Mode
Pepita – von wegen kleinkariert

Die Krise trägt Pepita. Das schillernde Muster ist der QR-Code einer Gegenwart, die nach Sicherheit und Geborgenheit verlangt.

12.10.2014 | Stand 12.10.2023, 10:03 Uhr
Angelika Sauerer
Lady Gaga hüllte sich 2011 von Kopf bis zu den Füßen in Hahnentritt, entworfen von Salvatore Ferragamo. −Foto: AFP

Dieses Muster hat tatsächlich viel von einem Virus – sofern man davon absieht, dass es freilich keine Krankheit, sondern einen Trend auslöst. Es ist immer da, versteckt in den Hinterköpfen der Designer und verborgen in den Kollektionskoffern der Stoffproduzenten. Wenn es der Welt so richtig gut geht, darbt der Erreger. Doch kaum geraten die Dinge aus den Fugen, wird er virulent. Er ist der Stoff, den die Krise webt. Er hüllt ein und schützt mit seiner Seriosität, gibt Halt auf unsicherem Terrain und suggeriert Gewissheit in der Ungewissheit. Die Zeichen der Zeit stehen auf Pepita.

Es begann allmählich und zeitgleich mit der Finanzkrise, dass Modemacher verstärkt an Karo, Hahnentritt und Pepita dachten. 2011/12 erreichte die Welle einen Höhepunkt, als Lady Gaga im Ganzkörper-Pepita von Salvatore Ferragamo zu einer US-amerikanischen Fernsehshow stöckelte. Man sah Pepita bei Marc Jacobs, bei Gucci, bei Hilfiger. Die mal klein-, mal großkarierte Flut will seither einfach nicht abflauen. Aktuell setzt Phoebe Philo bei Céline Akzente mit hellblau-wollweißem Pepita auf Oberteilen und Taschen. Maison Martin Margiela frönt dem Landleben mit Glencheck und Karo. Auch MarcCain, Fay, Donna Karan, Trussardi zeigen und zitieren in ihren Winterkollektionen Hahnentritt und Karo. Wir sind also noch lange nicht über den Berg.

Das Muster aus der Kinderstube

„Erinnerungsmuster“ nennt Valeska Schmidt-Thomsen, Modeprofessorin an der Universität der Künste in Berlin, die Hahnentritte und Pepitas. Ein Hoch erlebten sie in der Nachkriegszeit: Konrad Adenauer mit Pepita-Hut und Sepp Herberger im Pepita-Mantel. Die kleinen Raster, meist in kontrastreichem Schwarzweiß gehalten, haben sich eingebrannt in unser Gedächtnis. „Wir sehen Pepita – und fühlen die guten, alten Zeiten“, sagt Valeska Schmidt-Thomsen. Das Muster beamt einen zurück in die 50er und 60er Jahre, in die Kinderstube der Boomer und der Generation X, die gerade an den Hebeln der Macht sitzen. Dass diese Zeiten oft gar nicht so gut waren, wird ausgeblendet. Modern interpretiert erleben sie im Häuslichen eine Renaissance. Die Generation Y prägt den Zeitgeist mit ihrem Hang, alles bewahren zu wollen, was verloren zu gehen droht: Marmelade einkochen, Brot backen, Gemüse anbauen. Nina Pauer nannte das kürzlich in der „Zeit“ das „Einweckprinzip des guten Lebens“. Es bestehe „in der stetigen Reduktion“ und „im immer Natürlicheren, Puristischen, das signalisiert, weniger statt mehr zu benötigen“.

Pepita, Karo und Hahnentritt passen da gut ins Bild. Die alten Muster verkörpern ein Weniger, das ein Mehr an Ausdruck erreicht: zwei Farben, maximale Wirkung. Pepita ist quasi der QR-Code der Gegenwart, gestrickt wie ein Computerprogramm aus der Null und der Eins – das Web und das Weben. „Die Analogien zwischen einem Webstuhl und einem Computer sind frappierend“, sagt Valeska Schmidt-Thomsen. Im Hahnentritt und Pepita werden sie augenfällig.

Das Web und das Weben

Apropos Augen: „Pepita flimmert. Das Auge versucht vergeblich, einen festen Punkt zu finden. Die fehlende Trennschärfe erzeugt Unruhe und Spannung,“ erklärt Annette Hülsenbeck-Schlothauer. Moderatoren wurde in den Anfangszeiten des Fernsehens nahegelegt, keine kleinen Karos zu tragen, erzählt die Diplom-Pädagogin, die an der Universität Osnabrück Textiles Gestalten lehrt. Für eine Ausstellung, die zuerst 2012 im Tuchmacher Museum Bramsche gezeigt wurde, ist sie dem Muster auf den Grund gegangen.

