Automobil-Zulieferer
Sind Kelheims fette Jahre bald vorbei?

Von der Stoßstange bis zur Armatur: Vieles in BMW, Audi und Co. ist „made in Kelheim“. Doch die Konkurrenz im Osten ist riesig.

27.07.2015 | Stand 16.09.2023, 7:04 Uhr
Für SMP (früher Peguform) war der Aufkauf vor einigen Jahren ein Glücksfall. Der neue Konzern investiert in großem Umfang. Unser Bild zeigt die Stoßfänger-Produktion bei SMP. Sie ist mit etwa 2000 Arbeitsplätzen der größte Arbeitgeber in der Zulieferindustrie im Landkreis Kelheim. −Foto: Archiv

Strategisch liegt der Landkreis Kelheim ideal zwischen Regensburg, Ingolstadt und Landshut, und somit buchstäblich zwischen den großen Fischen im Teich der Automobilindustrie – Audi und BMW. In den vergangenen Jahrzehnten siedelten sich in deren Dunstkreis immer mehr Zulieferer an. Logistisch ist man im Landkreis gut angebunden, um im „Sequenzgeschäft“ erfolgreich zu sein, sagt etwa SMP-Werkleiter Anton Simon. Was das genau bedeutet, dazu später mehr.

Nach wie vor ist die Auslastung bei den Betrieben gut, die wirtschaftlichen Zahlen ebenfalls. Mancher dürfte aber wohl mit Blick auf Nachfolgeprodukte ein perspektivisches Problem haben, sagt Jürgen Scholz von der IG Metall.

Ob Stoßfänger, Armaturentafeln, Seitenverkleidungen oder Vorprodukte wie Gelege für Reifen – vieles, was die großen Autobauer, allen voran Audi und BMW in Bayern, Mercedes oder Porsche in Baden-Württemberg oder andernorts verbauen, entsteht im Landkreis Kelheim. Allein an die 4000 Arbeitsplätze finden sich in Neustadt. Die drei Großen, SMP, Yanfeng (bis vor kurzem Johnson Controls) und Mahle-Behr bringen es zusammen auf etwa 3000 Stellen.

Dem größten Unternehmen, der SMP, geht es laut Werkleiter Anton Simon gut, sowohl im Hinblick auf die Auslastung als auch auf die Umsätze. Auch wenn man auf die anderen Firmen hierzulande blicke, gelte dies. „Uns geht es gut, weil es auch den Hauptkunden BMW und Audi gut geht“, sagt Simon, der seit elf Jahren am Standort Neustadt tätig ist. Dass zwischen den Autobauern und ihren Zulieferern eine sehr spezielle Abhängigkeit besteht, verhehlt er nicht.

Das Business sei für keinen leicht, sagt Simon, der auch Mitglied im IHK-Gremium Landkreis Kelheim ist. Er macht das an einigen Herausforderungen deutlich. Zum einen sei da die permanent steigende Komplexität, die steigende Anzahl an „Derivaten“: Weil die Modelle, mit denen die Autobauer bei den Kunden punkten wollen, immer individueller werden, müssen sich die Zulieferer auf immer mehr verschiedene Produkte und Varianten einstellen.

Vorlauf beträgt wenige Stunden

Bei SMP fertigt man „Just-in-Sequence“ wie es die Insider nennen. Will heißen: Stoßfängersysteme, Türseitenverkleidungen oder Instrumententafeln werden nicht nur zeitnah und in der notwendigen Menge, sondern eins zu eins zugeordnet zu einzelnen Fahrzeugmodellen gefertigt und geliefert, sprich in der Sequenz, der Reihenfolge der benötigten Module in der Endmontage. Die Vorlaufzeit beträgt üblicherweise nur wenige Stunden.

Der Blick in den Rückspiegel fällt für SMP – die einstige Peguform – recht positiv aus. In den vergangenen zehn Jahren ist das Unternehmen kontinuierlich gewachsen, sagt Simon. Allein in Neustadt gibt es aktuell etwa 2000 Arbeitsplätze, das sind 500 mehr als noch vor zehn Jahren. Das neue Zweit-Werk in Schierling bietet aktuell knapp 400 Jobs; 100 sollen noch hinzukommen. Auch der Umsatz habe sich in der Zeit nahezu verdoppelt von rund 300 auf 500 Millionen im Neustädter Werk. In diesem Jahr kommt aus dem neuen Werk Schierling, das organisatorisch mit dem Werk in Neustadt verbunden ist, ein deutliches Wachstum hinzu.

