Technik
Eine Begegnung mit dem Wassermissionar

Martin Breuss klärt über die Trinkwasser-Qualität auf. Als Vertreter verkauft er nicht nur Filteranlagen. Für ihn geht es um Leben und Tod.

30.11.2012 | Stand 16.09.2023, 21:03 Uhr
Andrea Fiedler

Mit einem Messgerät bestimmt Martin Breuss den Leitwert des Wassers. Er verweist auf Fremdstoffe. Foto: Fiedler

Martin Breuss ist siegessicher. Während er den Teebeutel im heißen Wasser auf und ab bewegt, rutscht sein Kunde langsam Richtung Stuhlkante. Dann löst Hotelbesitzer Claudio Bernasconi endlich die verschränkten Arme, beugt sich nach vorn und greift zum ersten Glas. Im Licht schimmert der Tee goldbraun, Dampf steigt ihm in seine Nase. „Sie werden den Unterschied riechen und schmecken“, verspricht Breuss und reicht sofort die zweite Kostprobe. Obwohl dieselbe Teesorte im Wasser schwimmt, klebt weißer Schaum an der Oberfläche. Bernasconi schnuppert zwischen beiden Gläsern hin und her. „Das ist intensiver“, sagt er dann zur appetitlich hellen Variante. Breuss lächelt zufrieden – ein neuer Kunde scheint ihm sicher.

Seit über zehn Jahren ist der 59-Jährige als Vertreter in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs, um Menschen über die Qualität ihres Trinkwassers aufzuklären. Breuss bietet ihnen Aufbereitungsanlagen an, die Kalk und Spuren ungesunder Schwermetalle aus dem Wasser filtern. Im vergangenen Jahr haben die Berater der Firma „Beladomo“ 1500 Geräte in Deutschland verkauft. Die Leute halten so etwas nicht mehr für Humbug, das Geschäft boomt.

Strenge Kontrollen beim Wasser

Ob Filteranlagen im Haushalt sinnvoll sind, diskutieren Wissenschaftler. Dr. Klaus-Holger Knorr arbeitet als Geoökologe am Lehrstuhl für Hydrologie der Universität Bayreuth. Er sagt: „Unser Trinkwasser gehört zu den am besten kontrollierten Produkten.“ In Deutschland müsse niemand Schadstoffe aus dem Wasser filtern. Es reinige sich selbst, wenn es durch Bodenschichten sickere. Anders sieht es Prof. Alfred Lechner von der Fakultät Allgemeinwissenschaften und Mikrosystemtechnik der Hochschule Regensburg. Er hat bei sich zu Hause eine Anlage installiert. Obwohl er weiß, dass Leitungswasser strenger als die Mineralquellen überwacht wird. Sein Filter sehe beim Wechseln katastrophal aus, sagt er. Ganz braun. Der Wissenschaftler will organische Substanzen – also Spuren von Dünger und Pestiziden – aus seinem Trinkwasser verbannen. Zwar werde die Konzentration als unbedenklich eingestuft, erklärt Lechner. Aufnehmen will er sie trotzdem nicht.

Es werden verschiedene Filteranlagen verkauft. Das Angebot reicht von einfachen Kannenfiltern mit Aktivkohle bis zur unter der Küchenspüle installierten Anlage. Die kosten für einen Haushalt rund 2000 Euro, Betriebe zahlen noch mehr. Manche Geräte arbeiten mit UV-Licht, das Bakterien und Medikamenten-Rückstände zerstören soll. Andere nutzen einen Ionenaustauscher, er kann Schwermetalle aus dem Trinkwasser holen. Breuss’ Membrantechnologie wird auch in der Raumfahrt angewandt, der Vertreter verkauft sie vor allem an gesundheitsbewusste Eltern über 40.

Hotelbesitzer Bernasconi passt nicht in diese Gruppe: Der Schweizer ist von der Klasse des Wassers im noblen Skiort St. Moritz überzeugt. In nur 24 Stunden fließt es von der Quelle zum Verbraucher. Trotzdem ist Breuss ins Waldhaus am See gekommen. Er will den „Chef“, wie er Bernasconi immer wieder nennt, vom besseren Wasser überzeugen.

Die Verschlüsse am Koffer schnappen auf. Im Schaumstoff stecken kleine Flaschen und Dosen. In einem Fach daneben ein Plastikröhrchen, darin hat der Vertreter feine Kalkablagerungen gesammelt. Wie Angeklagte baut Breuss vor sich auf dem Tisch mehrere Mineralwasserflaschen auf. Er genießt den Augenblick. Der Vertreter lässt sich aus der Hotelküche einen Krug mit Leitungswasser bringen. Und platziert sein vermeintliches Premiumprodukt am Ende der Reihe. „Sie denken wohl wie alle Menschen, unser Wasser sei gesund?“, fragt Breuss. Er lacht laut auf. Bernasconi nickt cool – dann fährt Breuss fort: „So habe ich früher auch gedacht.“ „Ich könnte 24 Stunden über das Wasser reden“, sagt der Verkäufer. Schon nach wenigen Minuten hat er sich dafür entschuldigt, dass er redet wie ein Wasserfall. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien sprudeln aus ihm heraus.

