Natur
„Todesfalle“ unter der Flut-Brücke

Florian Scheurer klagt: Bei jedem Hochwasser wird ein Biotop zur „Grünen Hölle“. Ist der neue Chamer Westzubringer schuld?

10.06.2016 | Stand 16.09.2023, 6:43 Uhr
Ernst Fischer
Jagdpächter Florian Scheurer zeigt auf die Flutmulde unter dem neuen Westzubringer: „Das ist eine Todesfalle für alle Tiere bei Hochwasser.“ −Foto: Fischer

Natur pur! So schaut’s aus auf den ersten Blick: sattes Grün, soweit das Auge reicht links und rechts der Michelsdorfer Brücke. So stellen wir uns ein Biotop vor – ein Ort fürs Leben aller Arten. Oben am Brückengeländer steht ein Mann wie ein Schrank. Florian Scheurer streckt seinen Bodybuilder-Arm aus und deutet über die grüne Idylle: „Das ist eine Todesfalle.“

Der Mann ist Jagdpächter hier auf den Regenwiesen zwischen Cham, Altenmarkt und Michelsdorf. Und er hat uns gerufen nach der großen Flut in der vergangenen Woche. Das Sturzhochwasser nach dem Unwetter-Regen von einem kurzen Nachmittag ist gerade mal 24 Stunden her, als wir mit ihm hier auf der Brücke stehen. Von der großen Überschwemmung – nichts mehr zu sehen.

Wehe, der große Regen kommt!

Aber Florian Scheurer kann‘s zeigen: „So hoch ist das Wasser gestanden!“ deutet er 300 Meter Richtung Westen ungefähr halbhoch unter die Brücke, wo der Chamer West-Zubringer erst vor vier Jahren auf Beton-Stelzen gestellt worden ist. Eine breite Flutmulde wurde dort geschaffen, damit die Autofahrer auch immer trockenen Reifens in die Stadt kommen. Und genau das ist „die Todesfalle“. Diese Mulde wächst in trockenen Zeiten zum paradiesischen Biotop heran. Aber wehe, der große Regen kommt!

„Ich bin jetzt 40 Jahre alt und kenne dieses Gebiet schon genau so lange“, erzählt Florian Scheurer. Der Bub vom Autohaus Scheurer auf der Quadfeldmühle ist von klein auf hier auf Entdeckungstour gegangen – damals, als diese Regenwiesen noch wirklich echte Natur waren.

Ist die Flutmulde das Problem?

Aber jetzt!? „Jeder Graben wird begradigt, jedes Feld drainiert“, ereifert sich Scheurer. Und so ist aus dem Auen-Dreieck zwischen Cham, Altenmarkt und Michelsdorf eine „Todesfalle“ bei Hochwasser geworden – für alles, was da kreucht und fleucht. Immer, wenn die große Flut kommt, dann schnappt die Falle zu. Eingezwängt zwischen Regenfluss und Quadfeldmühlbach, da gibt es kein Entkommen.

Florian Scheurer: „Nach jedem Hochwasser finde ich ungefähr 100 tote Hasen hier und mindestens zehn Rehe.“ Nein, sagt er auch noch. Es geht ihm nicht nur um das jagdbare Wild. Was sich da sonst noch so alles tummelt hier in dem satten Grün unter der Michelsdorfer Brücke: „Insekten, Bodenbrüter Kiebitze – alle tot“, klagt der Jäger: „Das ganze Leben – auf einen Schlag vernichtet.“

„Nach jedem Hochwasser finde ich ungefähr 100 tote Hasen hier und mindestens zehn Rehe.“Florian Scheurer

Der Mann glaubt zu wissen, wer die größte Schuld daran hat: der neue Damm für den Westzubringer und die Flutmulde unter der Stelzenbrücke. Eigentlich soll sie ja dazu dienen, dass sich die Fluten bei Hochwasser besser in der Regentalaue verteilen können. Für Florian Scheurer aber hat diese Flutmulde genau die gegenteilige Wirkung.

Das Hochwasser staut sich nach seiner Beobachtung hier in der Flutmulde zu einem See auf, kann aber dann nicht nach Westen ablaufen. Und so kehrt sich die Flut wieder um in Richtung Michelsdorf und drückt zurück bis zum Mönchsweiher und anderen kleineren Biotopen in Cham-Süd und Altenmarkt. Für die Tierwelt dort bleibt nur die Flucht nach nirgendwo – in den Tod.

Schlüssel des Ganzen ist für Scheurer eine Fehlplanung bei der Flutmulde: „Gut gemeint, aber sie bewirkt genau das Gegenteil“, sagt der Jagdpächter. Und: „Was nützt eine Ausgleichsfläche, wenn sie regelmäßig alles kaputt macht, was dort lebt?“

Was sagen Naturschützer?

Peter Zach vom Landesbund für Vogelschutz ist Gebietsbetreuer für das Naturschutzgebiet Regentalaue. Seit 40 Jahren kümmert er sich hier um die Pflanzen- und Tierwelt. Auch er weiß von der Schizophrenie, die sich hier auftut: „Die Flutmulde ist einerseits ein wertvoller Lebensraum, aber auch eine Falle bei Hochwasser.“

Ob sich die Situation seit dem Bau des Westzubringers verschärft hat? „Das kann ich so nicht beurteilen“, sagt Zach. „Aber die Flächen dort zwischen Altenmarkt und Michelsdorf wurden auch vorher schon immer überflutet – zum Beispiel auch der Mönchsweiher.“

„Die Flächen zwischen Altenmarkt und Michelsdorf wurden auch vorher schon immer überflutet.“Peter Zach

Alfons Klostermeier vom Chamer Fischereiverein sieht die Situation so: „Die Flutmulde hat vor allem die Aufgabe, bei Hochwasser Retentionsflächen zu schaffen, damit sich das Wasser weiter ausbreiten kann.“ Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, dass die Mulde regelmäßig gemäht wird, damit sich dort keine allzu üppige Vegetation entwickelt. An Büschen könnten sich nämlich dann Dämme bilden, die zu zu Fischfallen werden, wenn das Hochwasser wieder abläuft. Der Stadtbauhof kümmere sich auch regelmäßig darum.

Richard Fischer war der zuständige Baubetreuer in der Tiefbauabteilung des Rathauses für das Westzubringer-Projekt. Nein, sagt er, mit dem geschilderten Problem sei er bisher noch nicht konfrontiert worden. Jagdpächter Scheurer könne sich gerne im Rathaus melden, um dann an einer Lösung zu arbeiten. Im übrigen seien bei der Planung alle Belange von Naturschutz und Wasserwirtschaft berücksichtigt worden.

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