Nahaufnahme
Er kann auch kellnern

Daniel Gawlowski aus Furth im Wald hat gerade eine der besten Schauspielschulen absolviert. Und jetzt?

30.01.2016 | Stand 12.10.2023, 10:03 Uhr

Sein Gesicht ist wie eine Leinwand, auf der alles möglich ist: harter Hund, sanfter Lover, verträumter Junge, fieser Mafioso. Wenn er nicht spielt, sieht Daniel Gawlowski ungefähr so aus. Foto: Sabine Franzl

Kurz ist es wieder so wie immer. Die Otto-Falckenberg-Straße entlang, links in den Hof hinter den Münchner Kammerspielen, vorbei an der Kantine, den ausrangierten Sitzmöbeln für die Raucher, eine Außentreppe hoch und durch die schwere Holztür ins Haus hinein. Es ist Mitte Januar, vier Jahre ging er hier ein und aus, einer von zwölf Schauspielschülern in seinem Jahrgang, die es von um die tausend Bewerbern geschafft hatten. Und dann ist da doch so ein komisches Gefühl: Es ist vorbei.

Ein guter Jahrgang, wie es aussieht. Aber was zählt, ist das Leben danach. Und es beginnt mit dem Ivo.

Geil, richtig geil, lautet die Regieanweisung. Kein Problem. Gawlowski ist Gallinowski ist Geilowski ist Gallo ist Geilo.

Anfang November, Kammer 2 – die Spielhalle der Münchner Kammerspiele –, eine Stunde vor der Vorstellung. Daniel Gawlowski geht die Bühne ab, das ist eine Gewohnheit: den Raum und die Rolle vorfühlen. Ein offenes Geviert, rechts und links flankiert von zwei Reihen Stühlen, vorne ein paar Schreibtische für Damen und Herren Intendanten oder Chefdramaturgen. Zum ersten Mal wird das Intendantenvorsprechen, das Ivo, öffentlich sein. Regisseur Boris Nikitin hat mit der Klasse eine Castingshow, ein Best of der Besten, inszeniert: „Das Vorsprechen“. Daniel wird tanzen und singen, eine Improvisation, sexy Slapstick, einstudiert mit der Diseuse Georgette Dee. Geil, richtig geil, lautet die Regieanweisung. Kein Problem. Gawlowski ist Gallinowski ist Geilowski ist Gallo ist Geilo. Die Spitznamen stammen noch aus der Schulzeit. Irgendwie stimmt so was ja immer.

Und mittendrin wird es kippen. Erst fast unmerklich, dann rasant geht es in die Hölle hinab und mündet in den Monolog des Kinderschänders aus Franz Xaver Kroetz’ Stück „Du hast gewackelt. Requiem für ein liebes Kind“, vorgetragen in Unterhose, hellblau glänzender Synthetik-Trainingsjacke und mit zusammengezwickten Pobacken und harmlos treuherzigen Augen. Schockstarre im Publikum, dann donnernder Applaus.

„Das Vorsprechen“ noch – und dann Schluss

Tags darauf schreiben die Kritiker vor allem über Gawlowskis Auftritt, von Süddeutscher über FAZ bis hin zu Spiegel online. Die Blicke seiner Mitschüler fühlen sich anders als sonst an. Und Daniel beschließt, doch bei der Schauspielerei zu bleiben.

So betritt er die Bühne beim „Vorsprechen“. Es geht ihm um nichts mehr und er gibt alles. „Ich spiele das wie einer, der ich noch nicht bin.“ Ach, Gawlowski, diese ewigen Selbstzweifel, er wischt sie mit seinem charmant linkslastigen Lächeln weg, das ein Jude Law nicht besser hinkriegt. Kevin Spacey, Robert De Niro, Al Pacino, Alexander Scheer, Steven Scharf, Shenja Lacher, Wolfram Koch – solche Vorbilder verraten, wohin einer eigentlich will.

Vielleicht hätte das Theater nie eine Rolle in seinem Leben gespielt – wären da nicht Bruce Lee und die asiatische Kampfkunst gewesen. Um für acht Monate in ein Shaolin-Kloster im chinesischen Dengfeng gehen zu können, braucht er nicht nur Geld, das er sich als Würstlbrater und Reifenstapler verdient, sondern nach dem Einberufungsbescheid auch eine Stelle als Zivi. Ein Nachbar bringt den handwerklich begabten Daniel auf die Idee, es beim Jungen Landestheater Bayern in Mühldorf am Inn zu versuchen.

Ein Spätzünder, der nur den Bühneneingang kennt

Als er sich bei fast 20 deutschsprachigen Schauspielschulen vorstellt, ist Daniel 23 Jahre alt, ein Spätzünder, unterwegs in einem alten Ford Fiesta, im Kofferraum die Requisiten – Lederhose, Holzpflock, Axt. An einigen Schulen kommt er von Runde zu Runde weiter. In Bochum sagen sie ihm: Du schaust zu sehr darauf, ob du gefällst. Das stimmt und das merkt er sich, bis heute: Der gute Schauspieler macht’s niemandem recht.

Es war an diesem Tisch, auf dem sich jetzt die Baguettekörbe, die Platten mit Frischkäse-Dips und Sauren Gurken, die Sektgläser und Suppenschalen türmen. Direktor Jochen Noch feiert 60. Geburtstag, alle sind da. Daniel gratuliert ihm, Noch umarmt ihn herzlich. Es ist tatsächlich wie in einer Familie. Hier haben sie ihm gesagt, dass er dazugehört.

Hier geht es zu weiterenNahaufnahmen.

MehrGeschichten aus unserem Wochenendmagazin „nr. sieben“ lesen Sie hier.