An Trennschärfe mangelt es auch bei der Definition. „Da herrscht in den Fachbüchern ein gewisses Chaos“, sagt Hülsenbeck. „Es gibt ganz wenig echtes Pepita. Das meiste ist eigentlich Hahnentritt.“ Bei Hahnentritt sind die schwarzen und weißen Flächen genau gleich. Nicht bei Pepita: Da bildet ein isolierter, vierzackiger Stern das Herz des Musters vor einem Grund, der wie ein Netz dahinterliegt. Erschwerend kommt hinzu, dass bestimmte kleine Karos ebenfalls wie Pepita wirken – und bisweilen auch so bezeichnet werden. In Frankreich sagt man „pied-de-poule“ (Hühnerfuß) in England „houndsthooth“ (Hundezahn) zu Pepita bzw. Hahnentritt.

Die zugrundeliegende Webtechnik ist uralt. 1920 fand man im schwedischen Gerum einen ovalen Wollmantel in zwei Brauntönen, der aus der Zeit zwischen 360 und 100 v. Chr. stammt. Es ist Schwedens ältestes Kleidungsstück – und es wurde im Hahnentrittmuster gewebt. Charakteristisch ist die Köperbindung mit ihren schräg verlaufenden Graten und den vier hellen und vier dunklen Fäden im Wechsel in Kette und Schuss.

Emanzipation in Pepita

In seiner späteren Karriere machte das Pepita- bzw. Hahnentrittmuster drei große Sprünge: Mitte des 19. Jahrhunderts von den schottischen Landlords zu den Dandys in den Metropolen; in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von der Herren- zur Damenmode; in der Nachkriegszeit von den Webstühlen hin zum Druck. Die billige und einfache Reproduzierbarkeit durch neue Techniken war der Nährboden, die nach wohlgeordneten Verhältnissen dürstende Stimmungslage der Dünger für die explosionsartige Ausbreitung des Musters. Christian Dior gab Ende der 40er Jahre mit seinem New Look den Startschuss. Bald überzogen Pepita und Hahnentritt alles, was sich nur irgendwie gestalten ließ: Kaffeekannen, Sofas und Sessel, Feuerzeuge, Schokoladenverpackungen, Parfüm-Flakons von Dior (Miss Dior), sogar die Mittelbahn der Sitzbezüge des Porsche 911.

Während die ersten beiden Wellen in die Zukunft wiesen und eine Art Emanzipation ausdrückten – Landadel erobert urbane Bühnen und Frau den Stoff des Mannes – wandte sich die Pepita-Invasion der 50er und 60er Jahre zurück. Man wollte an das Gute und Klassische anknüpfen, das vor der Katastrophe des Krieges lag. „Das Pepita-Kostüm der 50er Jahre sollte elegant wirken und Bürgerlichkeit ausdrücken“, sagt Valeska Schmidt-Thomsen.

Das Wirtschaftswunder, noch fragil, kleidete sich in ein Muster, das Stabilität verhieß. Dass dann bald Spießbürgerlichkeit draus wurde, ist indes eine typisch deutsche Entwicklung und lag vermutlich einfach am Zuviel des Guten. Selbst der Bundeskanzler setzte sich das Kleinkarierte auf den Kopf und Hazy Osterwald dichtete in seinem Schlager von 1961: „Der Herr mit dem Pepita-Hut / Der schiebt ’ne ruhige Kugel“. Pepita mutierte zum Synonym fürs Kleinbürgerliche, Spießige, engstirnige Schwarzweiß. „Bürocratia pepita“ lautet denn auch der spaßhafte Ausdruck für den kleinkarierten Amtsschimmel, der nirgendwo mehr zu Hause war (ist?), als in deutschen Amtsstuben.

Sicherheit in großem Stil

Und heute? „Ich glaube schon, dass es eine Verbindung gibt zwischen dem aktuellen Bedürfnis der Gesellschaft nach Sicherheit und bestimmten Kleiderformen und Materialien“, sagt Valeska Schmidt-Thomsen, die Modeprofessorin. Stoffexpertin Annette Hülsenbeck-Schlothauer sieht das genauso. „Gesellschaftliche Tendenzen der Umbrüche lassen die Menschen zu Mustern greifen, die Tradition und Solidität transportieren.“ Allerdings, das sagen beide, sieht man die aktuellen Hahnentritte und Pepitas mehr in großem als in kleinem Format. Der Zeitgeist hält sich zwar an der Historie fest, aber er ironisiert und persifliert sie. Das ist – zum Glück – alles andere als kleinkariert.