Kunst
Mit Skalpell alten Meistern auf der Spur

Der Altessinger Alfred Wittmann restauriert aktuell einen 170 Jahre alten Kreuzweg – seinen Beruf kann der Kirchenmaler aber nicht mehr ausüben.

04.04.2014 | Stand 16.09.2023, 7:16 Uhr

Kirchenmaler Alfred Wittmann (M.) zu seiner Zeit als Restaurator in einer Klosterbibliothek – die Arbeiten dauerten mehr als zwei Jahre.

Schon an der grün-goldenen Haustür ist der barocke Geist zu spüren, der in Alfred Wittmanns Haus gefangen ist. Noch weit mächtiger wird der Eindruck im Hausflur. Ölgemälde, wohin man blickt, immer wieder durchbrochen von Kruzifixen und christlichen Skulpturen: das Haus gleicht einer Galerie für barocke, mittelalterliche und frühneuzeitliche Kunst – hauptsächlich mit sakralem Charakter. Und es macht nicht nur diesen Eindruck, es ist auch eine Art Galerie, denn das weiß gekalkte Haus in Altessing ist Galerie, Atelier und Wohnhaus von Alfred Wittmann, seines Zeichens gelernter Kirchenmaler, Restaurator und Kunsthändler.

25 Jahre auf dem Dachboden

18 Stufen tiefer liegt sein Reich – in einem etwa 25 Quadratmeter großen Raum stapeln sich Ölgemälde, Staffeleien, Farben, ein spezieller Tageslichtscheinwerfer und Kreuzwegtafeln. Die 14 Stationen des Kreuzwegs sind das aktuelle Projekt des 56-Jährigen: mehr als 25 Jahre lagen sie auf einem Dachboden in Pfeffenhausen – verrostet und beinahe unkenntlich verwittert. Diese Restaurierung ist auch für den gebürtigen Altessinger Neuland, denn er muss statt Ausbesserungsarbeiten den kompletten Kreuzweg selbst malen. „Anfangs hat mich die Tiefe der Aufgabe etwas erschlagen, das muss ich zugeben, aber mittlerweile macht es sehr viel Spaß“, sagt er.

In mehreren Schritten rettet er die Werke von 1862 vor der Zerstörung und verleiht ihnen neuen Glanz. „Zuerst werden die Schilder entrostet – das muss zwar vorsichtig passieren, aber zerstören konnte ich nicht viel, weil ja fast nichts mehr da war. Dann werden brüchige Stellen gekittet, Löcher ausgebessert und eine ebene Fläche geschliffen.“ Dann zeichnet Wittmann mit Kreide oder Kohle Umrisse vor und füllt diese in mehreren Anstrichen dann mit Farbe – und Leben. Für eine Tafel sitzt er mindestens zwei Tage.

Nach 35 Jahren geht nichts mehr

Gelernt hat er sein Handwerk 1973 in Regensburg, war dann ab 1978 bei der Bundeswehr und kehrte schließlich für 35 Jahre in seinen Beruf zurück. Sein Spezialgebiet war die Ausbesserung und Restaurierung von Deckenfresken – das bedeutete 35 Jahre arbeiten im stehen und über Kopf. Und auch wenn Wittmann seinen Beruf lebte, spielte der Körper irgendwann nicht mehr mit. „Man muss es sich vorstellen, als ob man den ganzen Tag eine Vorhangstange hochhält, die aber niemand festmacht. Ich bekam starke körperliche Probleme, unter anderem einen Tinnitus – ich musste aufhören.“

Das Stoppsignal vor fünf Jahren war aber gleichzeitig ein Startschuss – für die zweite Karriere als selbstständiger Kunsthändler und Restaurator. Seitdem werkelt Wittmann in seinem Keller und hat auch die Garage als Lager umfunktioniert. Seitdem ist er verstärkt unterwegs auf Flohmärkten und im Internet, kauft scheinbar zerstörte Bilder: „Ich sehe auf den ersten Blick, ob sich unter einer Bemalung ein älteres Bild versteckt oder ob das Bild noch zu retten ist“, sagt er. „Und dann hole ich das Werk wieder ans Tageslicht.

Mehr als 100 000 Euro verschenkt

Sein wichtigstes Werkzeug: ein Skalpell. Denn meist muss er gar nicht selbst den Pinsel schwingen, sondern die Leinwände von Übermalungen oder Beschädigungen befreien. Aber natürlich kommen auch Farben, Pinsel, Lösungs- und Festigungsmittel bei der täglichen Arbeit Wittmanns zum Einsatz.

Dass auch ihm dabei Fehler unterlaufen, leugnet er nicht. Beim Gedanken an eine Szene, stellen sich ihm aber noch immer die Haare auf: „Ich kaufte auf einem Flohmarkt ein Ölgemälde – eine Abbildung von Birken im Mondlicht. Nach einiger Zeit im Keller, ich konnte die kyrillische Signatur nicht entziffern, verkaufte ich es einem bekannten Kunsthändler – für 250 Euro.“ Der verkaufte es wieder weiter. Letztlich kam das Bild bei einer Auktion in Österreich dann für 110 000 Euro unter den Hammer. „Ich darf gar nicht dran denken.“ Denn ansonsten erkennt Alfred Wittmann viele Künstler alleine am Pinselstrich. Doch gerade dieses Ungewisse oder hinter einer Farbschicht ein Meisterwerk zu entdecken, mache den besonderen Reiz seiner Arbeit aus.

Ein Dachboden voller alter Meister

Und so träumt der Altessinger weiter von einem Dachboden, auf dem er beim Entrümpeln „auf massig, alte Bilder“ stößt. „Da müssen keine großen Meister und Namen dabei sein – oft waren deren Mitarbeiter sogar besser. Mir geht es neben dem Verdienen meines Lebensunterhalts vor allem um den Spaß daran.“

Beides vereint er gerade bei der Restaurierung des Pfeffenhausener Kreuzwegs – und schreibt deshalb auch nicht jede Arbeitsstunde auf: „Ich investiere gerne auch mehr Zeit in meine Projekte, denn es muss am Ende nicht nur dem Kunden gefallen, sondern vor allem auch mir selbst.“