Missbrauch
Wenn Vergewaltigung alltäglich ist

Ein Trio aus Langquaid, Abensberg und Bernhardswald sagt der Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Nicaragua den Kampf an.

12.02.2016 | Stand 16.09.2023, 6:58 Uhr
Selbst noch Kinder werden viele junge Mädchen in Nicaragua selbst zu Müttern – oftmals gegen ihren Willen. Lebenspartnerschaften mit elf oder zwölf Jahren sind keine Seltenheit. −Foto: Bernhard Rappert

„Er hat mich festgehalten, seine Hose aufgeknöpft und seinen Penis rausgeholt.“ Adelina wippt in einem Schaukelstuhl schnell vor und zurück, während sie mit weinerlicher Stimme weiterspricht: „Dann hat er mir die Hose runtergezogen und mich vergewaltigt.“ Auf die Frage der Psychologin, was passiert sei, als ihre Mutter heimgekommen ist, antwortet die 13-Jährige: „Sie hat gefragt, was ich mache, aber er hat mir einfach den Mund zugehalten und weitergemacht.“

Der Vergewaltiger des 13-Jährigen Mädchens war der Lebensgefährte ihrer Mutter – die selbst Opfer war: „Auch ich wurde vergewaltigt – von Adelinas Vater. Ich war so alt wie sie heute.“ Der Täter wurde angezeigt, was damals nicht oft geschah. Denn in Nicaragua ist Gewalt gegen Kinder und Frauen an der Tagesordnung und viele fügen sich in ihr Schicksal, wachsen damit auf, akzeptieren es irgendwann. Es ist ein Teufelskreis, den Hilde Düvel versucht zu durchbrechen.

400 bis 500 Klientinnen im Monat

Die Bernhardswalderin leitet in San Carlos das Projekt Arete der Fundacion San Lucas und unter anderem seit 2008 ein Frauenhaus. Sie bietet dort missbrauchten Frauen und Kindern Unterschlupf sowie Hilfe bei Anzeigen, Gerichtsgutachten, Psychotherapie, Sozialberatung, Rechtsberatung oder Alphabetisierung. 400 bis 500 Klienten betreut sie mit ihren Mitarbeitern pro Monat, „aber wir fahren auf ganz kleiner Flamme, die Betriebskosten zu finanzieren ist ohne Unterstützung von außen sehr schwierig.“

Dokumentation zeigt Schicksale:

Deshalb hat sie nun den Verein Uelia ins Leben gerufen und erhält dabei Unterstützung aus Abensberg und Langquaid. Sepp Bergmann, ehemaliger Langquaider Bürgermeister und seit mehreren Jahren in San Carlos lebend, greift mit seinem Verein Nueva Nicaragua der Stiftung San Lucas, die das Frauenhaus, trägt unter die Arme. Mehr als 200 000 Euro hat er bereits gesammelt und in verschiedene Projekte in Nicaragua investiert – auch in die Stiftung San Lucas, wie etwa in einen Computerraum oder Personalkosten, wenn es „wieder einmal eng wurde“, sagt Bergmann. Bei Uelia hat er Anschubhilfe geleistet: „Hilde kennt mich gut, weil meine Frau Lidieth mit ihr das Frauenhaus leitet. Als Hilde die Idee kam, einen Verein zu gründen, kam sie auf mich zu, schließlich habe ich dabei Erfahrung. Ich bin quasi dafür zuständig, dass der Verein ins Laufen kommt.“

Denn Uelia soll Spenden generieren, mit denen die Betriebskosten – Gehälter, Wasser, Telefon, Internet, Verwaltungskosten oder Renovierungen – bezahlt werden können. Erster Partner des Vereins ist der Abensberger Bäcker Florian Gabelsberger. Er sammelt mit einer „Nica-Brot-Aktion“ während der Fastenzeit Geld für Uelia: 50 Prozent des Erlöses des Vollkornbrotes nach nicaraguanischen Rezept, gehen an den Verein. Gabelsberger ist „die Sache eine Herzensangelegenheit, schließlich habe ich in San Carlos selbst mitbekommen, wie wichtig die Arbeit des Frauenhauses Arete ist.“

