Auslandsadoption
Zwei Runden „Mensch ärgere dich nicht“

Das Neustädter Ehepaar Ott hat sich auf zwei Auslands-Adoptionen eingelassen: viel Aufwand und Ärger, unendlicher Gewinn

28.01.2017 | Stand 16.09.2023, 6:41 Uhr
Der Familienalltag ist längst entspannt bei Wolfgang, Dominik, Aleksandra und Margit Ott: Die Adoptionsverfahren sind endgültig abgeschlossen. −Foto: Hutzler

Aleksandra (11) sucht die Katze, Dominik (8) Ideen gegen Langeweile; Mama Margit und Papa Wolfgang Ott suchen bei Bedarf mit. Eine normale Familie jetzt, in Neustadt-Mühlhausen. Aber es hat viele Jahre, sehr viel Geld und noch viel mehr Nerven gekostet, bis aus Nathakan Aleksandra wurde und aus Chanon Dominik. Das Ehepaar Ott hat die beiden thailandischen Kinder adoptiert. Was Margit Ott so zusammenfasst: „Man glaubt gar nicht, wozu deutsche und ausländische Bürokratie fähig ist…“

Von der Idee zum Plan: „Anfangs hört es sich einfach an“

Über einen Kollegen stieß Margit Ott auf den Berliner Verein „Eltern für Kinder“ (EfK) mit staatlich anerkannter Fachstelle für internationale Adoption. Für die Otts ein Weg, ihren Kinderwunsch zu verwirklichen. „Die treibende Kraft war ich – aber den Wahnsinns Aufwand hätte ich im Leben nie geschafft“, schildert Margit Ott lachend: Ihr Mann ging in den Nahkampf mit der Bürokratie. „Anfangs hat sich alles ganz einfach angehört…“

Die Anfänge: Bürokratie in Deutschland

Im März 2005 wandte sich Ott an den Verein EfK, der ihn auf etwa ein Jahr Dauer rund 4000 Euro Kosten einstellte. Sofort packte Ott die rund 20 Aufgaben an: „Einkommens- und Vermögensnachweis, polizeiliches Führungs- und Gesundheitszeugnis, psychologische Gutachten…“. Völlig problemlos sei die Zusammenarbeit vor Ort mit dem Kreis-Jugendamt gewesen; sehr umständlich die mit EfK, erinnert er sich. Als schließlich alle geforderten Papiere beisammen waren, „dachten wir: So, jetzt warten wir auf’s Kind…“

Zurück auf Los: Bürokratie auf thailändische Art

Antwort aus Berlin: Jetzt geht die Arbeit erst los! „Man fängt praktisch von vorne an, weil die Behörden im Herkunftsland des Kindes eine ähnlich lange Liste fordern“, schildert das Ehepaar. Es hatte sich für Thailand entschieden, weil damals dort die Adoptions-Chancen am besten waren. Die dortigen Behördenwünsche „haben uns wieder gut ein halbes Jahr gekostet“, erzählt Wolfgang Ott. Und noch mal ordentlich Geld: Alle Dokumente müssen auf Thai übersetzt werden, vom (bayernweit einzigen) beglaubigten Dolmetscher… Im August 2006 schließlich bestätigte EfK, dass alle Unterlagen vollständig seien – „und damit waren wir noch schnell…“.

Frohe Kunde – und erneutes Warten

„Nur“ ein halbes Jahr Funkstille („manche warten ein Jahr und länger“), dann hieß es vom EfK im Februar 2007: „Wir bekommen ein Mädchen aus Thailand – aber es könne noch dauern, bis dort alle Unterlagen beisammen seien…“ Welches Kind, „das war uns völlig egal: Hauptsache gesund“, erzählen die beiden: Ein behindertes Kind aufzunehmen, hätten sie sich nicht zugetraut.

Die Behördenmühlen in Fernost mahlten, die Otts nahmen neue Hürden: „Noch ein Termin beim Psychologen, ein Besuch vom Jugendamt…“ Wolfgang Ott findet es „ok, dass man potenzielle Adoptiveltern genau prüft, ob sie diese Aufgabe schultern“. Auch verhindert das Prozedere, dass man mit einer Adoption im Ausland ungewollt illegale Machenschaften oder gar Menschenhandel unterstützt, ist er überzeugt. Aber das zähe Verfahren hat ihn trotzdem ordentlich genervt.

Die Nachricht vom 19. Juli 2007 läutet das Finale ein: Alle Unterlagen hier wie dort sind vollständig! Für 21. August buchten die Otts die Flüge nach Chiang Mai; Rückflug: offen, denn es hieß, dass vor Ort eine „Gewöhnungsphase“ nötig sei. Aber es kam anders…

Freundliche Aufnahme, weitere Behörden-Touren

Angespannt fieberte das Ehepaar der ersten Begegnung mit Nathakan, damals zwei Jahre, entgegen. Sie hatte es vergleichsweise gut getroffen: Ihre leibliche Mutter hatte sie mit zehn Tagen in eine Pflegefamilie gegeben; das amerikanische Ehepaar wollte Nathakan und drei anderen Kindern bis zur Adoption das Waisenhaus ersparen. Kontakt zur leiblichen Mutter hatte das Mädchen nicht, aber es gibt Fotos und Infos aus ihren ersten Lebensjahren. Die Otts fanden bei der Pflegefamilie herzliche Aufnahme, schon am zweiten Tag schlief Nathakan mit bei ihnen am Zimmer. „Extrem emotional verlief der Abschied: „Ihr Pflegevater hat Rotz und Wasser geheult, als er uns zum Flughafen brachte“.

