Interview
Früher war es einfacher, zu pubertieren

Schriftsteller Jan Weiler spricht über Schwerhörigkeit, den Journalismus im Wandel der Zeit und natürlich „Das Pubertier“.

07.09.2017 | Stand 16.09.2023, 6:25 Uhr
Heike Sigel

Journalist und Buchautor Jan Weiler Foto: dpa

Jan Weilers Debütroman „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ ging Ende 2003 durch die Decke, und seitdem scheint der Erfolg des Schriftstellers und Journalisten gar nicht mehr abzureißen. Sein im März 2014 veröffentlichtes Buch „Das Pubertier“ landete sofort auf der Spiegel-Bestsellerliste und hielt sich dort 40 Wochen lang. Vor gut einem Monat ist nun der dritte Teil der Pubertier-Reihe „Und ewig schläft das Pubertier“ erschienen. Auch dieses Buch kletterte sofort auf die vordersten Plätze der Bestsellerliste, und der Erstling „Das Pubertier“ stieg quasi en passant wieder mit in die Top Ten der bestverkauften Bücher der Republik ein. Überhaupt scheint das Jahr 2017 ganz im Zeichen des „Pubertiers“ zu stehen. Der gleichnamige Film mit Jan Josef Liefers und Heike Makatsch in den Hauptrollen läuft gerade in den Kinos und jetzt hat auch das ZDF „Das Pubertier“ für sich entdeckt und daraus eine Serie gemacht, die am kommenden Donnerstag um 20.15 Uhr startet. Eine gigantische Erfolgswelle, auf der Jan Weiler da reitet. Wie er das macht? Wir haben ihn in München gefragt.

Herr Weiler, „Das Pubertier“ auf den Bestsellerlisten, im Kino und jetzt auch noch als Fernsehserie. Ist Ihr Buch so genial oder das Thema Pubertät an sich gerade einfach en vogue?

Ich glaube, dass das Thema Pubertät immer Konjunktur hat. Die Pubertät ist ja nicht nur eine Geschichte über Kindheit oder Jugend, sondern auch eine „Coming-of-Age“-Geschichte für die Erwachsenen. Denn wenn die Kinder immer älter werden, dann werden die Erwachsenen ja auch immer älter, müssen sich in neue Rollen begeben und sich damit abfinden. Davon handeln die Bücher ja auch. Wenn der Erzähler davon berichtet, wie er schön langsam pop-kulturell abgehängt wird, sich aber immer eingebildet hat, dass er eigentlich eine Menge Ahnung hat, dann ist das etwas, das viele Menschen empfinden. Dass meine Geschichten so erfolgreich sind, hängt sicher auch damit zusammen, dass es solche Bücher in dieser Form bisher noch nicht gab. Was merkwürdig ist, weil das Thema so auf der Hand liegt.

Der Kinofilm und die Fernsehserie starten knapp hintereinander. Was macht den Unterschied der beiden Produktionen aus?

Der große Unterschied zwischen dem Film und der Serie besteht darin, dass die Serie einen viel längeren Erzähl-Zeitrahmen hat. Der Film spielt innerhalb von zwei, drei Wochen und hat einen fest abgeschlossenen Bereich, der sich relativ nah an meinen Pubertier-Kolumnen orientiert. In der Serie gibt es eine Rahmenhandlung, die nicht unbedingt etwas mit dem „Pubertier“ zu tun hat. Die Familie dort bekommt ein drittes Kind und baut ein Haus. Das kommt in meinen Büchern gar nicht vor. Diese Handlung ist aber wichtig, weil meine Geschichten sonst völlig ohne Zusammenhang nebeneinanderstehen würden.

Sind Sie mit der sechsteiligen Serie zufrieden? Konnten Sie Einfluss nehmen?

Ja, ich finde, die Geschichten haben schon ein ganz gutes Tempo. Und dann haben die Leute beim ZDF auch einen sehr guten Cast zusammenbekommen. Ich finde Pasquale Aleardi, der den Familienvater Jan Maybacher spielt, super. Auf seine Weise macht er das in der Serie genauso gut wie Liefers im Kinofilm. Grundsätzlich muss man als Urheber bei der Verfilmung seiner Bücher loslassen können. Beim Film war ich stark involviert, auch beim Drehbuch. An der Serie habe ich überhaupt nicht mitgearbeitet. Ich konnte mich nur für ein Projekt entscheiden – und die Filmleute waren früher dran. Ich musste also cool sein und die Leute vom ZDF machen lassen. Wenn man dauernd am Drehort rumhängt und am Setting rumnörgelt, wird das Produkt nicht besser. Ich bin nicht der Produzent und habe nichts zu bestimmen. Das muss ich ertragen können. Da muss man sein Ego zusammenfalten und irgendwo ablegen. Es gibt Leute, die das nicht können.

