Kinder
Willi ist der Held auf der Wiese

08.03.2013 | Stand 16.09.2023, 7:25 Uhr
Willi hat eigentlich gar keine Lust auf Abenteuer. Er will viel lieber faulenzen, aber Maja hält ihn auf Trab. −Foto: ZDF/Studio 100 Animation

Und diese Biene, die ich meine, nennt sich – nicht Maja. Sondern Willi. Dicker, fauler, schläfriger Willi. Denn wenn ich an einem schönen Tag durch eine Blumenwiese geh und kleine Bienen fliegen seh, denk ich an Willi.

Willi, ich liebte Willi. Willi beflügelte meine Kinderwelt. Die Biene Maja war mir immer zu naseweis, zu neunmalklug. Willi war der Grund, warum ich die TV-Serie über die Tiere auf der Klatschmohnwiese sehen wollte. Der trottelige Willi brachte mich zum Lachen. Ich hatte Angst um Willi, wenn er in die Fänge der fleischfressenden Pflanze geriet oder nicht mehr aus der leeren Limoflasche kam. Dann überlegte ich mit, wie er sich wohl aus der Patsche befreien könnte.

Eine unverwechselbare, quäkend-näselnde Stimme

Maja ging mir auf die Nerven. Maja hatte den treuen Kumpel Willi gar nicht verdient. Sie kommandierte Willi ständig herum, obwohl der doch viel lieber faulenzen wollte. Ich fand auch nie, dass der Willi dämlich ist. Denn wenn die angeblich so schlaue Biene Maja mal auf den Willi gehört hätte, dann wären die beiden auch nicht so oft in Gefahr geraten. Der Willi war lieb, denn er machte aus Zuneigung zu seiner Freundin bei allem mit, obwohl er oft nur mühsam hinterherkam. Rücksichtslos war das von der Maja. Überhaupt: Der Willi schaute lustig aus und er sprach auch so lustig, so unverwechselbar. Es reicht schon, die Mundwinkel nach oben zu ziehen, die Zunge sanft gegen das Gaumensegel zu pressen und dann durch die Nasennebenhöhle „Maja“ zu rufen. Jeder weiß, wer da ruft.

Der Synchrondrehbuchautor Eberhard Storeck lieh dem Willi seine quäkend-näselnde Stimme. Für das Lied „Ich bin der faule Willi“ bekam Storeck eine Goldene Schallplatte. In der gesamten Trickfilmwelt hat Storecks Stimme Gewicht. Er schrieb nicht nur die deutschen Dialoge für die Serie „Die Biene Maja“, sondern auch für „Wicki und die starken Männer“ und für „Pinocchio“. Abgesehen davon hauchte er vielen Figuren, die mich als Kind begeisterten, Persönlichkeit ein – durch den besonderen Klang seiner Stimme. Bei den Wikingern sprach er den Snorre und in der „Muppet Show“ den dänischen Koch. Paulchen Panther legte er ebenfalls seine unverwechselbaren Reime in den Mund, denn er dachte sie sich aus. Bei 173 Folgen von „Oggy und die Kakerlaken“ schrieb Storeck 22743 Zeilen Verse und führte Dialogregie.

Der letzte Spielfilm, den Storeck synchronisierte, kam 2004 in die Kinos. Es war „Terminal“ von Steven Spielberg. Storeck ist darin die deutsche Stimme des indischen Schauspielers Kumar Pallana. Dann war Schluss. Storeck lebt jetzt in einem Heim in Norddeutschland. Am Mittwoch hat er Geburtstag. Er wird er 80 Jahre alt. Interviews kann er keine mehr geben.

In der Literaturvorlage gab es

den Willi noch gar nicht

Der taz verriet Storeck 2001, dass er eigentlich ganz zufällig in die Trickfilmszene gerutscht ist. Zuvor hatte er für Bergman- und Godard-Filme getextet, dann sollte er „plötzlich so einen Pipifax“ machen. Anfangs stand er den Zeichentrickfilmen also sehr skeptisch gegenüber. Er hatte nicht mit der Begeisterung der Kinder gerechnet. Die Kinder liebten die Figuren, die Storeck durch seine Stimme so besonders machte. Auf der Straße wurde er sogar erkannt, weil er wie der Willi sprach. Und den hatten die Kinder in ihre Herzen geschlossen.

