Ankauf
Mit spitzer Feder gegen Krieg und Klerus

Zwei Neuerwerbungen des Kunstforums Ostdeutsche Galerie lenken den Blick auf den Maler und Karikaturisten Max Radler.

04.06.2012 | Stand 16.09.2023, 21:03 Uhr
Ulrich Kelber

Regensburg.Ein weiteres Gemälde von Lovis Corinth? Der lange erhoffte Ankauf einer Lüpertz-Skulptur, die für einen Millionenbetrag angebotene Grafik-Kollektion von Otto Mueller? Spektakuläre Kunstkäufe bei der Ostdeutschen Galerie sind rar oder gar unmöglich geworden. Potenzielle Geldgeber wie die Bundesregierung zeigen sich nicht mehr spendabel. In den vergangenen Jahren war es deshalb vor allem Stiftungen und Schenkungen zu verdanken, wenn sich die Sammlung des Regensburger Kunstforums vergrößerte. Kürzlich konnte das Museum aber doch zwei – zwar bescheidene, aber doch höchst interessante – Neuerwerbungen vermelden: ein Aquarell und eine Tuschezeichnung von Max Radler. Sie ergänzen die bisherigen Bestände. Bereits vor 35 Jahren hatte die Ostdeutsche 16 Gemälde und rund 300 grafische Arbeiten aus dem Nachlass des 1971 in München verstorbenen Künstlers erhalten.

Max Radler – das ist kein Name, den man in jedem Kunstlexikon findet. Aber er zählt dennoch zu den beachtenswerten Vertretern der „Neuen Sachlichkeit“. Bemerkenswert ist auch seine Freundschaft mit dem Schriftsteller Oskar Maria Graf. Herausragend und wichtig ist jedoch vor allem Radlers Wirken als Karikaturist. Seine Zeichnungen sind Zeitdokumente, liefern auch heute noch genaue Aufschlüsse über die gesellschaftliche und politische Atmosphäre, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit und den beginnenden Wirtschaftswunderjahren herrschte.

Eine Künstlerehe mit Rosmina

Künstler zu werden, bedeutete für Max Radler einen schweren Weg. Existenzsorgen begleiteten ihn fast das ganze Leben. Noch in den 50er Jahren musste er zwischendurch immer mal wieder als Maurer oder Anstreicher arbeiten, weil die Gemälde und Zeichnungen nicht genug einbrachten.

Regensburg.1904 wurde Max Radler geboren, er wuchs in Breslau und Oppeln auf. 1923 ging Max Radler auf Wanderschaft. Ziel war Tirol, wo er eine Stelle bei einem Kirchenmaler antreten wollte. Doch er strandete in München. Das Arbeitsamt vermittelte Radler eine Stelle bei einem Münchner Malermeister. Bald verliebte er sich. Seine Frau Rosmina Radler entwickelte sich später autodidaktisch ebenfalls zu einer talentierten Malerin, die klare Stillleben und hübsche Kinder- und Frauenbildnisse schuf.

Zum „magischen Realismus“ tendieren die Bilder von Max Radler, in denen oft große Technikbegeisterung ihren Ausdruck findet. Dampflokomotiven, Bagger, Bahnhöfe, Schienen und Brücken, dargestellt in einer konstruktiv-vereinfachenden Weise, sind ein häufiges Motiv. Industrielandschaften mit Hochöfen malt er ebenso wie schäbige städtische Handwerkerviertel. Ausdrucksstark seine Figuren, etwa der ganz in sich selbst versunkene „Radiohörer“ in einem Gemälde von 1930 oder die vielen Frauenbildnisse, für die ihm meist seine aparte Frau als Modell diente.

Das Kunstforum besitzt sämtliche Holzschnitte von Max Radler – insgesamt rund 100 (nachdem sein Atelier in der Münchner Theresienstraße bei einem Bombenangriff zerstört worden war, gab der Künstler diese Technik auf). In den kantig-expressiven Blättern sind oft Arbeiter zu sehen – Fahnen und Transparente schwingend bei Demonstrationen oder gar bewaffnet und zum Kampf entschlossen.

Durch Georg Schrimpf hatte Radler 1929 den „bayerischen Provinzschriftsteller“ (so die ironische Selbstbezeichnung) Oskar Maria Graf kennengelernt, mit dem ihn dann bis zu dessen Tod 1967 eine enge Freundschaft verband. Zu Grafs 1931 erschienenen Kindheitserinnerungen „Dorfbanditen“ schuf Radler eine Serie von Holzschnitten. Als Graf 1933 ins Exil ging – mit seinem Aufruf „Verbrennt mich!“ hatte er sich entschieden von den Nazis distanziert – blieben der Künstler und der Autor (der erst 1960 erstmals wieder Deutschland besuchte und das Ehepaar Radler seinen „Münchner Brückenkopf“ nannte) in einem regen Briefwechsel. Nach 1945 kümmerte sich Radler darum, dass Werke des verfemten Autors wieder erscheinen konnten, teils von ihm illustriert.

