Erinnerung
Kurt Cobain – Idol wider Willen

Vor 50 Jahren wurde der „Nirvana“-Frontmann geboren. Er wurde zum Vorbild einer ganzen Generation – was er nie wollte.

20.02.2017 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Sänger Kurt Cobain (Nirvana) während eines Konzerts in Paris Foto: Imago

Er gehört – wie Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und jüngst erst Amy Winehouse – zum legendären „Club 27“; also zu den charismatischen Superstars des Pop, denen die Intensität ihres Daseins rasch zu viel wurde und die schon mit Mitte 20 an einer Überdosis zugrunde gingen; an einer Überdosis im wörtlichen, aber auch im übertragenen Sinn. Wobei das Schicksal Kurt Cobain, dem „Nirvana“-Frontmann, besonders übel mitspielte. Denn er litt ja zeitlebens darunter, dass er der Führer einer neuen Jugendbewegung sein sollte – was er partout nicht wollte. Und jetzt, ein Vierteljahrhundert nach seinem frühen Tod, wird „Smells Like Teen Spirit“, der Song, den viele immer noch als programmatisches Bekenntnis verstehen wollen, auf „You Tube“ eine halbe Milliarde mal aufgerufen, wovon die Stones oder Bob Dylan, die, im besten Fall, im Zigmillionen-Bereich herumdümpeln, nur träumen können.

Ein hyperaktives Kind, ruhiggestellt mit Ritalin

Kurt Cobain – das Idol wider Willen. Alle wollten sich an ihn anlehnen, obwohl er doch ersichtlich zu schwach war, um sich auch nur selbst halbwegs aufrecht zu halten. Er war haltlos und verloren fast von Anfang an. Nachdem seine Eltern sich scheiden ließen, trampte er – man kann es kaum anders nennen – fast im Wochenrhythmus zwischen wechselnden Verwandten hin und her. Nirgends hielt er es lange aus. Aber auch für die anderen war der kleine, vorpubertäre Kurt schwer zu ertragen. Er war ein unruhiges, hyperaktives Kind, das man, um ihm und vor allem sich die Sache zu erleichtern, mit Ritalin vollstopfte. Früh schon wurde er auch mit dem Tod konfrontiert. Drei seiner Großonkel starben durch Suizid. Die Geschichte jeder unglücklichen Familie ist ganz eigen, unverwechselbar, meinte Tolstoi in seiner „Anna Karenina“. Aber manchmal hat man Gründe, daran zu zweifeln.

Was ihn später halbwegs beruhigte: seine Gitarre, die ihm sein Onkel Chuck schenkte, als er 14 wurde. Er spielte rasch in wechselnden Bands. Sein wichtigster Einfluss waren damals die „Melvins“, diese schräge Post-Punk-Band. Früh schon aber fand er seinen eigenen, unverwechselbaren Stil, der unter den Bezeichnungen „Seattle-Sound“ oder „Grunge“ zum Next Big Thing der dahinkriselnden Rock-Musik wurde.

Revival der Indie-Musik

Bis „Nirvana“ kam. Kurt Cobain und seine Mitstreiter wollten vielleicht nur einen satten, vitalen Giarrenkrach kreieren, der – wie Neil Young in seinen besten Momenten – auch noch äußerst melodiös, „catchy“ war. Aber seine Fans hörten aus diesen Songs das Versprechen eines anderen Daseins, das Programm einer Jugendrevolte heraus. Kurt Cobain sollte der „Führer“ dieser desorientierten Jugend sein. Je mehr er sich sträubte, desto verbissener hielten sie an dieser Idee fest. Widerstand kann sehr sexy und verführerisch sein.

Leiden an „Cobain’s Disease“

Was ihm selbst, eine kurze Zeit jedenfalls, Halt gab, war seine Begegnung mit Courtney Love, deren Band „Hole“ er als ebenbürtig empfand und die er im Februar 1992 heiratete. Ausgerechnet in Waikiki auf Hawaii. Wie romantisch! Aber rasch begann das Elend von neuem; und es hatte mit dem jähen, riesigen Erfolg zu tun. Kurt Cobains Leben geriet auf die Überholspur, er tourte fast nonstop; und er versuchte, die Schwäche, die Leiden, die dieses unstete Leben mit sich brachten, mit Drogen, Alkohol und Medikamenten zu bekämpfen.

Immer ein Fehler, aber bei einem hyperaktiven Ritalin-Patienten besonders. Ihn plagten furchtbare Magenschmerzen, die Ärzte konnten nichts finden. Er selbst diagnostizierte – halb ironisch, halb verzweifelt – „Cobain’s Disease“. Und es setzte sich bei ihm, nach und nach, der Gedanke fest, dass er einer war, dem auf Erden nicht zu helfen ist.

„Smells Like Teen Spirit“ im Video:

Im März 1994 brach Kurt Cobain – zu viel von allem! – in Rom zusammen und fiel ins Koma. Die Ärzte konnten ihn noch einmal retten. Frau und Freunde drängten ihn, sich in eine Drogenentzugsklinik zu begeben. Sie hörte auf den vielversprechenden (oder soll man sagen zynischen?) Namen „Exodus Recovery Center“. Kurt Cobain hielt nur ein paar Tage durch, floh dann und verschwand. Am 8. April 1994 fand man ihn, tot, in seinem Haus in Seattle. Er hatte sich mit seiner Browning Auto-5 Selbstladeflinte erschossen. In den USA kommt man ja leicht an Waffen aller Art. Postum stellte man auch noch eine Überdosis Heroin fest. Und man fand einen Abschiedsbrief. Er zitiert eine Zeile aus dem berühmten Neil Young-Song „My My, Hey Hey (Out Of The Blue)“, der zur Hymne der Punks wurde: „It’s better to burn out than to fade away.“ – besser rasch verbrennen, als langsam verblassen.

Auch in Cham trauerten Menschen einst um Kurt Cobain. Noch immer beschäftigt er Musikbegeisterte.

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