Justiz
Versuchter Totschlag – sechs Jahre Haft

Das Landgericht Amberg verurteilt den Mann, der in einer Asylbewerberunterkunft einen Jungen mit dem Messer angegriffen hat.

01.02.2016 | Stand 16.09.2023, 6:48 Uhr
Christina Röttenbacher
Der Angeklagte mit Pflichtverteidigerin Dagmar Ciccotti und seinem Rechtsanwalt Jürgen Mühl −Foto: Röttenbacher

„Es tut mir leid, ich entschuldige mich. Ich habe nie vorgehabt, jemanden umzubringen. Die Tat ist nicht mehr ungeschehen zu machen.“ Das waren die letzten – und die einzigen – Worte des 20-jährigen Angeklagten. Nach drei langen Verhandlungstagen das Urteil: Der wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung angeklagte, 20-jährige Asylbewerber aus dem Kosovo nahm nun mit der gleichen stoischen Ruhe, mit der er die Verhandlung verfolgt hatte, auch das Urteil entgegen.

Die Jugendkammer des Landgerichts Amberg mit dem Vorsitzenden Richter Christian Frey sah den Tatvorwurf bestätigt und verurteilte den Angeklagten zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren. Damit blieb die Kammer nahe an dem Antrag des Anklagevertreters, der sieben Jahre beantragt hatte. Der Verteidiger des 20-jährigen Mannes hatte ebenfalls eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht gefordert, deren Inhalt er in das Ermessen des Gerichts stellte. Die Pflichtverteidigerin Dagmar Ciccotti plädierte auf vier Jahre und drei Monate Jugendhaft.

„Der Angeklagte entspricht einem zweijährigen Kind, das den Kopf unter das Kissen steckt.“Oberstaatsanwalt Dr. Thomas Strohmeier

Viele Fragen zum Tathergang konnten auch nach den drei Verhandlungstagen nicht eindeutig geklärt werden; so waren die Plädoyers von Vermutungen und von Annahmen geprägt.Im Verlauf einer Auseinandersetzung in der Asylbewerberunterkunft in Seugast (Markt Freihung, Landkreis Amberg-Sulzbach) stach der Angeklagte mit einem Messer auf sein 17-jähriges Opfer – einen Asylbewerber aus der Ukraine – ein und verletzte ihn lebensgefährlich. Ein Messerstich traf in den Hals, weitere den Oberarm, die Oberschenkel und den Hinterkopf. Erst die Mutter des Opfers konnte den Angreifer dann von ihrem Sohn abhalten. Dabei wurde auch sie vom Angeklagten bedroht und angegriffen.

Hartnäckiges Schweigen vorgeworfen

„Der Angeklagte entspricht einem zweijährigen Kind, das den Kopf unter das Kissen steckt“, warf Oberstaatsanwalt Dr. Thomas Strohmeier dem Kosovo-Albaner hartnäckiges Schweigen vor. Der Staatsanwalt baute sein Plädoyer vor dem Urteil also auf den Aussagen des Angeklagten bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung, auf den kriminaltechnischen Ermittlungen und auf Zeugenaussagen auf, deren Ergebnisse die Anklage bestätigten. Es sei durchaus realistisch, dass das Opfer um sein Leben gekämpft habe, sagte der Oberstaatsanwalt. Es sei bekannt, dass es in der Seugaster Unterkunft wegen der „fragwürdigen Belegungspraxis“ immer wieder zu Spannungen komme. Als belastend führte Strohmeier auffälliges Verhalten nach der Tat, die Flucht per Fahrrad, dann eine fragwürdige Taxifahrt, zahlreiche Handytelefonate und mögliche Zeugenbeeinflussung des Angeklagten an.

„Der Todesstoß eines Toreros. Er kann durchaus bereits 26 Jahre alt sein.“Oberstaatsanwalt Dr. Thomas Strohmeier

„Alles, wie man es dreht und wendet, spricht für die Tatversion des Opfers – nicht für die Version des Angeklagten.“ Den Stich auf den Hinterkopf des Opfers wertete der Staatsanwalt als „Todesstoß eines Toreros“. Zudem sei fraglich, ob der Angeklagte tatsächlich erst 20 Jahre alt ist. Auf seiner Asylodyssee habe er immer wieder falsche Angaben zu Herkunft und Alter gemacht. „Er kann durchaus bereits 26 Jahre alt sein.“ Strohmeier relativierte die vom Gutachter angenommenen Reiferückstände des Angeklagten. Sein Antrag: sieben Jahre Jugendhaft.

Kein „Überlebenskampf“ des Opfers

„Mein Deal ist es nicht, einen Freispruch oder den Rücktritt vom Tötungsversuch zu erreichen“, sagte Verteidiger Jürgen Mühl. Entscheidend sei nicht, was sein Mandant nach der Tat gemacht habe, sagte Mühl mit Blick auf die Staatsanwaltschaft. Man dürfe nicht das Nachtatverhalten so konstruieren, „dass es zur Tat passt“. Er ließ den Tatverlauf aus seiner Sicht Revue passieren. Das Opfer habe das Gericht mit immer neuen Tatalternativen bedient. Einen „Überlebenskampf“ für den Amateurboxer hielt Anwalt Mühl für unglaubwürdig. Laut Zeugenaussagen könnte das Opfer auch selber das Messer in der Hand gehabt haben. Der Stich in den Hals sei nicht als „Tötungsabsicht“ zu werten, weil eine entsprechende Vorsatzhandlung als „gewollter“ Stich nicht nachweisbar sei.

Ein Urteil wegen versuchten Totschlags hielt Mühl für nicht gerechtfertigt. Er beantragte also eine Jugendstrafe – „deutlich unter dem Strafmaß des Staatsanwaltes“, und beschränkt auf eine gefährliche Körperverletzung.

„Der rund vier Zentimeter tiefe Stich in den Hals verfehlte nur knapp den Kehlkopf und wichtige Hauptschlagadern.“Vorsitzender Richter Christian Frey

Dem schloss sich Pflichtverteidigerin Ciccotti an. In der Unterkunft habe es schon immer massive Spannungen wegen Nichtigkeiten gegeben. „Wir müssen uns von dem Bild des friedlichen Zusammenlebens in diesen Unterkünften verabschieden und davon, dass unser Opfer zu den friedvollen Menschfreunden gehört.“ Sie hielt den Strafantrag des Staatsanwalts für überzogen und beantragte eine Jugendstrafe von vier Jahre und drei Monaten unter Einbeziehung der U-Haft-Dauer.

Die Haft im Herkunftsland absitzen

Vorsitzender Richter Christian Frey sah die Anklagepunkte des versuchten Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung durch die Zeugenaussagen sowie Sachverständigengutachten bestätigt und setzte bei dem Angeklagten voraus, dass dieser den Tod seines Opfers „billigend in Kauf genommen“ habe.„Der rund vier Zentimeter tiefe Stich in den Hals verfehlte nur knapp den Kehlkopf und wichtige Hauptschlagadern. In dieser Situation ist von einem planvollen Handeln auszugehen.“ Der verurteilte Mann wird seine Haft übrigens in seinem Herkunftsland, dem Kosovo, absitzen müssen.