Dokumentation
Was vom Provokateur Phettberg übrigblieb

„Der Papst ist kein Jeansboy“ zeigt den einsamen Mann, der früher die gewichtige Kunst- und Kultfigur Hermes Phettberg war.

19.06.2015 | Stand 16.09.2023, 7:09 Uhr
Fred Filkron
Hermes Phettberg ist krank, aber er kämpft. −Foto: Stadtkino Filmverleih

Es gab eine Zeit, da war Hermes Phettberg ein Medienstar. Harald Schmidt und Sandra Maischberger luden ihn in ihre Talkshows ein. Phettberg avancierte mit seiner „Nette Leit Show“, die im ORF und auf 3sat ausgestrahlt wurde, zur Kultfigur. Inszeniert wurde sie von Kurt Palm, der mit seiner Theatergruppe „Sparverein Die Unz-Ertrennlichen“ in Österreich ebenfalls Kultstatus genoss. Ihre Show war anders, weil der Moderator Persönlichstes von sich preisgab – eigene Schwächen, sexuelle Vorlieben.

Drei Schlaganfälle, ein Herzinfarkt

Zuvor hatte der homosexuelle Phettberg von sich Reden gemacht, weil er mit seinen masochistischen Inszenierungen die Körper- und Lustfeindlichkeit der katholischen Kirche konfrontierte. In der öffentlich zur Schau gestellten Demütigung spiegelte sich die Selbstkasteiung im stillen Kämmerlein. Und das war durchaus nicht despektierlich gemeint. Als ehemaliger Pastoralassistent der Erzdiözese Wien hatte er die Kirche von innen kennen gelernt.

Sprechen kann er kaum noch

Der Berliner Regisseur und Krimiautor Sobo Swobodnik („Silentium – Ein Leben im Kloster“) hat Phettberg 2011 eine Woche lang besucht.Die Schwarz-Weiß-Bilder seines Dokumentarfilms „Der Papst ist kein Jeansboy“sind so existenziell wie Phettbergs Situation. Reden kann der ehemalige Moderator nicht mehr so richtig. Er bringt keine zwei Sätze am Stück heraus, wiederholt sich zwanghaft. Mit Trippelschritten bewegt sich das vormalige Wiener Gesamtkunstwerk durch die geräumige Wohnung mit den Stuckverzierungen. Die Wohnung befindet sich im Frühstadium eines Messies, ist jedoch nicht ungemütlich. Topfpflanzen stehen vor großen Fenstern, ein Che-Guevara-Plakat hängt an der Wand, das Thomas-Bernhard-Buch liegt aufgeschlagen auf einem Tisch.

Phettbergs Körper ist nach den Schlaganfällen und dem enormen Gewichtsverlust grotesk verformt. Sein Rücken ist krumm, das Kinn liegt auf dem Brustbein. Die Haut des einstmals auf 170 Kilo aufgeblasenen Oberkörpers schwabbelt wie zwei riesige Hängebrüste über dem Gürtel. Das lange Haar zersaust, der Bart ungepflegt, das graue T-Shirt voller Flecken: Phettberg ist ein Häufchen Elend.

Noch immer ein guter Beobachter

Wenn er sich auch verbal nicht mehr artikulieren kann, so ist er doch ein scharfsichtiger Beobachter unserer Zeit geblieben.Im Film spricht Josef Hader Phettbergs Tagebuch-Einträge ein.In seinen „Gestionen“ spricht der Wiener über die Nützlichkeit des Internets für die nordafrikanischen Demokratiebewegungen. Penibel hält er fest, was ihm Essen-auf-Rädern zum Mittagessen brachte. Phettberg schöpft seine philosophischen Betrachtungen aus dem Lebensalltag. Immer wieder betont er, dass er kein Studierter ist. Gute alte Freunde berichten, wie sie ihn damals kennenlernten. Gerade so, als hätte er schon das Zeitliche gesegnet. Sie erinnern sich seiner weichen Stimme, seines warmen Händedrucks, seiner außerordentlichen Menschenfreundlichkeit. Ein mobiler Pflegehelfer berichtet, wie er Phettberg einst aus dem Krankenhaus abholte, ihn zur Burgtheater-Aufführung von Christoph Schlingensiefs „Mea Culpa“ brachte, und es dort zu einer berührenden Abschiedsszene der beiden Todgeweihten kam.

Ganz sanft ausgepeitscht

Nicht minder bewegend war die Vorpremiere von Swobodniks Film in einem Nebengebäude des legendären Berliner Technoclubs Berghain. Der „Schlackekeller“ ist normalerweise der Ort für tabulose schwule Mottoparties. Eine gewisse Sensationslüsternheit schwang bei der Filmpremiere mit. Konnte man sich doch kaum vorstellen, dass Phettberg überhaupt noch lebte, so weit war der körperliche Verfall im Film schon fortgeschritten. Doch bei einer anschließenden Inszenierung von Antonin Artauds Text „Heliogabal oder der Anarchist auf dem Thron“ stellte Phettberg den lippenstiftverschmierten König dar, der von vier Jeansboys auf einem Rollstuhl herein geschoben wurde. Auf der Bühne wurde er dann sanft ausgepeitscht. Das war ganz nach Phettbergs Geschmack: Die enge Jeanshose ist sein Fetisch.