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Der Metaller und die Oberpfalz

Manuel Trummer erforscht als Wissenschaftler seine Heimat und die Popkultur. Privat verbindet er beides – mit Heavy Metal.

25.10.2014 | Stand 12.10.2023, 10:03 Uhr
Angelika Sauerer
Ab November stehen Konzerte an: Glasgow, Madrid, Zagreb, Athen. Es muss geprobt werden. Für Manuel Trummer und seine Bandkollegen von Atlantean Kodex sind das kleine Alltagsfluchten. −Foto: Sabine Franzl

Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn er sich das noch einmal antut. Manuel Trummer kennt den Teufel gut. Der Kulturwissenschaftler hat über ihngeforscht und geschrieben, er weiß, dass er nicht nur im Detail steckt, sondern mitten in der Pop- und Rockkultur und damit mitten in seinem Leben. „Sympathy For The Devil“ sangen die Rolling Stones. „What if death is mankind’s true inspiration?“ – was, wenn der Tod die wahre Inspiration der Menschheit wäre – fragt Gitarrist Trummer im Booklet des zweiten Albums seiner Heavy-Metal-BandAtlantean Kodex. Wo der Tod ist, ist der Teufel nicht weit. So was weiß man als Oberpfälzer besonders gut. Es schreibt sich ein in die Gene, während man als Kind durch den dunklen, dunklen Wald radelt, die Äste knacken hört, hinter jedem Baum eine Drud wähnt und schaudernd die Finger in die Krallenspuren legt, die der Satan der Sage nach auf dem Teufelsstein gleich hinter Vilseck hinterlassen hat.

Der Mühlhiasl und die nordoberpfälzer Sagenwelt

Manuel Trummer stammt ausVilseckim Landkreis Amberg-Sulzbach, er ist mit den düsteren Weltuntergangs-Prophezeiungen vomMühlhiaslund mit den Oberpfälzer Sagen aufgewachsen, die Franz Xaver Schönwerth (1810-1886) für die Nachwelt festgehalten hat. Er nutzt diesen Schatz wissenschaftlich, aber auch für die Texte seiner Songs. Man kann sagen, das Album „The White Goddess“ ist durch und durch Schönwerth-inspiriert, der Mühlhiasl ist ebenfalls drauf. Und man kann auch sagen, dass das Album ziemlich perfekt geworden ist. „Wir sind unserem Ideal sehr nah gekommen“, sagt Manuel Trummer, „besser wird’s nimmer.“ Platz 65 in den deutschen Charts. Album des Monats imFachmagazin Rock Hard. Und acht von zehn Punkten auf der elitären US-Musikseite pitchfork.com. Nur wenn er das Gefühl hätte, diese Scheibe toppen zu können, würde Manuel Trummer sich das Ganze noch mal antun.

Jetzt steht was anderes im Vordergrund. Gerade hat das Semester begonnen. Seit seiner Promotion 2010 arbeitet er als Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Uni Regensburg. Hochschuldozent, sagt er, sei sein Traumjob. Seine Rolle fasst er interaktiv auf: Er bietet jetzt, wo viele Flüchtlinge nach Regensburg kommen, der Integrationsstelle kulturwissenschaftliche Zusammenarbeit an. Er begleitet die Ausstellung „Wie klingt die Oberpfalz?“ von Ort zu Ort durch die Region. Auch sie ist ein Gemeinschaftsprojekt von Uni, Bezirk, Fachakademie Cham und Trummers Studenten, die das Konzept im Seminar entwickelten.

Raue Natur, raue Musik, wilde Kerle: Heavy Metal passt in die Oberpfalz

Sie klingt übrigens ziemlich nach Schwermetall, die Oberpfalz. Die meisten Songbeispiele regionaler Bands an einer der Hörstationen stammen aus der Richtung Heavy Metal. „Zufall“, meint Trummer mit seinem bärigen Grinsen. Er habe das nicht ausgesucht. Wahrscheinlich passen wummernde Bässe, kreischende Gitarren und hämmernde Drums einfach gut zu einem Menschenschlag, der in einer kargen Gegend lebt und nicht viel Worte braucht. Raue Natur, raue Musik, wilde Kerle. Dazu der düstere Mystizismus, der sowohl den Heavy Metal, als auch die Oberpfalz prägt. Eskapismus pur. Und pubertäres Revoluzzertum, Opposition gegen alle Institutionen. Im Heavy-Metal-Genre wendet sich das allgemein oft auch gegen die Kirche, „aber damit wollen wir nichts zu tun haben“. Manuel Trummer (35) wurde katholisch erzogen, war Ministrant und spielte die Orgel. Bei ihm bleibt die Kirche im Dorf.