Was mir an Ihren Büchern so gefällt, das sind die überraschenden und absurden Bilder, die Sie kreieren. Auch Ihre Wortneuschöpfungen sind sensationell. Harte Arbeit oder spontane Eingebungen?

Manchmal gibt es Kolumnen, die sind schnell fertig. Da schreibe ich ’ne halbe oder dreiviertel Stunde dran. Dann ist der Text da, ich freue mich und mein Arbeitstag ist beendet. Es gibt aber auch Kolumnen, bei denen ich ein zweites Thema brauche, weil das erste alleine nicht trägt. Und ich fange um halb zehn zu arbeiten an, und um halb zwei ist immer noch nichts da, um viertel vor fünf habe ich erst drei Zeilen, die Bilder und Vergleiche sind nicht originell genug, und um sechs muss ich abgeben...

Was? Sie schreiben Ihre Texte erst auf den letzten Drücker?

...das ist doch nicht kurzfristig! Dienstag ist immer mein Kolumnentag. An dem Tag mache ich beruflich nichts anderes. Ich kann das Material aber erst abgeben, wenn es meinen eigenen Ansprüchen genügt. In den bisher erschienenen 540 Kolumnen von mir gibt es nicht eine einzige Doppelung, was zum Beispiel skurrile Vergleiche oder Bilder betrifft. Ich greife nie auf rhetorische Lösungsroutinen zurück. Man muss die Dinge so schreiben, dass man sich nicht selbst dabei langweilt. Meine Hauptaufgabe ist das Übersetzen von Alltag in eine Sprache, die die Leute inspiriert und amüsiert.

Glauben Sie, dass Sie als Vater für Ihre Kinder ein Glückstreffer sind?

Ja und nein. Nein, weil ich, besonders als die Kinder (Tochter Milla ist 18 und Sohn Tim 14 Jahre alt, Anm. d. Red.) noch kleiner waren, irre viel weg war. Für Kinder ist Struktur unheimlich wichtig. Ich war immer an zwei Wochen im Monat da und an zwei Wochen nicht. Das ist für eine Familie belastender, als man sich das vorstellt. Auf einer anderen Ebene dagegen bin ich ein Super-Vater, weil ich mich sehr für das Leben der Kinder und für das, was sie tun, interessiere. Ich liebe ihre Sprache und ich mag, wie sie ihre Freundschaften pflegen. Ich gehe auch mit meinen Kindern in die Konzerte und Filme, die sie sich aussuchen.

Heutzutage möchten viele Eltern der Freund ihrer Kinder sein und ihren Nachwuchs überbehüten.

Dieses Überbehüten hat mit den vorhandenen technischen Möglichkeiten zu tun, dies auch tatsächlich durchziehen zu können. Meine Eltern konnten ja gar nicht wissen, was ich tue, wenn ich aus der Tür ging. Aber jetzt haben die Kinder alle Handys mit GPS-Signalen und man kann sie theoretisch tracken oder ihnen auch sagen ,Du rufst mich bitte alle eineinhalb Stunden an‘.

Sind Sie so jemand?

Ich neige ein bisschen dazu. Vor vier Jahren, als meine Tochter 14 war, hatte ich schon deutliche Tendenzen zu diesem Helikopter-Ding. Das hat sich zum Glück schnell wieder gegeben.

Andere Eltern schaffen es unter der Woche – aus welchen Gründen auch immer – kaum, mit ihren Kindern ein vernünftiges Gespräch zu führen. Die Kinder gehen aus dem Haus und sind dann manchmal bis zum Abend mehr oder weniger sich selbst überlassen. Sie stellen in Ihren Büchern ja schon ein bisschen die heile Welt dar, oder?

Ja, da geht es unprekär zu. Inzwischen wird mir das sogar vorgeworfen. Aber es gibt tatsächlich auch noch Lebenszusammenhänge, in denen die Kinder kein Crystal Meth nehmen und wo es durchaus auch noch die eine oder andere Klavierstunde gibt. Immer so zu tun, als ob unsere Jugend einer permanenten Bedrohung von außen ausgesetzt ist, stimmt ja auch nicht ganz.

War es früher einfacher, zu pubertieren?

