nr. sieben
Dem Pferd aufs Maul geschaut

Redensarten zum Wiehern: Ein Galopp durch die Begriffswelt rund um Ross und Gaul zeigt, wie nah uns das Huftier war und ist.

15.01.2016 | Stand 16.09.2023, 6:52 Uhr
Walter Schmidt

Dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen möge, ist als Sprichwort laut Volkskundler Lutz Röhrich „seit der Antike in lebhaftem Gebrauch“. Wir tun es hier trotzdem. Foto: carolinestemp/Fotolia

Wenn wir es auch im Jahr 2016 noch mögen, dass bei zwielichtigen Vorgängen in Politik und Wirtschaft endlich Ross und Reiter genannt werden, dann hat das mit einem geschätzten Zeitvertreib der mittelalterlichen Rittersleut’ zu tun. Bei Ritterturnieren war es nämlich „üblich, den hinter seiner Rüstung verborgenen Ritter, den nur Eingeweihte an seinen Farben und Wappen erkennen konnten, bei seiner Ankunft oder seinem Eintritt zum Kampf laut mit seinem Namen und den seines edlen Pferdes auszurufen, um Ross und Reiter der Öffentlichkeit zu präsentieren“ - so erklärt der 2006 verstorbene Volkskundler Lutz Röhrich die Redewendung in seinem noch immer vielbemühten „Lexikon der Sprichwörtlichen Redensarten“.

Über eine Million Pferde und Ponys sollen in Deutschland wiehern – die genaue Zahl kennt niemand. Der Pferdebestand hat sich seit den 70er Jahren wieder deutlich erholt – nach einem heftigen Rückgang in der Nachkriegszeit von über zwei Millionen auf nur noch etwa 250 000 um 1970. Grund des neuerlichen Booms ist allerdings nicht etwa, dass heute wieder deutlich mehr Bauern im Märzen ihr Rösslein einspannen würden. Ebenso wenig erklärt die zaghafte Rückkehr der Rückepferde in die Wälder als Folge einer naturnäheren Forstwirtschaft den Anstieg der Pferdezahlen.

Vom Nutztier zum besten Freund junger Mädchen

Verantwortlich dafür ist vielmehr der Boom bei den Reitpferden, die nicht selten bei Bauern untergestellt sind und von ihnen auch großenteils versorgt werden. Gerade bei Frauen und Mädchen ist der Pferdesport beliebt, und das nötige Geld zum Füttern und zur Pflege der Tiere ist bei vielen ebenfalls vorhanden. Das ist auch bei Deutschlands Nachbarn nicht anders: Im Nordschweizer Kanton Aargau (knapp 650 000 Einwohner) zum Beispiel hat die Zahl der Pferde zwischen 2003 und 2013 um etwa 3000 auf rund 8300 zugenommen, ein fulminanter Anstieg um über die Hälfte.

Zumindest bis zum Zweiten Weltkrieg war das Pferd in Mitteleuropa als Nutztier unabdingbar. Es half dem Menschen als Zugtier vor Kutschen, Gespannen, Grubenloren und städtischen Pferdebahnen, als Schlachtross im Krieg und als Ackergaul auf unzähligen Feldern. Domestiziert wurde der nicht immer gut behandelte Vierbeiner vermutlich bereits vor 5000 Jahren in Zentralasien. Kein Wunder, dass sich dies über die Jahrtausende hinweg auch immer stärker in der Umgangssprache niedergeschlagen hat.

Nicht die Pferde scheu machen – sonst geht der Gaul durch

Geht uns der Gaul – oder gehen uns die Pferde – durch, dann übernimmt unsere Emotion das Ruder und entmachtet den Verstand; man lässt sich also von seiner Leidenschaft fortreißen, eher noch von seinem Zorn. Aus dem gleichen Grund sollte niemand die Pferde scheu machen, denn wenn die Angst sich dieser Fluchttiere bemächtigt, gibt es kein Halten mehr – und auch hier steht das Pferd für den Menschen, der sich nur schwer wieder besänftigen lässt, sobald besorgniserregende Nachrichten ihn aufgestört haben.

Wie viel Kraft in Pferden steckt – sozusagen Pferdestärke – drücken gleich mehrere Wendungen aus. Wenn wir Angst haben, einen sicheren Ort zu verlassen, oder auch, wenn wir uns irgendwo unübertrefflich wohlfühlen, dann sagen wir gerne: „Von hier bringen mich keine zehn Pferde fort.“ Das würde also auch die Energie eines ordentlichen Diesel- oder Außenbordmotors mit 10 PS (7 kW) nicht schaffen, und das will schon etwas heißen.

Auch in seinen Beinen hat ein Pferd mächtig Kraft. Nur so erklärt sich die Redensart: „Ich dachte, mich tritt ein Pferd!“, wenn uns beispielsweise beim Fußballspielen jemand von hinten unsanft in die Beine grätscht oder tritt – dann meist mit der Folge eines Pferdekusses, der Tage später in allen Regenbogenfarben leuchtet.

Von Pferdefüßen, Pferdedieben und Schindmähren

Wer das Pferd beim Schwanz aufzäumt, beginnt eine Sache oder einen Vorgang vom falschen Ende her – zum Beispiel wird Geld ausgegeben, das noch gar nicht verdient ist. Oder der Ofen wird eingeschaltet, bevor alle Zutaten für den Kuchen besorgt wären.

