Porträt
Immer im Einsatz für den Nachwuchs

Christine Wild aus Schwandorf ist seit 40 Jahren Hebamme aus Leidenschaft. Sie war bei rund 3500 Entbindungen dabei.

01.09.2017 | Stand 16.09.2023, 6:27 Uhr
Renate Ahrens

Hebamme Christine Wild mit einem Neugeborenen Foto: Ahrens

Jedes Kind ist ein Wunder.“ Auch nach 40 Jahren Berufserfahrung mit rund 3500 Geburten beginnen bei Hebamme Christine Wild die Augen zu leuchten, wenn sie in ihrem Café „Lawendls“ von einer Entbindung spricht. Gemütlich ist es im Garten ihres Cafés, mit dem sie sich vor zwei Jahren mit ihren drei Töchtern einen langgehegten Traum erfüllt hat. Schmetterlinge flattern in der Sonne in Richtung der Lavendeltöpfe, nächstes Jahr will die Familie auf der Wiese Apfelbäume und alte Blumensorten pflanzen.

Das „Lawendls“ ist schließlich viel mehr als ein Café – es ist ein Ort der Begegnung: Fröhlich brabbelnd krabbeln hier Kleinkinder um die Tische, deren Mamas trinken einen Cappuccino, in der Spielecke spielen weitere Kinder Kaufladen. Niemand stört sich hier an den Kleinen. Dabei kommen in das „Lawendls“ in Schwandorf-Fronberg Gäste aller Generationen. Das Leitbild der 60-jährigen Hebamme heißt „Familie und Gesundheit“ – ganzheitlich, als gelebte Lebensphilosophie. „Die Kinder sind hier genauso wichtig und willkommen wie die Großen.“ Christine Wild lebt und liebt ihre Arbeit, kein genervter Blick ist auch nach dem zehnten Anruf einer besorgten Mutter zu erkennen. „Gib ihr mit dem Löffel etwas abgekochtes Wasser“, sagt sie geduldig. „Die jungen Frauen müssen doch erst einmal in ihre Mutterrolle hineinfinden“, erklärt die Hebamme weiter.

Verfechterin des Stillens

Im Jahr 1994 bekam sie ihr erstes Handy, erinnert sie sich mit einem Lächeln. Zuvor war sie mit einem Piepser informiert worden, wenn eine Geburt bevorstand oder eine Mutter Rat brauchte. Beim nächsten Anruf hat nun die frischgebackene Mama Bedenken, ob bei der momentanen Hitze die Muttermilch ausreicht. Auch hier gibt die erfahrene Hebamme den passenden Ratschlag. Das Stillen liegt Wild besonders am Herzen: Dem sollte man ihrer Meinung nach – wie auch allgemein der Natur – möglichst seinen Lauf lassen. „Ich bin nicht dogmatisch. Aber Muttermilch steht für das Kind an erster Stelle. In Milchpulver ist oft Palmfett enthalten – da kann man dem Baby gleich Pommes geben“, findet sie deutliche Worte. Sehr schade findet sie es, dass die Stillkultur immer weiter an Bedeutung verliere. Die einfachste und praktischste Sache der Welt sei das – denn immer habe man die Nahrung dabei.

Keineswegs fordert sie hingegen, dass die Mütter nur noch für ihre Kinder da sein müssten – im Gegenteil: „Ich bin eine Verfechterin davon, es Frauen zu ermöglichen, zu arbeiten, wenn sie das möchten. Auch ich habe mit meinen drei Kindern immer gearbeitet. Man hat doch sogar einen Anspruch auf Stillpausen während der Arbeitszeit.“ Sehr positiv findet sie die Elternzeit, die mittlerweile auch für Väter geboten werde. Das gebe jungen Familien Freiraum.

Wild ist im Jahr 1979 mit ihrem Mann aus Baden-Württemberg nach Schwandorf gezogen. Bis vor zwei Jahren hat die Hebamme Entbindungen betreut, heute konzentriert sie sich auf die Nachsorge. „Das ist heute wichtig, denn im Gegensatz zu früher sind die jungen Mütter nur wenige Tage nach der Geburt in der Klinik. Da gibt es viel zu tun.“ Die rund 30 Hausbesuche, die die Krankenkasse bezahlt, seien deshalb entscheidend – so ein Neugeborenes stellt das Leben schließlich gehörig auf den Kopf. „Ich will die Frauen begleiten und mich ihnen angleichen“, sagt sie. Eine Stütze will sie sein, Ruhe vermitteln, ohne den Zeigefinger zu heben. Die Erwartungen und Anforderungen an junge Mütter seien ohnehin groß – und auch deren Ängste: Immer mehr Frauen würden sich für einen Kaiserschnitt entscheiden. Das findet die 60-Jährige schade und unnötig. „Die Geburt ist zu einem Geschäft mit der Angst geworden“, erklärt sie entrüstet. „Rund 25 bis 30 Prozent aller Geburten sind hier schon Kaiserschnitte. Mit dieser Branche kann man viel Geld verdienen. Denn ein Kaiserschnitt und seine Folgen nützen oft nur dem System.“ Junge Familien würden mehr nach Sicherheit streben, nennt sie den Hauptgrund für die Entscheidung zu einem Kaiserschnitt. Dass die Geburt ein völlig natürlicher Lebensprozess sei, gerate heutzutage immer mehr in den Hintergrund. Wild will den Frauen deshalb die Angst nehmen. „Ein Kaiserschnitt hat viel mehr Risiken, auch für das Kind und sein Immunsystem“, weiß die erfahrene Hebamme. „Der Darm des Kindes bekommt keine Chance auf eine Bakterienbesiedlung. Es kann mehr Bronchialprobleme bekommen.“