Ja, viel einfacher! Früher war das Weltbild ganz allgemein sehr zentralisiert. Es gab unsere unmittelbare Lebensumgebung, dann gab es den Ost-West-Konflikt zwischen Nato und Warschauer Pakt, ein bisschen saueren Regen und Olympische Spiele. Das war die Welt. Konflikte in anderen Weltgebieten haben uns nicht beeinträchtigt, weil wir nichts davon wussten. Es gab drei Fernsehprogramme und es gab Sendeschluss. In der Kindheit unserer Kinder ist nie Sendeschluss! Das Internet und die Globalisierung rücken die Welt nah an uns heran. Wenn man heute sieht, wovon die Kinder eine Ahnung haben können, wenn sie nur zweimal klicken – und das sind nicht nur Dinge, von denen wir wollen, dass sie eine Ahnung haben – dann muss man sagen, dass die Pubertät viel schwerer ist als früher. Es ist schwierig, Prioritäten zu setzen. Das Handy brummt, vibriert, klingelt... es ist nie Ruhe. Es gibt keine Kontemplation und keine Langeweile mehr.

Würden Sie heute bei der Erziehung Ihrer Kinder etwas anders machen?

Ja, schon. Ich bin nicht sehr autoritär, ich wäre aber gerne konsequenter und autoritärer. Für Kinder ist das manchmal ganz gut. Weil sie auf diese Weise Grenzen kennenlernen und merken, wie der Wertekanon der Eltern funktioniert und diesen dann übernehmen. Wenn man keine Grenzen setzt, dann bilden die Kinder diesen Wertekanon leider auch nicht aus.

Sie werden im Oktober 50...

...jetzt haben Sie mir meinen Tag versaut. Furchtbar.

Was haben Sie an dem Tag vor?

Es sind noch alle Versionen im Rennen. Version 1: Ich fahre weg. Version 2: Wir machen das ganz klein. Ein Essen mit den besten Freunden. Version 3: Dickes Fest! Zu meinem 40. habe ich eine wahnsinnig tolle Party gehabt. Das war auch meine letzte. Meine große Angst ist aber, dass meine Freunde alle nicht mehr so Party machen wie früher. Ich muss mal sehen...

50 ist also nicht nur für Frauen eine irgendwie besondere Zahl?

50 ist das neue 40. Ich fühle mich total viel jünger. In meiner Selbstwahrnehmung bin ich so 37. In der Außenwahrnehmung natürlich nicht. Auch wenn alte Freunde manchmal nette Komplimente machen.

Sie haben eine steile Journalisten-Karriere hingelegt, waren unter anderem ein paar Jahre lang Chefredakteur des SZ-Magazins. Dann haben Sie gekündigt und diese Komfortzone verlassen. Warum?

Eigentlich habe ich die Mentalität eines Verwaltungsangestellten und bin ein extrem auf Sicherheit bedachter Mensch. Aber ich wurde im Laufe meiner Tätigkeit als Chefredakteur sehr krank. In der Zeit, als ich im Krankenhaus war, erschien gerade „Maria, ihm schmeckt’s nicht“. Der Erfolg des Romans zeigte mir eine andere Perspektive, die Chance, mit Ende 30 nochmal eine neue Karriere anzufangen. Und dann habe ich das gemacht.

Hat sich der Journalismus in den letztenJahren verändert?

Dramatisch.

Inwiefern?

Insofern, als sich Redaktionen, die eine machtvolle gesellschaftliche Position haben, in ein Content-Prekariat verwandelt haben. Das ist dramatisch und geht einher mit einer schlechteren Ausbildung der Kollegen. Das ist so wie bei den Leuten, die im Backshop die Brötchen aufbacken. Die sind ja auch keine Bäcker.

In Ihrem Buch „Und ewig schläft das Pubertier“ verraten Sie auch einige Dinge über sich als Person. Hören Sie tatsächlich so schlecht wie im Buch behauptet?

Doch, wirklich. Auf dem rechten Ohr. Das kommt vom Schlagzeugspielen und meiner Zeit als DJ.

Sind Sie gerne allein?

Sagen wir mal so: Ich liebe es, wenn ich alleine bin. Aber ich möchte gerne die Tür aufmachen können und dann sind alle da. Wenn Vati den Raum betritt, dann sollen bitte alle präsent sein, und wenn er alleine sein möchte, dann darf ihn keiner stören(lacht).

Was haben Sie eigentlich gegen Veganer?

Ich habe nichts gegen Veganer, aber ich habe etwas gegen Ideologien. Ich finde eine vegane Lebensform im Kern unproblematisch – aber ich kann den damit oft verbundenen ideologischen Fanatismus nicht ausstehen. Dasselbe gilt übrigens für andere Ideologien. Ich stelle Veganern bei Essenseinladungen herzlich gerne eine Flasche veganen Wein hin. Ich selber trinke dann aber keinen veganen Wein, weil er mir nicht schmeckt. Veganer Wein ist kacke. Und darüber möchte ich nicht diskutieren müssen.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Siein unserem Aboshop.

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