Zurück in Bangkok: Neue Behördentouren, für Pass, Visum und vor allem für eine spezielle Bestätigung, dass Nathakan legal ausreist. „Die müsst Ihr mit Eurem Leben verteidigen, sonst landet Ihr im Knast!“, schärfte man den Otts ein. Insgesamt „sehr angespannt“ waren daher die Tage in Bangkok. Und der Rückflug am 1. September – Nathakan war völlig fertig.

Eingewöhnung mit bürokratischen Nachwehen

Als Aleksandra kam sie in der neuen Heimat schnell an: Deutsch lernen fiel ihr mit zwei Jahren leicht, und der Kindergarten ab drei „war die beste Integration“, blickt Wolfgang Ott zurück. Er und seine Frau bekamen noch vier Besuche von Jugendamt und EfK; drei „Integrationsberichte“ mussten sie abgeben. „Erst im Januar 2010 war die Adoption rechtlich endgültig durch“, inklusive Namensänderung auf „Aleksandra Nathakan Ott“.

Kind zwei: Wie gehabt, nur noch viel länger

Trotz der Hürden und wegen der guten persönlichen Erfahrungen beschlossen die Ott, ein zweites Kind zu adoptieren, wieder aus Thailand. Im Februar 2009 startete Wolfgang Ott in Runde zwei; diesmal mit dem Bayerische Landesjugendamt als Partner. Die Hoffnung, das Prozedere schneller zu absolvieren, war vergebens: 2013 erst stieß Chanon zur dreiköpfigen Familie Ott, genau an Heilig Abend. In einem unerwartet dramatischen Finale…

Bangen bis zur Landung in Deutschland

Von seiner leiblichen Mutter mit zwei Jahren weggeben, hatte Chanon drei Kinderheime durchlaufen, „eigentlich Verwahranstalten“, seufzt Margit Ott. Seine neue Familie kannte der damals Fünfjährige aus einem Album, das die Otts ihm vorab schickten. Als sie den klapperdürren Buben in Udon Thani erstmals trafen, „stand er stocksteif da – aber er hat uns ganz fest gehalten, damit er ja nicht zurückbleiben muss“. Was für die vier eine emotionale Achterbahn war, war fürs Kinderheim in 30 Minuten erledigt: „Ach, nehmt ihn gleich mit!“, hieß es nur. Bei Chanon war das Eis schnell gebrochen, als er Badesachen gekauft bekam: „Er hat Purzelbäume geschlagen vor Freude“.

Den Unterlagen für Chanons Ausreise liefen die Otts in Bangkok drei Wochen hinterher – im Land herrschten da putschähnliche Zustände. Am 13. Januar drohten Behörden, Flughäfen zu schließen, „wir mussten unbedingt vorher raus!“. Endlich: Die deutsche Botschaft stellte das Visum aus; ab zum Flughafen – und ein Schreck beim Zwischenstopp in Dubai: Das Visum war einen Tag zu spät datiert! Die Fluggesellschaft blieb hart: Die nun vierköpfige Familie musste einen Tag warten und umbuchen…

Der echte Alltag kehrt viel schneller ein als der rechtliche

All die Strapazen gehören jetzt der Vergangenheit an: Genau am 24. Dezember 2016 kam der Bescheid, dass auch Chanons Adoption abgeschlossen und er nun offiziell „Dominik Chanon Ott“ ist. Im Alltag angekommen ist auch er viel schneller: Sprach er anfangs nur Thai und ein paar Brocken Englisch, ist er heute in Deutsch längst fit, dank Kindergarten, Schule, Freunden sowie Fußball und DLRG. Kontakt zu hier lebenden Thais, den ihm seine Eltern vermitteln wollten, lehnt er ab – für Margit Ott Ausdruck seiner unbewussten Angst, wieder zurück zu müssen. „Aber er verneigt sich, wenn er zum Beispiel eine Buddhastatue sieht“. Bei Aleksandra sind die wenigen Erinnerungen an Thailand längst verblasst.

Freude und Wut: Eine Bilanz

Bereut haben Margit und Wolfgang Ott den Jahre langen, auch finanziell belastenden Adoptionsweg nie: Mit Aleksandra und Dominik wurde ihr Traum von Familie Wirklichkeit. An sich eine egoistische Motivation, sinniert Margit Ott – sie erinnert sich noch gut, wie peinlich es ihr war, als Einheimische in Bangkok dem Ehepaar dafür dankten, „dass ihr thailändischen Kindern eine Chance gebt“. Und doch sei genau das wohl der Fall, fährt sie fort. „Was wäre aus den beiden geworden, in Thailand, ohne Eltern? Aleksandra wäre vielleicht in zwielichtige Milieus geraten; Chanon vielleicht ein Straßenhändler oder Kokosnuss-Pflücker geworden.“

Umso tragischer finden die Otts, dass das komplizierte Auslands-Adoptionsverfahren samt hoher Kosten viele wohl abschreckt. Allein die erforderliche „Feststellung der Adoptionseignung“ durch das örtliche Jugendamt kostet 1200 Euro, schildert René Ergenzinger von der Zentralen Adoptionsstelle am Landesjugendamt; dort selbst betrage die Vermittlungsgebühr für die Durchführung des internationalen Verfahrens 800 Euro. „Deutlich kostspieliger sind Vermittlungen über freie Träger“, so Enzinger. Dazu kommen Kosten für Dokumente, Beglaubigungen, Übersetzungen etc..

Die Otts haben errechnet: Pro Kind kamen rund 20 000 Euro zusammen. Für viele Interessierte wohl eine unüberwindliche Hürde. „Wenn Du ein Kind aus so einem Waisenhaus abholst, und 30 Kinder-Augenpaare schauen Dir traurig hinterher – dann macht Dich das einfach wütend…“