Dass SMP für die Erweiterung abwanderte, hatte verschiedene Gründe. Auch Anwohnerproteste hatten dazu beigetragen. Schierling mit einem gerade frisch ausgewiesenen Gewerbegebiet die besseren Karten für eine schnelle Realisierung (MZ berichtete). Werkleiter Simon will sich zu den Umständen im Nachhinein nicht äußern. Seit 2011 gehört das Unternehmen zur Samvardhana Motherson Group. Diese investiert im großen Umfang in die Standorte. In Schierling ist laut Simon für 100 Millionen Euro das modernste und am höchsten automatisierte Werk eines Zulieferers in der Region entstanden. Es beliefert BMW, aber auch Mercedes und Porsche mit Stoßfängern. Weltweit hat SMP 32 Produktions- und Logistikstandorte und einen Umsatz von 2,2 Milliarden Euro.

Auch Markus Hautmann, der Gewerkschaftssprecher der IG BCE, die für SMP zuständig ist, wertet den Einstieg des indischen Konzerns als Glücksgriff. „Da ist mir nicht bange um die Zukunft.“

Weil der Branche massive Konkurrenz in Osteuropa erwächst, ist der Druck bei allen Zulieferern ungemein groß. Auch deshalb seien hohe Investitionen nötig, vor allem in Automatisierung und innovative Fertigungskonzepte, sagt Simon. Nur dadurch lasse sich die Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland sichern. Denn strukturell habe sich einiges verschlechtert. Simon nennt nur ein Schlagwort: Energiepreise. Das sieht auch Hautmann so. „Das ist ein Problem, vor allem wenn man sieht, wie in anderen Ländern u.a. in den USA den Unternehmen sehr lange festgeschriebene wesentlich niedrigere Preise garantiert werden.

Gigaliner im Einsatz

Dass im Landkreis Kelheim der Ausbau der B16 vorangetrieben wird, begrüßt Simon mit Blick auf logistische Herausforderungen. Bei SMP sind mittlerweile auch sogenannte Gigaliner im Einsatz. Aktuell in Richtung Regensburg. Laut Simon sei das ökologisch wie ökonomisch von Vorteil, denn 30 Prozent mehr Ladevolumen auf einem Lkw bedeuten weniger Transporte.

Dass die gesamte Region am „Tropf“ der Automobilindustrie hängt, wäre ein Bild, dass Neustadts Bürgermeister Thomas Reimer nur ungern bemühen würde. „Das klingt so krank“, sagt er im MZ-Gespräch. Aber stark abhängig sei man zweifellos. Aufmerksam verfolge er, was in dem Bereich passiert. Aus den Haushalten seiner Kommune kann er ablesen, wie es um die Branche bestellt ist bzw. war. Unterm Strich profitiert Neustadt beträchtlich durch die großen Unternehmen. Im Schnitt fallen acht bis zehn Millionen Euro Gewerbesteuer ins Stadtsäckel. 2005/06 gab es schon mal einen Konjunktureinbruch. Die Gewerbesteuer sank auf etwa vier Millionen Euro, 2009 auf 3,7 Mio. Mit Blick auf die Zukunft, sagt Reimer: „Man kann sich nie ganz sicher sein.“ Als Kommune habe man auf „die großen Dinge keinen Einfluss“. Geholfen hätten zuletzt Konjunkturpakete und Abwrackprämie.

Kurzarbeit in Krise half immens

Und auch flexible Lösungen beim Personal, wirft Jürgen Scholz, 1. Bevollmächtigter der IG Metall, ein. Wichtig sei gewesen, dass das Personal an Bord blieb – zumindest das festangestellte. Leiharbeiter mussten aber gehen. Die Belegschaft ging über längere Zeit in Kurzarbeit und baute Arbeitszeitkonten ab. Als sich die Lage wieder besserte, konnten die Unternehmen unmittelbar reagieren. Zuerst standen die Firmen der Idee skeptisch gegenüber, „hinterher waren alle froh, dass man diesen Weg gegangen ist“.

Da kann Markus Hautmann von der IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE) nur nicken. „Hätten wir 2009 nicht das Werkzeug Kurzarbeit gehabt, wäre es richtig kritisch geworden in der Region.“ Seine Gewerkschaft ist für den größeren Teil der Arbeitnehmer im Landkreis zuständig. Denn vor allem die großen Zulieferer verarbeiten Kunststoffe. Tarifmäßig wird es noch vielschichtiger, je nachdem wo die Unternehmen in ihren Ursprüngen angesiedelt waren, teils sei der Chemietarif relevant, teils auch der der Papierbranche. „Da gibt es nichts, was es nicht gibt“, so Hautmann.

