Freizeit
Besuch im „coolsten Museum ever“

Der „turmdersinne“ hält selbst kritischen Testern wie Schulklassen stand und verblüfft sie mit optischen Täuschungen.

30.10.2015 | Stand 16.09.2023, 6:55 Uhr
Thomas Tijang
„turmdersinne“-Leiterin Claudia Gorr (r.) demonstriert mit einer Kollegin den Ames-Raum, dessen verzerrte Wände optische Täuschungen hervorzurufen. −Foto: Tjiang

Für Museen aller Art gibt es einen untrüglichen Härtetest. Wenn Jugendliche mit der Schule einen Klassenausflug machen, wird schnell klar, ob ein Museum fesseln und begeistern kann – oder nicht. Dieses Phänomen kennt auch die Leiterin des Nürnberger Museums „turmdersinne“ im Spittlertorgraben/Ecke Mohrengasse, Claudia Gorr. „Die Schüler kommen erst einmal mit langen Gesichtern“, weiß sie aus eigener Erfahrung. Doch schon bei der ersten Station, dem Ames-Raum, ist das Eis schnell gebrochen.

Dort erscheinen für den Betrachter durch die besondere Raumgestaltung die Personen in der linken Raumhälfte als überdimensioniert riesig. Auf der rechten Seite schrumpfen die Besucher optisch auf Zwergengröße. Dann geht es die Treppe im alten Stadtmauerturm hoch. Im zweiten Stock findet sich das blau-schwarze Kleid, dass in diesem Jahr als „#thedress“ für Furore in den sozialen Netzwerken gesorgt hat. Es ging um die Frage: weiß-gold oder blau-schwarz? Es sind Objekte wie diese, die am Ende für viel Lob auch von Jugendlichen sorgen. Im Gästebuch finden sich krakelige Schülereinträge wie „das coolste Museum ever“.

Ein Museum zum Hand anlegen

„Der ,turmdersinne’ ist ein interaktives Hands-on-Museum“, führt Gorr weiter aus. Alle Objekte sollen angefasst und ausprobiert werden. Anders als „in Büchern oder Vorträgen lässt sich die eigene Wahrnehmung hier aktiv erleben“. Und tatsächlich geht man von Station zu Station, von Stockwerk zu Stockwerk und staunt über Täuschungen, die der menschlichen Wahrnehmung ein Schnippchen schlagen. Das hat für Gorr Konzept: „Staunen ist die beste Motivation, sich mit etwas näher zu beschäftigen.“

Mit dem klaren Fokus auf die sinnliche Wahrnehmung ist das Museum „nicht nur in Bayern, sondern bundesweit einmalig“, sagt Gorr nicht ohne Stolz. Denn der Trägerverein muss „quasi ohne städtische Mittel“ zurechtkommen. Das Geld ist knapp, dass Engagement hoch und die Angebote können sich sehen lassen. „Letztlich geht es um Erkenntnisphilosophie, mit der man sich im Museum spaßig und spielerisch auseinandersetzen kann.“

Riechen, Sehen, Schmecken, Hören, Fühlen und das Gleichgewicht – alle Sinne werden in dem historischen Gemäuer angesprochen und getäuscht. An der Gleichgewichtswand im fünften Stock soll man sich auf ein Bein stellen und auf eine gestreifte Wand schauen. Wird diese Wand verschoben, verliert man automatisch das Gleichgewicht, weil das Gehirn die räumliche Orientierung verliert.

Oder die Zeichnung von einem langgestreckten und einem fast rechteckigen Tisch. Die Besucher sollen klären, welcher Tisch größer ist. Zur Überprüfung gibt es eine Schablone, die man auf die Tischflächen halten kann. Das verblüffende Ergebnis: Sie sind nicht nur gleichgroß, sondern nachweislich deckungsgleich, obwohl auch beim nochmaligen Betrachten das Gehirn eine andere Botschaft sendet. „Es zeigt uns, dass wir Dinge sehen und wahrnehmen, obwohl sie in Wirklichkeit gar nicht so sind.“

Einen ähnlichen Streich spielt das Bewusstsein der Besucher bei einem schwarz-weiß-Foto, dass eigentlich nur helle und dunkle Flecken zeigt. Ein sinnvolles Objekt ist nicht zu erkennen. Als Gorr aber die Stichworte Alm und Glocke nennt, erscheint auf dem Bild plötzlich eine Kuh mit klaren Konturen. „Versuchen Sie jetzt einmal, den ursprünglichen Bildeindruck wieder zu gewärtigen – das funktioniert nicht mehr.“ Das Gehirn hält an der Zusatzinformation – und damit der Kuh – fest.

Aus Gitternetz werden Blumen

Sehenswert ist auch die aktuelle Sonderausstellung des Nürnberger Künstlers Peter Kampehl. Unter der Überschrift „Punkt, Linie, Strich ...Fertig ist die Illusion!“ sind Bilder zu sehen, auf denen sich nur Punkt-Linien-Kompositionen finden. Zu den Wahrnehmungsphänomenen gehört auch, dass es beim Betrachten schwerfällt, nur die Punkte und Linien zu sehen. „Das Gehirn sucht nach sinnvollen Strukturen und Figuren.“ In der Tat erscheinen so auf einem Kampehl-Bild runde Blumenformen, obwohl objektiv nur ein Gitternetz gemalt ist.

Gorr Lieblingsstation findet sich ebenfalls im fünften Stock. Dort kann man mit einem Ball durch einen zwei Meter entfernten Kreis werfen. Hat man sich gut eingeworfen, kann man sich eine schief geschliffene Brille vor Augen halten. Nach einigen Fehlversuchen, die zu weit nach rechts gehen, korrigiert das Gehirn die Wurfrichtung – man trifft wieder. Nimmt man die Brille allerdings wieder weg, wirft man zu weit nach links. „Das Gehirn muss sich erst wieder umstellen.“ Ein weiteres schönes Beispiel, wie sich die menschlichen Sinne täuschen lassen und ein Grund, den „turmdersinne“ zu besuchen.