Abschiedsbesuch
„Ich hatte einen unbeschreiblichen Job“

Regierungspräsident war Traumjob von Heinz Grunwald. Aber nun freut er sich auf leere Kalender und einen vollen Kühlschrank.

30.11.2016 | Stand 16.09.2023, 6:38 Uhr
Zum Abschied auf ein Wort in der MZ-Redaktion Kelheim: Bis heute noch Regierungspräsident, ist Heinz Grunwald ab dem morgigen Donnerstag, 1. Dezember, im Ruhestand. −Foto: Stöcker

„Ich wundere mich eigentlich, dass ich noch im Amt bin“, sagt Heinz Grunwald einmal während des Gespräch in der MZ-Redaktion Kelheim und schmunzelt. Als Regierungspräsident von Niederbayern war Grunwald ein Freund der klaren Worte – auch in Richtung Staatsregierung. Aber nicht deswegen ist heute sein letzter Arbeitstag – der 66-Jährige ist ab 1. Dezember im Ruhestand. Also Schluss, leider, mit einem der schönsten Jobs in Bayerns Staatsverwaltung; und Schluss, hoffentlich, mit leeren Kühlschränken.

Herr Grunwald, als Regierungspräsident sind Sie zwar kein Politiker im engeren Sinn, aber doch der Politik sehr nahe. Bereitet Ihnen die wachsende Politikverdrossenheit Sorge?

So geringe Wahlbeteiligungen wie bei der Landratswahl in Kelheim oder der Oberbürgermeister-Wahl in Landshut sind wirklich erschreckend. Ich fürchte, unsere Bevölkerung hat mittlerweile zu wenig Verständnis für unser demokratisches System und dafür, dass es gut ist.

Was tun dagegen?

Zurück zu den Wurzeln, mehr Nähe zum Bürger! Ein Beispiel: Nicht jeder Planfeststellungsbeschluss müsste 120 Seiten dick sein. Nicht alles in unserem System müsste so komplex sein. Aber manches eben schon, das muss man den Leuten ehrlich sagen. Und dabei sollte die Bevölkerung Amtsträgern wie dem Regierungspräsidenten ein gewisses Vorvertrauen schenken.

Gerade Regierungsbezirke werden aber von vielen als künstliche, wenn nicht sogar überflüssige Einheiten gesehen …

Klar, für Bürger sind solche Verwaltungsgrenzen nicht wichtig. ,Grenzen’ heißt auch nicht, dass dahinter feindliches Ausland wäre – gerade in Randlagen lässt sich’s gut mit den Nachbarn zusammenarbeiten. Aber es hat schon seinen Sinn, dass es seit rund 200 Jahren die Verwaltungsebene „Regierungsbezirk“ gibt. Ohne können Sie einen Flächenstaat wie Bayern nicht sinnvoll regieren!

Herr Seehofer hat das anders gesehen, zumindest zu Beginn seiner Amtszeit 2008.

Als er 2008 Ministerpräsident wurde, hat er viel Ahnung von Politik in Bonn und Berlin mitgebracht – aber nicht ganz so viel Ahnung von Verwaltung in Bayern. In seiner ersten Regierungserklärung hatte er noch die Linie: ,Die Regierungspräsidenten nutzen nichts und kosten nur Geld’. Der hat uns anfangs wirklich nicht geliebt… Aber was ich an ihm schätze: Er ist bereit zu lernen – und gibt zu, wenn er seine Meinung ändert.

Hat er denn?

Ja, beim ,Konjunkturpaket zwei’, dem Förderprogramm vom Bund 2008/2009. Als Bayern vor der Frage stand: Wie soll man im Freistaat das Geld transparent verteilen? Außer den Regierungen hätte das niemand geschafft. Ähnlich ist es jetzt beim Förderprogramm zum Breitband-Ausbau.

„Man muss kräftig – und wohl auch dauerhaft – in den Ausbau des ,schnellen Internets’ investieren, sonst wird man abgehängt. Ich bin nicht immer ein Fan der Staatsregierung, aber das haben sie schnell und gut erkannt.“Heinz Grunwald, als Regierungspräsident qua Amt selbst ein Repräsentant der Staatsregierung

Wieso – da verteilt doch Finanzminister Söder die Schecks am liebsten selbst…

Er überreicht sie. Aber wir wickeln das Förderprogramm ab! Mit 256 von 258 Gemeinden in Niederbayern – eine Riesenarbeit: Anträge prüfen, abrechnen; Wettbewerbsrecht beachten…

Ist es den Aufwand wert?