Leiharbeit spielt in der Zulieferindustrie im Landkreis nach wie vor eine Rolle. Nach der Krise in 2009 seien die Beschäftigungszahlen in dem Bereich noch einmal ordentlich hochgegangen. Aktuell sei es ruhiger geworden, so Hautmann. Wohl auch, weil inzwischen eine Übernahme nach 24 Monaten tariflich festgeschrieben ist, erklärt IG-Metall-Kollege Scholz. Eigentlich hat man im Landkreis Kelheim aktuell Vollbeschäftigung. Im Prinzip könne sich jeder Arbeitnehmer aussuchen, wo er arbeiten will.

Der Trend, dass sich die Märkte global unterschiedlich entwickeln, bleibt nicht ohne Auswirkungen auf hiesige Produktionsstandorte, sagt Jürgen Scholz von der IG Metall in Regensburg, die auch einen Großteil des Landkreises Kelheim betreut. Kromberg & Schubert (KroSchu) in Abensberg-Gaden habe eine entsprechende Krise vor ein paar Jahren gut hinbekommen. Die Autobauer – für den Landkreis Kelheim sind vor allem Audi und BMW relevant – haben inzwischen eine weltweite Produktion. In Nord- und Südamerika, China, Indien oder Russland. Überall stehen Werke und „da erwarten sie, dass auch die Zulieferer mit Werken vor Ort nachziehen“. Je anspruchsvoller aber Produktionstätigkeiten sind, desto schwieriger lassen sie sich verlagern, sagt Scholz. KroSchu fertigte früher Kabelbäume am Standort Abensberg. „Das ist eine relativ einfache Arbeit in der Produktion“, so Scholz. Sie wurde ins Ausland verlagert. Man konzentrierte sich auf Forschung und Entwicklung.

Im Landkreis punkten Produzenten mit Qualität und Liefertreue. Diese Hauptmaximen seien für alle Zulieferer relevant und müssten erfüllt werden, bestätigt Automotive-Experte Dr. Andreas Böhm von Bayern Innovativ, der bayerischen Gesellschaft für Innovation und Wissenstransfer.

Neustadts Bürgermeister Reimer weiß dennoch, dass es immer wieder Bereiche gibt, wo Produktionen nach Osteuropa oder überhaupt ins Ausland verlegt werden. „Nicht immer auf Dauer, aber wenn kann das sehr schnell gehen.“

Eine ähnliche Einschätzung äußerte im März 2015 Lorenz Hinterreiter, damals Werkleiter von Johnson Controls (heute: Yanfeng-Werkleiter) in Neustadt, gegenüber der MZ – befragt zu einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting. Aktuell wollte sich Hinterreiter nicht zur Auto-Zuliefererbranche oder seinem Unternehmen äußern. Im März blickte er wenig optimistisch in die Zukunft: „15 Prozent weniger Arbeitsplätze am Standort Deutschland in fünf Jahren, da gehe ich d‘accord.“ Der Konkurrenzkampf sei stärker denn je, besonders durch die Abwanderung der Automobilindustrie in den Osten Europas. Hersteller setzten Zulieferern bei der Auftragsvergabe das Messer auf die Brust. Zuschlag gebe es nur, wenn die Gehälter entsprechend den Fertigungsländern im Osten angepasst würden – „eine brutale Methode“.

Die Euphorie des Zulieferstandorts Deutschland sei vorbei – auch wenn die Märkte boomen. Global gesehen gebe es genügend Geschäft, aber der Kuchen für die Zulieferer wird nicht größer. Fabriken werden dorthin verlagert, wo der Markt ist, für die USA in die USA, für China nach China. Gut, dass BMW und Audi (noch) um die Ecke liegen. Aber durch Preisdruck und fortschreitende Automatisierung könnten Arbeitsplätze verloren gehen.

Bei Qualifizierung ranklotzen

Davon geht auch Jürgen Scholz on der IG Metall aus. Allerdings sieht er durch „Industrie 4.0“ auch Arbeitsplätze entstehen. „Es wird zu einer Verlagerung kommen, weg von Produktionstätigkeiten hin zu hochqualifizierten Jobs.“ Automatisierung sei ein sehr komplexes Thema. Das zwei Dimensionen habe. Zum einen dürfte sie – dort wo sie stattfindet – einen Produktionsschub auslösen. Aber auch einfachere Jobs kosten. „Deshalb müssen wir in den nächsten Jahren bei der Qualifizierung unwahrscheinlich ranklotzen.“