„Dem Start in das Leben sollte viel mehr Beachtung geschenkt werden.“Christine Wild

Zudem sei der Hebammenberuf ein uraltes Handwerk: Es sollte also keine Angst vor einer natürlichen Geburt bestehen. Den Kritikern, die sagen, man müsse Kind und Mutter nicht dem Stress einer Beckengeburt aussetzen, setzt sie energisch entgegen: „Natürlich bedeutet eine Geburt Stress. Aber so ist das Leben nun einmal. Heute ist es zu einem Geschäft mit der Angst geworden.“ Für sie selbst sei ihr Beruf jedoch nie Routine geworden, betont sie begeistert. „Eine Geburt ist ein bewegender Moment – immer und jedes Mal.“ Ebenso gehöre das Sterben zum Leben – auch hier kann Wild eine Veränderung feststellen: „Fast niemand stirbt heute noch daheim.“

Für den Start in das Leben wünscht sie sich deutlich mehr Aufmerksamkeit – sowohl von der Gesellschaft als auch von der Politik. „Man braucht dringend mehr und besser bezahltes Personal.“ Das sei auch ein Grund, warum es immer weniger Hebammen gäbe – unter anderem auch wegen den hohen Haftpflichtprämien. Ohne echte Begeisterung, ja Leidenschaft, könne man diesen Beruf nicht ausüben.

Von der Erfahrung der Hebamme profitieren

Sie als Nachsorgehebamme hat sich nun mit dem Café einen großen Wunsch erfüllt. Das „Lawendls“ ist nämlich weit mehr als nur eine Gaststätte – lieber spricht Wild von einem „Gesundheitszentrum“. Hier sollen junge Familien von ihrer Erfahrung profitieren. Es finden Rückbildungsgymnastik- oder Geburtsvorbereitungskurse statt. Denn die Hebamme hat sich in den vergangenen Jahren in vielerlei Hinsicht weitergebildet, zum Beispiel ist sie Atem-Therapeutin, Beckenboden-Trainerin und Qi-Gong-Lehrerin. Sogar Workshops und Vorträge werden angeboten oder Kurse für sprachverzögerte Kleinkinder. Alle zwei Wochen findet zudem ein Baby-Café statt. „Das ist nach 40 Jahren im Beruf einfach eine andere, spannende Herausforderung“, erklärt sie.

Viele Helfer habe sie zum Glück – und natürlich ihre drei Töchter. Ganz klar, dass auch das angebotene Essen zum Konzept passt. Regional ist es, meist biologisch und gesund – und ohne künstliche Zusätze. „Für den Salat verwende ich gesunde Kräuter und Hildegard-von-Bingen-Gewürze“, sagt die Expertin. „Die Leute schätzen unsere Philosophie.“ Tiefkühlware gibt es keine – alles ist frisch. Sie selbst esse gesund, sagt die Hebamme. Nichts anderes bekämen auch die Gäste.

Auch die Wohlfühlatmosphäre ist Wild ein Anliegen. Liebevoll ist das Café eingerichtet, mit Möbeln im 1960er-Jahre-Stil. Es wirkt fast ein wenig nostalgisch. Ein Einjähriger versucht sich gerade an seinen ersten Schritten. „Bewegung ist wichtig, für Kinder und auch für die Mütter“, sagt Wild. Auch für dieses Thema werden Kurse und Vorträge geboten. Zeit für Privates bleibt ihr hingegen nicht viel. Schließlich ist sie rund um die Uhr am Telefon erreichbar. Noch nicht so richtig daran gewöhnt habe sie sich, nachts nicht mehr aufstehen und zu einer Geburt eilen zu müssen. „Das genieße ich schon. Die Anrufe machen mir aber auch nicht viel aus. Ich schlafe danach sofort weiter.“

Auszeit für die „Großen“

Doch jetzt muss sie in die Küche des Cafés. Sooft es geht, backt sie selbst Kuchen. Für den Abend stehen auch noch Vorbereitungen an. Denn jeden Freitag ist „Barwendls“ angesagt – ausnahmsweise nur für die Großen, mit Longdrinks und Burgern mit Süßkartoffelpommes. Auch das ist Lebensqualität...

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