Kolumne
Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich

Walter Kotschenreuther, der Dekan der evangelischen Kirchengemeinde in Cham, kommt in der Fastenzeit ins Nachdenken.

24.03.2017 | Stand 16.09.2023, 6:24 Uhr

Walter Kotschenreuther Foto: cba

Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich! Das sagt der Volksmund. Und doch gibt es viele Menschen, die mit dem Gefühl leben, dass die nötige Zeit fehlt. Die Uhr, der Terminkalender und ein riesiger Aufgaben-Berg sitzen im Nacken. Man hetzt durch den Tag. Am Steuer wächst die Ungeduld, am liebsten möchte man hupen, damit es schneller geht. Und dann schellt auch noch das Telefon! Noch etwas, das erledigt werden muss. Am besten schon vorgestern. Multi-Tasking ist angesagt, um wirklich alles zu schaffen. Ein Gefühl der Unzufriedenheit schleicht sich ein, weil man sich eben doch nicht die nötige Zeit genommen hat, um gute Qualität zu liefern. Optimierung von Arbeitsprozessen sagen die einen dazu, die anderen sprechen von beschleunigter Zeit. Dann ist es Zeit, den Alltag zu „ent-schleunigen“!

Im Blick auf dieses Gefühl, ständig unter Strom zu stehen, im Alltag gehetzt und von Terminen fremdbestimmt zu leben, haben findige Seelsorger ein Motto für die diesjährige Fastenzeit gefunden: „Sieben Wochen ohne – Sofort!“

Jetzt, so mitten in der Fastenzeit komme ich ins Nachdenken. In diesen sieben Wochen zwischen Aschermittwoch und Karfreitag geht es beim „Fasten“ darum, sich auf Wichtiges im Leben zu konzentrieren. Irrwege sollen oder sollten korrigiert werden. Sieben Wochen lang kein Fleisch essen, auf Schokolade, Alkohol oder einen anderen lieb gewordene Genuss verzichten. Aus Ehrfurcht vor dem Leben, aus Achtung vor dem eigenen Körper, aus Respekt vor anderen Menschen.

Allerdings: Der Verzicht auf Süßes oder auf das Glas Wein am Abend fällt leicht. Leichter jedenfalls als das Motto „Sieben Wochen ohne – Sofort!“ Sich einmal Zeit lassen, Zeit für sich, Zeit für die Familie, Zeit zum Schlendern und Bummeln, Zeit für … nichts tun! Das fällt heutzutage im leistungsorientierten Alltag erheblich schwerer. In den Alltag „Zeit rein bringen“ wird zum echten Verzicht, zu einer mühevollen Fastenübung!

Aber das ist doch der Sinn der Übung. Viele Menschen klagen über Zeitnot und Überlastung. Ein Gast aus Übersee meinte einmal schmunzelnd: „Ihr Europäer habt die Uhr, wir haben die Zeit“! Entschleunigung lautet das Zauberwort vieler Ratgeber. Haben sie nicht Recht? Entschleunigung des Alltags, wieder Zeit haben, ist nötiger denn je!

Ich bin immer wieder überrascht von der Faszination, die ein Text aus der Bibel ausstrahlt: „Alles Ding unter dem Himmel hat seine Zeit.“ Heißt es dort. „Lachen hat seine Zeit, Weinen hat seine Zeit; Klagen hat seine Zeit, Tanzen hat seine Zeit; Lieben hat seine Zeit, Hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Frieden hat seine Zeit;“ (Quoh. 3).

Man könnte ergänzen: Arbeiten hat seine Zeit, Ruhen hat seine Zeit. Selbst Gott hat nach sechs Tagen Arbeit einen Ruhetag eingelegt und gab uns damit das Vorbild, am siebten Tag zu ruhen. Der morgige Sonntag ist folglich ein Teil der Fürsorge Gottes für erfülltes Leben. Denn: Anspannung und Entspannung gehören in eine gute „Life-Balance“. Fasten wir doch mal beim täglichen Zeitdruck! Verzichten wir doch mal – wenigstens einen Tag lang – auf dieses Wörtchen „Sofort!“ Nehmen wir uns einfach mal stressfrei Zeit … für das, was wir schon immer mal machen wollten, aber aus Zeitmangel nie getan haben …

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