Auf alle Fälle! Schnelles Internet macht Arbeitsplätze im so genannten ,ländlichen Raum’ denen in Großstädten gleichwertig. Und wir haben Standortvorteile, wie etwa günstigeres Bauland.

„Ach, die Münchner… Für die ist alles außerhalb der Stadtgrenzen zu vernachlässigen. Großstädter haben eine völlig falsche Vorstellung vom so genannten ,ländlichen Raum’. Dort wird dieser Begriff definitiv abwertend verwendet.“ Sagt der gebürtige Münchner. Dem als früherer Regierungs-Vize von Mittelfranken schon mal Post aus Münchner Ministerien zugestellt wurde, die an die „Regierung von Unterfranken“ adressiert waren.

Welche Bedeutung hat Ihrer Ansicht nach der Tourismus?

Er ist enorm wichtig für Niederbayern, weil man damit gerade die Regionen fördern kann, in denen Industrie- und Gewerbeansiedlungen nicht so möglich sind. Und mir war schon wichtig, dass nicht nur die westlichen Gebiete des Regierungsbezirks boomen – in denen das ja fast von selber läuft. Übrigens kann ich aus eigener Radtouren-Erfahrung sagen: Es lohnt sich, auf Radtourismus zu setzen! Tagsüber schinden sich die Radler, dafür geben sie abends dann richtig Geld aus!

Abgesehen von jener Radtour, die Sie mal „dienstlich“ mit Landrat Faltermeier absolviert haben – was waren die größten Herausforderungen Ihrer Amtszeit?

Sicherlich die beiden großen Hochwasser-Ereignisse! 2013 hatten wir ja ein flächendeckendes. Da haben wir eigentlich schon gezeigt, dass wir auch mit solchen Katastrophen klarkommen. Das diesjährige, mit Schwerpunkt im Raum Simbach, das sogar Todesopfer forderte, hätt’s wirklich nicht auch noch gebraucht… Die zweite Herausforderung war sicher die Zuwanderung. Die mir sogar eine Verlängerung beschert hat.

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Wir haben seit 2007 stetig steigende Zahlen von Asylsuchenden. Aber Jahre lang hat man das nicht ernst genug genommen. Als ich im Frühjahr 2015 in Ruhestand gehen wollte, hat mich der Innenminister gebeten, ein Jahr zu verlängern, wegen meiner Erfahrung in dem Thema – es hat sich ja durch meine gesamte Berufslaufbahn gezogen.

Hätten Sie abgelehnt, wenn Sie vorab die Dimension des Zuzugs 2015 gekannt hätten?

Nein, ich drücke mich nicht. Diese Aufgabe musste bewältigt werden.

Hat Ihr Verhältnis zu Niederbayerns Landräten dadurch gelitten?

Nein, wir sitzen ja in einem Boot. Bei einer Krisensitzung hat Dr. Faltermeier mal geschimpft, wie viel der Staat den Landräten aufbürde. Da habe ich ihm gesagt, ,Herr Landrat, Sie sind der Staat!’ Es sind ja die staatlichen Landratsämter, die die Unterbringung der Asylsuchenden übertragen bekamen. Aber sie waren zugegeben die Letzten in der Kette: praktisch ohne Druckmittel auf die Kommunen, Flüchtlinge aufzunehmen. Und da ist manchen kein Argument blöd genug als Begründung, warum gerade im eigenen Ort keine Unterbringung möglich ist… Man hat auch im Kreis Kelheim gesehen: Die einen Kommunen engagieren sich, die anderen halten sich dezent zurück. Auch jetzt noch, beim Wohnungsbau. Oft heißt es: ,Wer weiß, ob die Flüchtlinge überhaupt bleiben?’ – aber gemeint ist: ,Wer weiß, was unsere Bevölkerung dazu sagt!’

