Terror
Wie ein Oberpfälzer das Attentat erlebte

Armin Hölzl aus Roding stand wenige Meter vor dem Lkw, der über den Breitscheidplatz in Berlin pflügte.

22.12.2016 | Stand 16.09.2023, 6:33 Uhr
Bild des Grauens: Der Tatort am Berliner Breitscheitplatz, am Abend des Attentats. −Foto: dpa

Maximal zehn Meter. So nah war Armin Hölzl dem Lastwagen, als dieser durch den Breitscheidplatz pflügte und den Weihnachtsmarkt binnen Sekunden in ein Feld des Todes und der Verwüstung verwandelte. Hölzl ist dieser Höllenfahrt entkommen, unverletzt. Aber mit Erinnerungen, die ihn jetzt andauernd verfolgen. Am Donnerstag erzählte Hölzl seine Geschichte unserem Medienhaus – ursprünglich wollten wir uns eigentlich über seine Oldtimer-Sammlung unterhalten.

Der 48-jährige ist Unternehmer aus Roding (Landkreis Cham), er errichtet Mobilfunkanlagen. Am Montag war er gemeinsam mit einem Bekannten in Berlin. Seine Erzählung geht folgendermaßen:

Ziemlich genau um 19.30 Uhr befanden sich die beiden Männer beim Europacenter. Hölzl telefonierte mit seiner Ehefrau und erzählte ihr, sie würden jetzt noch zum Christkindlmarkt gehen und danach ins Europacenter. Alles gut. Danach schlenderten die beiden durch dem Markt und kauften sich bei einer Bude direkt an der Gedächtniskirche einen Glühwein. Beim Trinken lernten sie einen gebürtigen Münchner kennen und diskutierten über einen zweiten Glühwein. Sie entschieden sich an dem Stand, wo nur zwei, drei Minuten später der Lkw entlangbrettern sollte, dagegen und gingen weiter Richtung Europacenter. Etwa 30 Meter weiter hielten sie an, weil sich der neue Bekannte etwas zu Essen holen wollte. Der mitreisende Bekannte ging zu einer Bude, Hölzl blieb am Weg an einer Trinktheke, schaute Richtung Norden – der Lkw kam von der entgegengesetzten Seite.

Plötzlich hörte Hölzl einen „Riesenkrach, wie wenn Feuerwerkskörper explodieren. Ich hab mich umgedreht und gesehen, wie die Hütten umfallen wie Dominosteine. Da war mir noch nicht klar, was passiert. Dann habe ich die Lichter des Lkw gesehen und erkannt, dass der schwarze Lastwagen auf mich zukommt.“ Die nächsten Hütten, die der Lastwagen überfuhr, „sind nach oben weggeflogen. In dem Augenblick schoss mir durch den Kopf: Nizza“, schildert Hölzl die dramatischen Sekunden.In Nizza hat im Juli ein Attentäter mit einem kleineren Lastwagen an der Promenade mindestens 86 Menschen totgefahren.

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„Da läufst du einfach“

Hölzl drehte sich um und rannte weg. „Da läufst du einfach. Du denkst nicht nach, welche Richtung die beste wäre“, schildert der Rodinger den Moment der Panik.

Er rannte hinein zwischen Buden zur Treppe, die zur Gedächstniskirche führt. Er war vielleicht fünf Meter gelaufen, als er nochmal über die Schulter blickte und sah, wie der Lkw nach links – raus aus dem Weihnachtsmarkt – abbog. Da war er höchstens zehn Meter vom Lastwagen entfernt. Und er hörte, wie der Fahrer offenbar nochmal Gas gab, weil das Automatikgetriebe herunterschaltete und der Motor höherdrehte. Immerhin, als der Lastwagen abbog, „war mir klar, dass die Gefahr, dass ich überfahren werde, vorbei ist“. Das alles spielte sich in einem Zeitraum von nur wenigen Sekunden ab, Hölzl hat den Lkw nur einen Bruchteil davon gesehen. „Ich habe nur den schwarzen Lastwagen und das Scania-Schild wahrgenommen. Vom Fahrer oder Beifahrer habe ich nichts bemerkt“, sagt Hölzl.

