MZ-Serie
Im Leopardenanzug für immer jung

Die in Furth im Wald geborene Kabarettistin Sissi Perlinger beschäftigt sich mit dem Altern und will turnen bis in die Urne.

18.10.2016 | Stand 16.09.2023, 6:42 Uhr
Sie ist Kabarettistin, ausgebildete Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin: Sissi Perlinger. −Foto: Franziska Schroedinger

Der Leopardenanzug sitzt noch immer wie angegossen. Speckröllchen können sich erst gar nicht festsetzen, wenn man so quirlig über die Bühne fegt und fetzt, wie es Sissi Perlinger seit 30 Jahren tut. Im Dezember wird sie 54 Jahre alt – davon zeugen allenfalls ein paar Lachfältchen um die Augen. Trotzdem beschäftigt sich die Kabarettistin, ausgebildete Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin in ihrem aktuellen Programm mit dem Altern. Und hat für sich selbst beschlossen: „Ich bleib dann mal jung.“

Geboren in Furth im Wald

Dem Zufall überließ Sissi Perlinger in ihrem Leben selten den Vortritt. Dass sie zu den besten Kabarettisten in Deutschland zählt, hat sie sich mit viel Ausdauer und Disziplin erarbeitet. Nur bei ihrer Geburt kam ihr der Zufall noch zuvor. So kam sie in der Oberpfalz zur Welt, obwohl sie doch eigentlich ein Münchner Kindl hätte werden sollen. Die Eltern hatten in der Adventszeit 1962 die Verwandtschaft in Furth im Wald (Lkr. Cham) besucht, als sich Elisabeth Judith Michaela Perlinger ankündigte. Nun stand da also die Grenzstadt in ihrem Pass, womit sie aber nie ein Problem hatte, wie sie betont. „Ich kehre immer wieder gerne in meine geliebte Oberpfalz zurück“, sagte sie 2010 in einem MZ-Interview. Dann besuche sie ihren Vater und die Verwandtschaft und gehe zum Wandern. Auszeiten, die sie sich heute ganz bewusst gönnt und die Teil ihres persönlichen Wohlbefindens sind, wie sie in ihrem Buch „Auszeit – Der Perlinger-Weg ins Glück“ schreibt.

Dass die kleine Elisabeth auf die Bühne will, ahnten die Eltern früh. Schon als Kind entwickelte das Mädchen eine Leidenschaft für Kostüme und fürs Singen. Statt zu weinen, habe sie in ihrem Bettchen Lieder geträllert, schreibt die Perlinger in ihrer Biografie. Als Dreijährige besaß sie bereits einen Anzug mit Leopardenmuster, den ihr ihre Mutter genäht hatte. Die Leidenschaft für außergewöhnlich extravagante Kleider war geweckt und blieb. Als die Schulkameraden in Parkas und Schlaghosen herumliefen, beklebte sich Sissi die sechs Zentimeter hohen High Heels mit Leopardenmuster und beschloss Sängerin und Tänzerin zu werden.

Die Mutter und der Stiefvater, die beide beim Fernsehen arbeiteten, waren davon ebenso wenig begeistert, wie von der Idee Schauspielerin zu werden. Sie hätten ihr durch ihre persönlichen Erfahrungen glaubwürdig versichert, dass alle Schauspielerinnen ab einem gewissen Alter, als arbeitslose Alkoholikerinnen enden, schreibt Perlinger. „Außerdem meinte meine Mama, ich solle mir doch bitte ein originelleres Berufsziel als Tänzerin ausdenken. Das hat natürlich tief gesessen, denn „unoriginell war das Letzte, was ich sein wollte.“ So war die Schülerin nach dem Abitur sehr ratlos, wohin ihr Weg führen sollte.

So kam es zu einem zweiten entscheidenden Zufall. Im Englischen Garten traf die Perlinger auf Marianne Sägebrecht. Sie war damals, Anfang der 1980er Jahre, bereits Teil der Münchner Kleinkunstszene. Sissi Perlinger, an jenem Tag in einem gelben Theater-Tanzkleid unterwegs, fragte, ob sie bei einem von Sägebrechts Kleinkunstabenden auftreten dürfte. Sie durfte – und legte an jenem Tag den Grundstein für ihre Karriere. In Paris, Wien, New York und Los Angeles ließ sie sich zur Tänzerin ausbilden, später nahm sie auch Gesangs- und Schauspielunterricht. 1986 schrieb, inszenierte und choreografierte sie ihr erstes eigenes Programm, 1992 bekam sie eine eigene Fernsehshow „Schräge Vögel“. In den Jahren darauf tourte sie, spielte in Fernsehfilmen und Serien mit, erhielt 1997 den Grimme-Preis in Gold für ihre Rolle in „Der letzte Kurier“.

Kurz darauf bekam die Entertainerin, damals Mitte 30, ernsthafte gesundheitliche Probleme. Ein Tinnitus quälte sie, ihre Leistungsfähigkeit ließ nach, sie bekam ein Burn-Out-Syndrom und stürzte in eine schwere persönliche Krise. „Ich war auf dem Höhepunkt meiner Karriere. Ich hatte einen Film im Kino, eine eigene TV-Show, ein Buch und eine CD auf dem Markt. Und war der unglücklichste Mensch der Welt“, sagte sie in einem Interview. Drei Jahre brauchte die Kabarettistin, um ihr Leben zu ordnen, um ihren neuen Weg zu finden. Als Schauspielerin arbeitet sie nur noch wenig, 2006 beschloss sie, keine Rollen mehr anzunehmen. „Das ist mir zu unkreativ.“ Auch Fernsehshows lehnte sie seitdem ab, konzentriert sich stattdessen ganz auf die Bühne. „Die Rückmeldung durch Zuschauer in Form von Applaus oder Lachen ist erfüllender als bei einer Filmpremiere auf einem roten Teppich zu stehen“, sagte sie 2010 im MZ-Interview.

„Turne bis in die Urne“

2010 war auch das Jahr, in dem sie ihre gesundheitlichen Probleme zu einem Bühnenstück verarbeitete und ein Buch schrieb, wie man sich aus einer solchen Krise befreien kann. Heute nimmt sie sich Freiräume, lebt zeitweise auf Ibiza und in Indien, hat dort auch ein Hilfsprojekt aufgebaut, das jungen Frauen Mut gibt und sie auf ihrem Lebensweg unterstützen will.

Sissi Perlinger hat ihren eigenen Weg ins Glück gefunden. „Das Beste kommt noch – man muss sich nur darum kümmern, dass es auch immer besser wird!“, schreibt sie in ihrem Buch zur aktuellen Tournee. Statt sich über Knitterfalten beim Aufstehen zu ärgern, freue sie sich nun über die neuen Entfaltungsmöglichkeiten. „Turne bis in die Urne“ lautet ihr Lebensmotto jetzt, wo sie knietief in den Fünfzigern steckt. Bis dahin, so hat sie beschlossen, zieht sie auch den Leopardendress nicht mehr aus.

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