Dabei haben sich gerade für Flüchtlinge sehr viele Menschen ehrenamtlich engagiert.

Richtig, ohne Ehrenamt hätten wir das nicht so menschenwürdig hinbekommen! Wir haben für die Unterkünfte gesorgt – aber sie haben sich dann um die Ankömmlinge gekümmert. Allerdings wissen viele Ehrenamtliche zu wenig Bescheid über das Asylsystem: dass es völlig egal ist, ob jemand nett oder böse ist, schnell oder langsam Deutsch lernt, gut oder schlecht integriert ist. Bleiben darf einer dann, wenn ihm das BAMF [Bundesamt für Migration und Flüchtlinge] seine Flüchtlingsgeschichte abkauft. Da fehlt Ehrenamtlichen manchmal die professionelle Distanz.

Es leuchtet doch ein, wenn es Ehrenamtliche frustriert, dass sie sich erst um die Integration von Flüchtlingen kümmern, und dann sollen diese wieder abgeschoben werden.

Das liegt daran, dass wir uns still und leise vom Prinzip „Integration erst nach Anerkennung“ verabschiedet haben und jetzt nach ,Bleibewahrscheinlichkeit’ differenzieren. Grund dafür ist, dass unser Asylsystem kollabiert ist – es funktioniert überhaupt nicht mehr! Die einen, zum Beispiel Syrer, werden unglaublich schnell anerkannt. Die anderen sitzen im System fest, ihre Fälle werden überhaupt nicht mehr bearbeitet. Das BAMF ist mit 800.000 Fällen im Rückstand; allein dafür wären dreieinhalb Jahre nötig. Vor diesem Hintergrund war es, zum Beispiel von der Bundesagentur für Arbeit, schon völlig richtig zu sagen: So lange kann man die Leute nicht untätig rumsitzen lassen und deren Lebenszeit vergeuden – man muss sie anfangen, sie zu integrieren.

Funktioniert das?

Wir machen es überperfekt, mit so hohen Anforderungen an Know-how, Zertifizierungen, Techniken – das ist bei der Menge an Menschen nicht zu schaffen. Entscheidend ist doch, dass jemand irgendwann sagt: Ja, das ist meine Gesellschaft, da gehöre ich dazu. Dafür sind Dinge wie Sprache, Arbeit nur Hilfsfaktoren. Als erstes ist es eine Herzenssache jedes Einzelnen. Und es hängt davon ab, wie wir als Gesellschaft mit ihm umgehen. Machen wir uns nichts vor: Die Unterbringung der Flüchtlinge war Pipifax im Vergleich zur Integrationsaufgabe!

Wie definieren Sie diese Aufgabe?

Wir müssen erreichen, dass sich Einheimische und Neue auf Dauer als eine Gesellschaft verstehen, in der man sicher nicht konfliktfrei, aber friedlich miteinander lebt. Aber wir sehen durch die Integrationsproblematik ja gerade, wie wenig stabil unser eigenes Wertesystem ist; dass wir selbst zu wenig dran glauben und es zu wenig leben…

„Regierungspräsident ist ein ganz unbeschreiblicher Job – weil es eben kein ,Job’ ist. Man hat es mit extrem schwierigen Fällen aus allen nur denkbaren Bereichen zu tun – wir hatten sogar mal die Frage zu klären, wie kauft man ein Grundstück auf dem Mond?“

Sind Sie froh, dass Sie für derlei Probleme nun nicht mehr „dienstlich“ zuständig sind?

Hm… Regierungspräsident ist schon ein unbeschreiblich schöner Job – weil es eben kein ,Job’ ist. Aber man darf nicht zwischen Dienst und Freizeit unterscheiden, nicht bei diesen Dienst-Zeiten! Darum freue ich mich schon, dass mein Leben jetzt wieder etwas ,normaler’ wird. Zum Beispiel Konzertkarten zu kaufen mit der Aussicht, tatsächlich Zeit dafür zu haben. Oder mal wieder einzukaufen. Es gab Tage, da standen meine Frau – beruflich auch viel unterwegs – und ich vorm leeren Kühlschrank, weil keiner Zeit hatte was einzukaufen.

Infos über den Nachfolger von Heinz Grunwald lesen Sie hier!