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Nach 73 Jahren: Sohn findet seinen Vater

Seit 1944 ist Georg Fleischmann aus Harrling als Soldat in Russland vermisst. Jetzt kennt der Sohn sein Schicksal.

12.12.2017 | Stand 16.09.2023, 6:17 Uhr

Georg Fleischmann als Soldat 1943 in Russland Fotos: Fleischmann

Man schrieb das Jahr 1944, genau gesagt, es war der 20. Mai, als mein Vater aus seinem dreiwöchigen Fronturlaub wieder zu seiner Einheit in Russland zurück musste. Ich war damals 13, meine beiden Brüder neun und sechs Jahre. Vater bekam selten Urlaub, meistens einmal im Jahr. Er kam aus Warschau, aus Paris und dann drei Mal aus Russland.

Immer wenn er sich zuvor daheim in Harrling anmelden konnte, gingen wir ihm ein Stück entgegen. Hieß es dann Abschied nehmen, durften wir ihn ein Stück des Weges zum Bahnhof nach Altrandsberg begleiten, aber nie bis zum Bahnhof. Das wollte er nicht, denn hier war das Abschiednehmen am abfahrenden Zug zu schwer. Auch an jenem 20. Mai 1944 war es so. Wir begleiteten Vater ein Stück des Weges, das letzte Stück ging er allein. Es sollte wohl das letzte Mal sein?

Einige Tage später kam die erste Post wieder von der Front. Gut angekommen hieß es hier, es ist alles in Ordnung. Nach einigen Tagen folgte der nächste Brief und dann noch einige. Doch als der letzte Brief vom 20. Juni Zuhause ankam wussten wir schon, dass dort, wo Vater stationiert war, eine großangelegte Offensive gegen die deutsche Front begonnen hatte –ein Großangriff, mit dem die deutschen Soldaten schon lange gerechnet hatten.

Der erste Brief von der Truppe

Auch Vater hat daheim öfters davon gesprochen und angedeutet, in welch gefährlicher Lage sie waren. Und so kam es auch. Es war ein Rückzug ohnegleichen und die Verluste an Menschen und Material waren enorm. Trotzdem wartete Mutter noch jeden Tag auf eine Nachricht, doch der Postbote winkte jeden Tag schon von Weitem ab. Das Warten und Bangen blieb.

Mitte Juli kam dann ein Brief, vom Kompanie-Chef mit der Hand geschrieben, dass Vater nach diesem Rückzug nicht mehr zu seiner Einheit zurückgekehrt sei. Kameraden hatten ihn am 28. Juni zum letzten Mal gesehen.

Viele Jahre vergingen nun, doch immer wieder kam die Erinnerung an das noch ungelöste Schicksal meines Vater zurück. Noch etwas mehr vom Kampfgeschehen, wo Vater eingebunden war, zu erfahren, war meine stete Hoffnung, die jedoch hoffnungslos schien. Doch es kam anders. Unter den regelmäßig zugesandten Mitteilungsblättern vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Bundesgeschäftsstelle in Kassel, im August dieses Jahres befand sich ein Formular zu einem Suchantrag für noch vermisste Personen aus den Jahren des Krieges.

Diese Stelle kümmert sich im Auftrag der Bundesregierung um die Gräber der deutschen Kriegstoten im Ausland. Im Rahmen dieser Arbeit werden auch Vermisstenschicksale geklärt und Angehörige informiert. Das war nun die Gelegenheit, nochmals den Suchdienst einzuschalten, um eventuell vorliegende Nachforschungsergebnisse zu erfahren. Nicht ahnend jedoch, welch präziser Informationsfluss sich damit in Bewegung setzte.

Nach einigen Tagen kam von dort schon die Mitteilung, dass nach Prüfung der Unterlagen hier keine Aufzeichnungen über meinen Vater vorliegen. Weiter heißt es: „Wir haben deshalb mit gleicher Post Ihre Anfrage an die Deutsche Dienststelle (ehemalige Wehrmachtsauskunftstelle) in Berlin zur Prüfung übersandt. Zusätzlich senden wir eine Kopie Ihrer Anfrage an den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes in München. Dieser Suchdienst befasst sich mit Nachforschungen nach Kriegs- und Zivilgefangenen sowie Wehrmachtsvermissten des zweiten Weltkrieges. Diesem Suchdienst werden auch Listen mit den Namen deutscher Soldaten übergeben, die in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verstorben sind“.

Die Antwort der Dienststelle in Berlin ließ nicht lange auf sich warten. Sie teilte mit, „…dass der Genannte in dem Zeitraum vom 25. Juni bis 4. Juli 1944 als Angehöriger der Einheit 2. Kompanie Bau-Pionier-Bataillon 571 = Feldpostnummer 28 516 im Raum Orscha-Minsk vermisst wird. Über seinen weiteren Verlauf ist hier nichts bekannt. Er war Träger der Erkennungsmarke – 3506 -Bau Ers.Bataillon 13“.

Die Nachricht vom Tode

Es fehlte jetzt nur noch die Auskunft des BRK-Suchdienstes in München. Dieser teilte dann am 13. Oktober Folgendes mit: „Alle bisherigen Bemühungen des BRK-Suchdienstes München, das Schicksal von Georg Fleischmann zu klären, blieben erfolglos. Der Suchfall wurde am 10. 12. 1969 mit einem BRK-Gutachten vorläufig abgeschlossen. Georg Fleischmann gehört nach wie vor zu den Menschen, die verschollen sind, deren Schicksal ungeklärt ist.“

Mit dieser Mitteilung vom Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes habe ich nun das erfahren, worauf ich fast mein ganzes Leben lang warten musste. Es waren die Ereignisse der letzten Kriegstage, in denen ich meinen Vater verloren habe. Darüber Näheres zu wissen heißt nun, das Wort „vermisst“ besser verstehen zu können.

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