Bei der Flucht zur Gedächtniskirche sah Hölzl eine gestürzte Frau auf der Treppe liegen und einen Mann, der auf sie drauffiel. „Der ist aufgestanden und weggelaufen und hat die Frau liegenlassen.“ Hölzl packte die Frau an der Hand, zog sie hoch und erblickte dabei erneut den Lkw, der endlich stehengeblieben war. In dem Moment herrschte Stille, sagt Hölzl. Kein Geschrei, wie man es aus Filmen kennt, sondern absolute Ruhe.

Jetzt packte den Rodinger die Angst, dass jemand aus dem Laster aussteigt und herumschießt, oder dass das Gefährt explodiert. Das Attentat am Olympia-Einkaufszentrum in München kam ihm in den Sinn. Die Frau schrie „weg, weg, weg“, die beiden liefen rüber zum Kurfürstendamm und wurden dort von zwei Polizisten aufgehalten. „Die haben gefragt, was denn los ist und ich habe ihnen erzählt, dass ein Lkw in den Christkindlmarkt reingefahren ist. Die Polizisten blieben stehen wie festgeklebt“, erzählt Hölzl, informierten Kollegen per Funk. Die Frau war irgendwie weg, dafür der kurz zuvor kennengelernte Münchner wieder da. Der rief nur, er sei Sanitäter und müsse zurück zum Tatort. Von beiden hat Hölzl nichts mehr gehört und gesehen.

Der Rodinger lief weiter über den Kudamm, die Passanten waren noch ahnungslos. Dann rief er seine Frau an, exakt um 20.02 Uhr, also ca. vier Minuten nach der Todesfahrt. „Mir geht‘s gut, mir fehlt nix. Du wirst jetzt gleich am Fernsehen sehen, dass es ein Attentat am Christkindlmarkt gab, da ist ein Lkw durch“, erklärte Hölzl seiner verdutzten Gattin durchs Handy. Die habe nur „ok“ gesagt, völlig perplex.

Nach dem mutmaßlichen Attentäter Anis Amri wird inzwischen europaweit gefahndet:

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U-Bahn, Bus – zu gefährlich

Als der 48-Jährige von Passanten hörte, der Fahrer des Lkw sei flüchtig, sei für ihn klar gewesen: „Nix wie weg“. U-Bahn, Bus – zu gefährlich. In diesem Augenblick hielt ein Taxi neben ihm. Hölzl hüpfte hinein und sagte zum Fahrer „fahr zua“. Der Taxler habe erst mal gezögert, aber als Hölzl hastig vom Attentat erzählte und in diesem Moment ein Polizeiauto mit Blaulicht heranbrauste, war der Taxifahrer überzeugt und setzte das Auto in Bewegung.

Drei Tage nach dem Attentat hat der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz wieder geöffnet.

Hölzl ließ sich zu seinem Hotel „Ramada“ am Alexanderplatz bringen, wo er auch seinen Reisepartner wieder traf. Er ging sofort aufs Zimmer, schaltete den Fernseher ein – und sah zu seiner Verblüffung schon die ersten Bilder am TV. Das war um etwa 20.30 Uhr. Während der Fahrt im Taxi hatte er nachgedacht über das Geschehen und war sich unter anderem sicher, dass der Lkw schwarz war und der Auflieger weiß. Der Auflieger war aber definitiv auch schwarz und Hölzl wundert sich über diese Erinnerungstäuschung.

Schutz davor erscheint unmöglich

Ständig denkt Hölzl über seine Erlebnisse am Breitscheidplatz nach. Er schiebt es nicht weg, sondern will alles wissen darüber, informiert sich ständig über die neuen Erkenntnisse. Er verfolgt kopfschüttelnd die Diskussion, ob man etwa den Nürnberger Christkindlmarkt mit mehr und Maschinengewehr-bewaffneter Polizei besser schützen sollte. „Das ist für die Katz“, glaubt Hölzl. Der Lkw in Berlin sei so plötzlich aufgetaucht, da bleibe keine Zeit für eine sinnvolle Reaktion. Er versteht jetzt auch, wie der Attentäter von Nizza so viele Menschen erfassen konnte: Wer mit dem Rücken zum Geschehen stehe, kriege viel zu spät mit, was los ist: „Bis man merkt, was passiert, ist der Laster schon da.“

Hölzl kommt mit dem Erlebten augenscheinlich gut zurecht. Auch wenn er viele Male am Tag im Geiste die Buden davonfliegen und den Lkw sieht. Und immer, wenn er einen schwarzen Lastwagen im Verkehr erblickt, egal wo, erscheint er ihm gefährlich.

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