Große stilistische Vielseitigkeit

Mit dem Verlag W. E. Freitag hatte Radlers Karriere nach 1945 eine Wende genommen, denn nun machte er sich auch als Karikaturist einen Namen. Bei Freitag erschien von 1946 bis 1950 der „Simpl“, mit dem eine Wiederbelebung der Simplicissimus-Tradition versucht wurde. Radlers Zeichnungen fallen durch ihre Akribie und ungeheure Detailversessenheit auf. Es sind richtige Wimmelbilder. Hunderte Figuren tummeln sich auf dem Blatt „Politischer Jahrmarkt“, wo der Rummelplatz mit Karussell, Panoptikum und Haut-den-Lukas zum Forum wird für einen satirischen Abgesang auf die Nazi-Jahre. Bei der Karikatur „Exnazifikator“ sieht man, wie braune Schafe in den Trichter eines riesigen Mahlwerks springen, um dann unten unversehrt und verwandelt in weiße Lämmchen auftauchen. Der „Simpl“ war antifaschistisch, empörte sich darüber, dass die alten Nazis so ungeschoren davonkamen. Ebenso kritisch war die Auseinandersetzung mit Krieg und Militarismus.

Der Freitag-Verlag gab auch eine Kinder-Zeitschrift mit dem Titel „Ping Pong“ heraus, für die Radler ebenfalls als Zeichner tätig war. In jedem Heft gab es eine Bildergeschichte „Knopf auf Reisen“. Ein dicklicher Mann erlebt dabei allerlei Abenteuer in Afrika, Indien oder Mexiko. Da konnte Radler dann seine ganze Phantasie spielen lassen, denn eigene Reisen führten den Künstler nicht weiter als bis Wien. Auch in seinen Gemälden tauchen in den 50er Jahren Landschaften auf, die er selbst nie gesehen hatte: Italienische Pinienwälder oder Eselskarawanen in der Steppe, wobei die Darstellung auch mal ins Naive kippt.

1954 gab es einen neuen Versuch mit dem Simplicissimus, nun herausgegeben von Olaf Iversen, einem Witzezeichner und Werbeberater.

Regensburg.Neben so angesehenen Künstlern wie A. Paul Weber war auch Radler wieder dabei. An seinen Arbeiten fällt die stilistische Vielseitigkeit auf. Während die meisten Karikaturisten Wert auf eine unverwechselbare eigene Handschrift legen, suchte er für jedes Thema eine ganz eigene Ausdrucksform. Auf dicke, schwarze Tusche setzte er, wenn es um die Kirche und deren allzu reaktionäre Positionen ging. Da wetterte der empörte Pfarrer von der Kanzel: „Wieda hamma in unsara Gmoa bloß achtasiebzg Prozent CSU zammabracht! Herr, erbarme dich unser! Aba i werd’s eich gschertn Lackln scho no beibringa.“ Er parodierte auch andere Künstler, etwa Jost Amman und dessen „Ständebuch“ aus dem 16. Jahrhundert. Bei Radler tauchen dann „moderne“ Berufe auf wie der „Waffentandtler“ oder der Krieg und Kanonen segnende „Seelenwaibel“.

Ein Spötter und scharfer Kritiker

Atomkrieg und die Debatte um „Wiederbewaffnung“ und Bundeswehr haben Radler stark beschäftigt, in etlichen Blättern kritisiert er die Schulmisere, misstrauisch beobachtet er, wie sich in den Trümmern der Städte eine neue Geschäftigkeit entwickelt. Opulente Erzähllust prägt die Blätter. Er spottet über den Fortschritt: Der dörfliche Leichenwagen wird nun nicht mehr von Pferden gezogen, sondern von einem roten Bulldog. Und manchmal gewinnt die Sozialkritik eine Schärfe wie bei Käthe Kollwitz: Grausig das Bild von zwei Müllmännern, die tote Babys aus der Tonne fischen und den schrecklichen Fund mit dem lakonischen Satz kommentieren: „Zwillinge hatten wir noch nie.“

Bis 1967 hielt der „Simplicissimus“ durch, dann musste er aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt werden. Max Radler starb wenige Jahre später, im November 1971, an einem Herzinfarkt. 1989 erinnerte in München eine Ausstellung an den Künstler, doch seitdem ist sein Werk leider weitgehend in Vergessenheit geraten.