Gabelsberger bekommt es hautnah mit

Gabelsberger war über die Aktion „Brot gegen Not“ nach San Carlos gekommen undhatte dort die Leitung der Bäckerei „Panaderia Pantzin“ inne, die das Projekt Arete mitfinanzieren soll. „Da in der Bäckerei auch Frauen aus dem Frauenhaus eine Ausbildung machen oder arbeiten, bekam ich vieles mit“, sagt er. Guilmeda, eine Mitarbeiterin der Bäckerei traute sich zwei Monate nicht, Gabelsberger ins Gesicht zu schauen – sie hatte Angst, er könnte ihr etwas tun. „Erst als ich durch eine weibliche Bäckerkollegin Unterstützung bekam, hat Guilmeda langsam auch zu mir Vertrauen aufgebaut und ihre Distanz überwunden.“ Gabelsberger erzählt auch von tagtäglich stark alkoholisierten Männern, die überall in der Stadt anzutreffen waren oder nächtlichen Überfällen auf angestellte Frauen der Bäckerei. „Vor Gericht kam dabei kein einziger Vorfall.“

Dokumentation zeigt Schicksale:

Das liege zum einen an der Überlastung der Justiz und auch an fehlender Empathie, berichtet Hilde Düvel. Viele Entscheidungen über Strafverfolgung liegen bei sogenannten Familienkomitees. Das hatte sich durch die Einführung des Gesetzes 779 im Juni 2012 geändert – das Verbot derartiger Mediation war ein ausschlaggebender Bestandteil des Gesetzes. Früher entschied der Dorf- oder Straßenälteste, ob eine Vergewaltigung angezeigt wird. Ein Jahr nach Inkrafttreten wurde das Gesetz wieder reformiert – in minder schweren Fällen gilt die Mediation wieder. Als solche gelten Straftaten, für die das Gesetz weniger als fünf Jahre Haft vorsieht. „Schwere Delikte werden aber meist angezeigt, vor allem bei Vergewaltigung gibt es meist keine Diskussionen mehr. Dafür geht man hier auch zwölf bis 15 Jahre in den Knast“, sagt Düvel.

Auch wenn das Gesetz Frauen und Kinder heute vor sexueller Gewalt schützt – in der Praxis ist körperliche Misshandlung nicht unbedingt weniger geworden. Männliche Gewalt scheint selbstverständlich: So wurden einer 13-Jährigen die Sehnen in der Kniekehle durchtrennt, damit sie ihrem Lebensgefährten, der deutlich älter war, nicht davon laufen konnte. „Zumindest gibt es die Verjährungsfrist für Sexualdelikte, die früher lediglich sechs Monate betrug, nicht mehr“, sagt Düvel.

Täter kommen straffrei davon

Kommt es nun zur Anzeige, geschieht den Tätern aber oft immer noch nichts. Oftmals fehlen Zeugen, obwohl es sie gab, und zudem mahlen die Mühlen der Justiz in Nicaragua eben langsam.

Sepp Bergmann weiß ein Lied davon zu singen: „Mein erster Einsatz in Nicaragua war, als Soldaten, Polizisten und Staatsanwälte in einem Dorf zwei Pastoren verhafteten. Die hatten 25 Familien um deren Hab und Gut gebracht und das Recht durchgesetzt, dass alle Kinder der Familien ihnen sexuell dienlich sein mussten. Sie kamen ohne Urteil frei.“ Häusliche Gewalt sei besonders in Großfamilien alltäglich und „auch dass zwölfjährige oder jüngere Mädchen von Vätern, Brüdern oder Onkeln missbraucht werden, wird klaglos als männliches Recht hingenommen“, sagt Bergmann.

Diese tief in der nicaraguanischen Gesellschaft verwurzelten Tatsachen versucht Hilde Düvel zu bekämpfen– mit Vorträgen, Ausbildungsplätzen oder Fortbildungen – oder zumindest den Opfern Schutz zu bieten. „Es gibt viel Bedarf und wir könnten viel mehr tun – wenn wir es finanzieren könnten.“ Deshalb hofft sie auf den neuen Verein Uelia sowie die Unterstützung von Sepp Bergmann und Florian Gabelsberger.

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