Warnt uns jemand: „Diese Sache hat einen Pferdefuß!“, dann ist Obacht geboten oder ein genauerer Blick, denn irgendetwas stimmt dann nicht. Die Redensart geht zurück auf den Teufel, der auf alten Gemälden oder Zeichnungen in Märchenbüchern oft mit einem Menschenfuß und einem Huf dargestellt ist. Ursprünglich hatte der Leibhaftige in der Mythologie eher einen paarhufigen Bocksfuß.

Pferde sollte man – andere Dinge auch – nicht stehlen, doch wenn wir uns vorstellen könnten, genau das mit einem bestimmten Menschen zu tun, dann ist dies ein großes Kompliment für die Verlässlichkeit, oft auch für die Gewandtheit des Gelobten. Lutz Röhrich zufolge ist so ein Kerl „zu jeder Schandtat bereit“. Die alte Redensart spiegele zudem wider, „dass der Pferdedieb schlau, umsichtig und vielerfahren sein muss“.

Wenig löblich hingegen, zumindest aus Sicht des so bezeichneten Tieres, ist der Ausdruck Schindmähre für ein verbrauchtes, abgehalftertes Pferd. Auf ein solches Exemplar, mit dem früher keine rechte Fuhre mehr zu fahren und keine ordentliche Furche mehr zu ziehen war, wartete allenfalls noch der Pferdemetzger – oder der Schinder, der die vom harten Pferdeleben müde Kreatur schlachtete und verwertete, so gut es ging. Die nutzlosen Reste warf er den Hunden und Krähen zum Fraß vor oder vergrub sie auf dem Schindanger (auch Schindacker) des Dorfes.

Auf die schwer verwüstliche Rossnatur des Pferdes – und im übertragenen Sinne eines keineswegs kränklichen Menschen – verweist die Redensart: „Das hält kein Pferd aus!“ Will eigentlich heißen: nicht einmal ein Pferd! Darauf bezieht sich auch die Rosskur, welcher gutgläubige oder verzweifelte Geplagte sich bei dubiosen Ärzten oder Quacksalbern unterziehen – oder die bisweilen einfach nötig ist, um wieder zu gesunden. Eine solche überlebt nur, wer eine Rossnatur hat: „Die Rosskur spielt auf die drastischen Behandlungsmethoden der Volksmedizin an, die besonders bei Pferden angewandt wurden, für den Menschen aber ungeeignet erscheinen“, urteilt Lutz Röhrich in seinem Sprichwörter-Lexikon.

Aufs falsche Pferd setzt, wer auf einen Verlierer wettet – natürlich ohne das in diesem Moment zu wissen. Der Volksmund drückt damit aus, dass man sich irrtümlich oder fahrlässig auf jemanden verlassen oder jemandem geglaubt hat, der dieses Vertrauen letztlich nicht verdient hatte. Oder der an diesem Tag einfach in schlechter Form war. Das passiert hin und wieder selbst dem besten Pferd im Stall – wie jeder Tierhalter weiß. Oft ist es den anderen Pferden um Längen voraus, an manchen Tagen gerät es halt ins Hintertreffen.

Deshalb sollte lieber auch der Tierhalter nicht auf einem hohen Ross sitzen, der das beste Pferd im Stall hat.

Etwas völlig anderes und ohne jeden Bezug zur Pferdegestalt sind die Rossbreiten, jene für Segelschiffe so tückischen subtropischen Fallwindgebiete nördlich und südlich des Äquators, in denen oft wochenlang Flaute herrschte. Dort dümpelten die Großsegler früherer Jahrhunderte mit schlaffen Segeln oft wochenlang im Meer, ohne nennenswert vom Fleck zu kommen, und auch das oft nur dank einer Strömung. Die Rossbreiten verdanken ihren Namen dem Umstand, dass der unerwartete Ruhestand des Schiffes die Besatzung manchmal dazu genötigt haben soll, mitgeführte Pferde zu schlachten, damit sie nicht das ohnehin an Bord knappe Wasser wegsoffen. Die früher unheilvolle Zone liegt, je nach Jahreszeit, irgendwo zwischen 25 und 35 Grad nördlicher oder südlicher Breite.

Tote Pferde kann man natürlich auch nicht mehr reiten. Davor warnt der Spruch „Reite niemals ein totes Pferd!“ Gemeint ist, dass man von sinnlos gewordenen Vorhaben oder von ruinösen Zuschuss-Geschäften ablassen soll – oder auch von einer Partnerschaft, die trotz aufrichtigster Bemühung nicht mehr zu retten ist.

Lugt das Pferd durch die Stalltür – sollte man das Hosentürl schließen

Apropos Partnerschaft: Einige arg derbe Wendungen die Liebe und deren praktische Ausübung betreffend sparen wir uns lieber. Nur eins sei in diesem Zusammenhang erwähnt: Das „Pferd“ war in früheren Zeiten und manchen Gegenden nur ein anderes Wort für den Penis. Deutlich wird das Lutz Röhrich zufolge noch an dem aus der Mode gekommenen Spruch: „Das Pferd ist durch die Stalltür zu sehen“, wenn einem Mann der Hosenstall offensteht – letzterer heißt also nicht umsonst so.

Zum Schluss die Frage: Müsste die berittene Polizei nicht eher reitende Polizei heißen, wo doch das Pferd beritten wird, niemals aber der auf ihm hockende Polizist? Hmm.

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