Dabei gehörte Willi ursprünglich gar nicht zum original Biene-Maja-Cast. Im Buch von Waldemar Bonsels fehlt Willi. Erst Josef Göhlen erfand ihn. Er war Redakteur für das ZDF-Kinderprogramm und stieß 1975 auf die Biene Maja und ihre Insektenfreunde. Matt Murphy, ein Amerikaner, der schon für Walt Disney, William Hanna und Joseph Barbera gezeichnet hatte, entwarf die Figuren, ein japanisches Studio besorgte die Umsetzung, und Eberhard Storeck, die unverwechselbare Synchronstimme des tollpatschigen Willi, schrieb viele Dialoge.

Die von Göhlen konzipierte Serie wurde ein Superhit. Am 9. September 1976 lief die erste von 104 Folgen. Donnerstags, 17.10 Uhr, waren die Kinder in den folgenden Jahren fest mit dem Fernseher verabredet. Bei der Erstausstrahlung sahen laut ZDF-Angaben im Schnitt drei bis vier Millionen Kinder zwischen drei und 13 Jahren zu. Im Jahr nach der Beendigung der ersten Ausstrahlung wurden fast 40000 Briefe mit Bitte um Wiederholung an das ZDF geschickt, so dass die Serie ab dem 15. Oktober 1978 jeweils sonntags wiederholt wurde.

Die Literaturvorlage hat mit der Maja-Fernsehwelt nur wenig gemeinsam. Bonsels gehörte zur Schwabinger Bohème, als er das Buch schrieb. Ein paar Jahre nach Erscheinen des Buches 1912 hieß es, dass die Biene Maja am deutschen Kaiserhof gelesen werde. In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gehörte die „Biene Maja“ zusammen mit den „Buddenbrooks“ von Thomas Mann und Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ zu den meistgelesenen Büchern in Deutschland. Die Soldaten im Ersten Weltkrieg machten die Feldausgabe zu ihrer Lieblingslektüre. Bonsels wurde ein gut verdienender Literatur-Star.

In Bonsels’ Universum ist jeder Grashalm belebt, jedes Insekt beseelt. Maja – die freiheitsliebende, kindertümelnde Heldin – erkundet auf eigene Faust die Welt. Am Ende kehrt sie als strahlende Retterin heim. Die duftende Sommerwiese war wohl ein idealer Fluchtpunkt für die traumatisierten Soldaten an der Front.

Bonsels war Antisemit, Maja nicht

In den 50er Jahren geriet der Name Bonsels dann in Vergessenheit. Das änderte sich 2011 wieder. Der Literaturwissenschaftler Sven Hanuschek von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München lud damals zu einem Symposium. Hanuschek forscht zu Bonsels und zu den Nazi-Vorwürfen gegen den Autor. Die Ergebnisse des Symposiums sind unter dem Titel „Waldemar Bonsels – Karrierestrategien eines Erfolgsschriftstellers“ veröffentlicht. Das Urteil der Wissenschaftler: Bonsels war ein Antisemit. Darauf deuten zahlreiche Dokumente hin.

Die „Biene Maja“ halten die Forscher für weitgehend unproblematisch. In der Fernsehserie werden ohnehin ganz andere Werte vertreten. Das liegt vor allem an Willi. Er ist eine wahrhaft komische Figur, die Majas Eifer konterkariert. Er passt viel eher in die antiautoritäre Kindererziehung der 1970er Jahre. Der verschlafene und verfressene Willi, ist zwar immer ein wenig faul, aber trotzdem oft Majas Retter. Zu diesem Ergebnis kommt der Tübinger Medienwissenschaftler Harald Weiß, der sich in seiner Dissertation mit dem „Flug der Biene Maja durch die Welt der Medien“ beschäftigt hat. Göhlen habe eine Korrespondenzfigur zu Maja gesucht, weil er fürchtete, die Konzeption der Serie könne sonst nicht funktionieren. Ohne Willi wäre die Serie wahrscheinlich nicht so erfolgreich geworden.

Hauptsache, der Willi kann schlafen

Willi ist ein Freund, wie man ihn sich nur wünschen kann. In der dritten Folge der Serie etwa plagt Maja Sehnsucht nach der Welt. Sie möchte frei sein und fliegen. Aber sie wird erwischt. Weil sie gegen die Bienenvorschriften verstoßen hat, landet sie in der Strafwabe. Ausgerechnet Willi hilft ihr aus dem Schlamassel. Ihm ist es egal, wo er schläft. Hauptsache, er kann schlafen. Außerdem: Wenn seine Freundin einen Wunsch hat, dann tut er alles, um ihn zu erfüllen. Schließlich ist Willi nicht nur irgendeiner, sondern Majas bester Freund. Willi tauscht sich durch einen Trick gegen Maja aus. Maja ist frei – dank Willi.