Zeugenaussagen
Mit jeder Rechnung tiefer in den Betrug

Ex-Angestellte sagten aus, wie in einer Thaldorfer Maschinenbaufirma die „Schattenbuchhaltung“ zu Millionenschaden führte.

01.03.2017 | Stand 16.09.2023, 6:33 Uhr
Das Landgericht Regensburg verhandelt derzeit den Factoring-Betrug in einer Thaldorfer Firma. −Foto: Archiv

Zwei ehemalige Mitarbeiterinnen einer Thaldorfer Maschinenbaufirma haben am Mittwoch vor dem Landgericht Regensburg geschildert, wie es in der Firma mittels „Schatten-Buchhaltung“ zum mutmaßlichen Millionenbetrug an einer Mainzer Bank kommen konnte. Fast weinend schilderte eine der Frauen an diesem zweiten Verhandlungstag, wie sie selbst unter den falschen Abrechnungen an die Bank gelitten habe. Beide ließen durchblicken, dass sie die Geschäftsführerin der Firma für die treibende Kraft gehalten haben. Das Verfahren gegen sie ist aber vorläufig eingestellt. Verhandelt wird derzeit nur gegen den einstigen Prokuristen.

Den jetzigen Rentner hält, wie berichtet, Staatsanwältin Dr. Christine Ernstberger des Betrugs für schuldig: Er soll, gemeinsam mit der Geschäftsführerin, den 2007 geschlossenen „Factoring“-Vertrag mit der Mainzer Bank missbraucht haben. Beim Factoring verkauft eine Firma ihre Forderungen, die sie an Kunden hat, an eine Factoringgesellschaft (FG) – legaler Weise erst dann, wenn die Gegenleistung erbracht ist, also im Falle des Maschinenbauers nach Auslieferung der Ware. Die Firma kommt so schnell und ohne Ausfallrisiko an ihr Geld.

Doch dem Maschinenbauer reichte nicht, was mit legalem Factoring zu erlösen war. Das Unternehmen, das vor der Insolvenz rund 130 Menschen in Thaldorf und rund 140 im tschechischen Schwesterbetrieb beschäftigte, steckte laut Anklage „bereits seit Jahren in finanziellen Schwierigkeiten“. Deshalb habe die Firma schon fingierte Rechnungen online nach Mainz geschickt, bevor die echte Rechnung an den Kunden ausgestellt war; teils war zu dem Zeitpunkt die bestellte Ware noch gar nicht fertig.

Schneeball-System an Rechnungen

Dass die Mainzer Bank den Betrügereien so lange aufsaß, lag wohl auch am vereinbarten „stillen Factoring“. Dabei tritt die FG gegenüber den Firmenkunden nicht auf; vielmehr stellt die Firma die Rechnung, erhält das Geld und leitet es an die FG weiter. In Thaldorf entwickelte man mit den illegal vorfaktorierten Rechnungen ein regelrechtes Schneeballsystem: Mit frischem Geld aus Mainz wurden ältere Rechnungsankäufe der FG beglichen.

Doch auch damit kam das Unternehmen nicht aus den roten Zahlen: Die Deckungslücke zwischen den verkauften fingierten Rechnungen und den tatsächlich abrechenbaren Forderungen klaffte immer mehr auseinander. Als die Maschinenbaufirma 2010 Insolvenz anmeldete, platzte die Factoring-Blase. Die Mainzer FG blieb auf 99 offenen Forderungen sitzen, die sich auf 6,7 Millionen Euro summierten; sie erstattete Strafanzeige.

Bei ihren Ermittlungen vernahm die Kripo bereits die frühere Buchhalterin und deren Stellvertreterin. Von den beiden, seit 2002 respektive seit 1978 in Thaldorf angestellt, wollte nun auch das Schöffengericht unter Vorsitz von Elke Escher wissen, was in der Chefetage der Firma ablief. Für die Buchhalterin waren die Hierarchien klar: An der Spitze standen die Geschäftsführerin und ihr Mann, außerdem „der Junior“, unter ihnen standder – nun angeklagte – Prokurist und kaufmännische Leiter.

Fürs betrügerische Vorfaktorieren von Rechnungen wurde eine „Schatten-Buchhaltung“ aufgebaut, wie es Vorsitzende Richterin Escher ausdrückte: In Excel-Tabellen, die der Angeklagte nach eigenen Worten entworfen hatte, mussten die Buchhalterinnen die fingierten Vorab-Rechnungen an die FG und die späteren echten Rechnungen festhalten und fast täglich der Chefin und dem Prokuristen vorlegen. Wenn frisches Geld gebraucht wurde und bei einem Kunden „Luft“ war – die FG hatte für jeden Kunden je nach dessen Bonität eine Obergrenze für die Forderungsankäufe festgelegt – dann wurde neu vorfaktoriert. Besonders oft am Monatsende, wohl weil da die Löhne fällig waren. Die Anweisung sei ihr von der Geschäftsführerin erteilt worden, sagte die Vize-Buchhalterin aus.

„Sehr von oben herab“

Sie und ihre Kollegin beschrieben die einstige Firmenchefin als „sehr von oben herab“, „auf Status bedacht“ und „ein bisschen arrogant“. Beide Zeuginnen bestätigten, dass sie Bedenken gegen das Vorfaktorieren hatten – und dies der Chefin auch sagten. „Aber gemacht wurde es dann doch.“ Es klang durch, dass sie nicht zuletzt aus Sorge um ihren Job dann taten, was ihnen aufgetragen wurden. Eine rote Linie war für die Buchhalterin und auch den Angeklagten allerdings erreicht, als die Chefin offenbar noch dreister vorgehen wollte: Sie habe vorgeschlagen, „Blanko-Rechnungen“, denen also keinerlei Leistungserbringung mehr zugrunde lag, an die FG zu schicken. „Da haben wir ,Nein’ gesagt, und das ist auch akzeptiert worden“, schilderte die Buchhalterin.

Den Tränen nahe, bestätigte sie der Verteidigerin Claudia Schenk, dass das unrechtmäßige Vorfaktorieren sie und den Prokuristen sehr belastet habe: Sie habe nicht nur mitbekommen, wie der Angeklagte einmal auf dem Weg zur Arbeit zusammenbrach und ins Krankenhaus kam – „ich war selbst auch zwei Monate lang krank“.

Nicht in den Zeugenstand geladen wurden Vertreter der FG und der Kunden, deren Rechnungen vorfaktoriert worden waren: Die Prozessbeteiligten begnügten sich mit deren schriftlichen Aussagen und Ermittlungsergebnisse, die allerdings nicht verlesen wurden. Der Prozess wird am Freitag mit den Plädoyers von Staatsanwältin und Verteidigerin fortgesetzt.

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