Kristallklare Bäche der Kindheit

Während Breuss erklärt, wie wichtig reines Wasser für den Menschen ist, sucht er pausenlos den Blickkontakt. Er fühle sich vitaler, seit er das reine und lebendige Wasser trinke, wiederholt er wie ein Mantra. Breuss sieht sich als „Wasserverrückten“. Es sind die kristallklaren Bäche seiner Kindheit, die den 59-Jährigen bei seiner Arbeit inspirieren. Als Junge streift er stundenlang durch die Wälder rund um seinen Vorarlberger Heimatort Damüls. „Unser Kinderzimmer war die Natur.“ In seiner Jugend ist Breuss ein talentierter Skifahrer. Doch anstatt das Sport-Gymnasium zu besuchen – oder die Liebe zur Natur zum Beruf zu machen, besucht er in Innsbruck die Hotelfachschule. Später arbeitet er im Betrieb der Eltern. Sein Wasserwissen eignet sich der Vertreter autodidaktisch an: Er liest Bücher, spricht mit Experten.

Breuss wird nur Sekunden brauchen, um die Gefahr im Wasser von St. Moritz nachzuweisen. Er nimmt ein Fläschchen mit Seifenlösung aus dem Koffer und träufelt jeweils fünf Tropfen in ein Glas. Bernasconi hat sich auf seinem Stuhl gelangweilt zurückgelehnt. Selbst als sich durch sein Leitungswasser erste weiße Schlieren ziehen, verrät sein Gesicht noch immer keine Emotion. Dann rührt Breuss mit einem Löffel durch die milchig trübe Flüssigkeit, so lange bis weiße Wölkchen in der Probe schweben. Das Biowasser bleibt glasklar.

Breuss setzt nach: Er taucht ein Thermometer-artiges Messgerät in das Glas mit Leitungswasser. Hält dem Hotelchef die Digitalanzeige vor die Nase – ein passabler Leitwert von 318 Mikrosiemens. Das heißt, im Trinkwasser stecken verhältnismäßig wenig Fremdstoffe. Trotzdem hat Bernasconi gegen das Biowasser keine Chance. Breuss ist überzeugt: zu viel Zink im Leitungswasser. „Eine Filtration ist empfehlenswert.“

Schuld an einer erhöhten Zink-, Kupfer- oder Blei-Konzentration sind oft Rohre. Besonders in alten Häusern kommen die Materialien noch vor. Heute wird lieber Edelstahl oder Kunststoff verwendet. „Anstatt einen Filter einzubauen, würde ich neue Leitungen legen“, sagt Geoökologe Knorr.

„Es gibt gute und schlechte Anlagen“, erklärt Lechner. Der Chemiker sagt, dass eine Zertifizierung entscheidend ist. Wer sich einen Filter einbauen wolle, müsse sich vorher informieren. Anbieter sollten Untersuchungen renommierter Institute vorlegen, die beweisen, welche Stoffe aus dem Wasser entfernt werden. „Die Anlage darf aber das Kalzium nicht vollständig herausholen“, sagt Lechner. Das verändere den Geschmack – und sei ungesund.

Auch Knorr hält nichts von absolut reinem Wasser: Der menschliche Körper brauche Kalzium, Magnesium oder Kalium. „Wer sehr reines Wasser trinkt, entzieht dem Körper damit Salze“, sagt er. Nur angepasste Ernährung könne den Mangel kompensieren.

4000 Euro für ein längeres Leben

Zurück in St. Moritz: „Ich kann nicht sagen, dass unser Wasser schlecht ist“, insistiert Bernasconi. Der Hotelbesitzer will sich nicht geschlagen geben, auch wenn die Wasserproben wie Zeugen seiner Nachlässigkeit vor ihm stehen. Mit skeptischem Blick nippt er am Biowasser, als wolle er teuren Wein verkosten. Dann braucht Bernasconi ein wenig Zeit – es geht um 4000 Euro. So viel kostet die Investition in ein längeres und gesünderes Leben.

Zum Nachrechnen zieht er sich zurück. Neun von zehn Kunden kaufen das Gerät. „Ich bin der schlechteste Verkäufer dieser Welt“, kokettiert Breuss. Er schult heute die Fachberater der gesamten Firma. Nur zu Hause kann der 59-Jährige mit seinem Wasserwissen nicht mehr punkten: Seine Frau sei verrückter als er. Am Frühstückstisch erzählt sie ihm von neuen Techniken und Trends.

„Hallo Chef“, begrüßt Breuss den Hotelbesitzer. Er reicht ihm die Hand, setzt sich zum Verhandeln das erste Mal neben ihn. Bernasconi hat in seinem Hotel die größte Whiskey-Bar der Welt aufgebaut. Den süßlichen Geschmack des Biowassers wird er nun am Hochprozentigen testen: Mit einer Pipette tropft er Leitungswasser in ein Glas mit Whiskey, ins andere die doppelte Menge von Breuss’ Premiumprodukt. „Das verändert den Whiskey unglaublich“, ist der Vertreter überzeugt. Doch Bernasconi bleibt skeptisch – er schnuppert lieber am eigenen Glas.

An diesem Nachmittag liegt Breuss falsch: Heute wird er keine Anlage verkaufen. Doch Hotelbesitzer Bernasconi gibt dem Vertreter eine zweite Chance. Der Chef will in ein paar Wochen testen, ob das reine Wasser wenigstens den Geschmack seiner Speisen verbessern kann. Breuss wird wieder kommen, er wird eine kleine Testanlage in der Küche installieren – und gemeinsam mit dem Chef Blumenkohl kochen.