatova zu übersetzen. Koschmals Urteil: Baumann hat die avantgardistischen Gedichte der Achmatova in seine „nebulöse Sprache übertragen“. Beinahe hätte der flinke Schreiber auch den Gerhard-Hauptmann-Preis für ein anonym eingereichtes Stück bekommen.

Hitlers willfährige Helfer

Im Vorwort ihrer Publikation schreiben Professor Koschmal und Geschäftsführerin Lisa Unger-Fischer: „In diesem Jahr können wir Ihnen ein besonders komplexes Beispiel für eine Existenz zwischen Ost und West präsentieren. Die Komplexität liegt darin, dass ein und dieselbe Person den Osten, zumal Russland, im höchsten Maß diskreditiert und bekämpfen hilft, sich aber ungeachtet dessen ihr Leben lang als Mittler russischer Kultur versteht.“

Was da Professor Koschmal und die Schriftstellerin Gudrun Pausewang in ihrem Kobeitrag zeigen, ist ein Stück deutscher Schizophrenie. Sie war vor, während und noch lange nach der NS-Zeit stil- und charakterprägend gewesen. Sie ist das eigentliche Fundament, auf dem der Nationalsozialismus sein zerstörerisches Werk begehen konnte. Die alten Kämpfer allein wären wirkungslos geblieben, wenn ihnen nicht aus allen Schichten der Gesellschaft willfährige und ideologisch nahestehende Helfer zur Seite gestanden hätten. Hans Baumann war so ein Exemplar.

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