Mit neun oder zehn, so um 1989 rum, kam er über ältere Cousins mit Heavy Metal in Berührung. „Wir hingen rum, spielten Fußball, hörten Musik auf dem Kassettendeck.“ Mit zehn Jahren spielte er Klavier, drei Jahre später Gitarre. „Mit 15 haben wir eine Band gegründet. Wir waren hoffnungslos erfolglos, grottenschlecht – aber ziemlich cool.“ Mit dem jetzigen Bassisten von Atlantean Kodex, Florian Kreuzer, hat Manuel im Kindergarten gespielt, den Schlagzeuger Mario Weiß kennt er auch schon ewig. Sie spielten eine wirre Mischung aus Punk, Blues, Volksmusik und Heavy Metal. Nach dem Abi gingen sie auseinander. „Das war’s erst mal.“

Erst 2005 taten sich Trummer und Kreuzer wieder zusammen. „Wir hatten nicht den Plan, etwas aufzunehmen. Aber wir hatten – anders als früher – ein Gefühl dafür, wie es klingen sollte.“ Sie holten Mario Weiß, Markus Becker (Gesang) und Michael Koch (E-Gitarre) dazu, nahmen Demos auf. Der Erfolg war unglaublich. „Wir dachten uns, okay, anscheinend sind wir in eine Lücke gestoßen.“ Eine Lücke, die Bands wie Manowar (verkommen zur Bierzeltmusik) und Bathory (gestorben mit dem Frontmann Forsberg) hinterlassen hatten. „Wir wollten die Musik machen, die sie früher spielten und für die wir schwärmten.“ Epischen Heavy Metal, mit klarem Gesang, großen Melodiebögen, hypnotischen Gitarren. 2009 erste, bejubelte Live-Auftritte, 2010 das erste Studioalbum „The Golden Bough“.

Trummer wollte 1999 in Regensburg zunächst Germanistik, Anglistik und Geschichte studieren. Aber dann lief er am Infostand für „Volkskunde“ vorbei, so hieß das damals noch. Regionalgeschichte, Alltagskultur, Erzählforschung – und Popularmusik: Interessierte ihn alles, Letzteres gab den Ausschlag. Während er das erzählt, geht er von seinem Büro zum H5 hinüber, wo er eine Fachtagung über Fankulturen eröffnen wird, die er als Vorsitzender eines hochkarätigen Gremiums von Popularkulturforschern organisiert hat. Er hält kurz inne und sagt: „Ja, das ist jetzt so ein Moment, wo sich ein Kreis schließt.“

Heavy Metal durch die kulturwissenschaftliche Brille

Eigentlich schließen sich ständig Kreise in seinem Leben: Er war erst Fan der Musik, die er jetzt macht. Sagen, Geschichte und die Alltagskultur seiner Heimat faszinierten ihn von klein auf, jetzt sind sie Teil seiner Forschungsarbeit. Und dauernd ergeben sich Schnittmengen. In seinen Songs kann er den wissenschaftlichen Filter ausschalten und schöne, düstere Geschichten auf historischen Fundamenten erzählen. Der Metal-Fan mit der riesigen Plattensammlung und dem Faible für Horror- und Fantasyliteratur von H P. Lovecraft oder Robert E. Howard ist er selber, kulturwissenschaftlich analysiert er ihn so: leidenschaftlich, führt Diskurse auf hohem Expertenniveau. Die Szene ist durchakademisiert, fühlt aber proletarisch. Das Alter liegt bei 25-40 Jahren. Die Leute lesen sich ein. „Unsere Fans wissen alles über den Mühlhiasl, sogar die Griechen können die Texte mitsingen.“ Bessere Kulturbotschafter kann die Oberpfalz gar nicht in die Welt hinausschicken. Ab November stehen Konzerte an: Glasgow, Madrid, Zagreb, Athen. Es muss geprobt werden.

Die stillgelegte Schreinerei im Industriegebiet von Sulzbach-Rosenberg steht verschlissen zwischen Neubauten. Wer hier reingeht, lässt den Dozenten, den Familienvater oder den Manager draußen. Drinnen hängt kalter Rauch in der Luft und dazu all das Blut, der Schweiß und die Tränen, mit denen „The White Goddess“ eingespielt und gemischt wurde. Dosen, Becher, Zigarettenkippen, Schlüssel, Stifte, alte Sofas, Instrumente liegen rum wie zufällig von den heftigen Schallwellen hingeblasen, die aus dem Zentrum pulsieren, wo sich die Band zwischen Verstärkern drängt. Eine Papierleuchte beginnt leicht zu schaukeln, wie von Geisterhand, die Lautstärke steht im Zimmer als fremdes, unsichtbares Wesen, von dem man nicht weiß, ob es gefährlich ist oder nicht.

Für Aufbruch und Energie stehe ihre erste Platte, die zweite, „The White Goddess“, für Vergänglichkeit, hat Manuel Trummer vorher gesagt. „Ein Abschiedsalbum“, vielleicht. Sie könnten jederzeit aufhören. Womöglich tun sie es genau deshalb nicht.