Wirtschaft
Hotel Victoria steht seit 120 Jahren

Es ist abgebrannt, wurde wieder aufgebaut, trotzt der Konkurrenz: Sabine Powels führt das Erbe ihres Urgroßvaters weiter.

24.07.2016 | Stand 16.09.2023, 6:46 Uhr
Das Hotel Victoria befindet sich im Herzen der Nürnberger Altstadt in der Königstraße. −Foto: Tjiang

Tradition kann ein Segen sein, es gibt aber auch manche Nachteile. Davon kann die Direktorin des Nürnberger Traditionshotels Victoria, Sabine Powels, ein Lied singen. Vor rund 100 Jahren hatte ihr Urgroßvater das Hotel übernommen, das 1896 direkt neben dem historischen Königstorturm mit seinem heutigen Handwerkerhof eröffnet worden war. Die nach dem Krieg wiederaufgebaute Herberge hat baulich so ihre Tücken – das verwinkelte Gebäude steht unter Bestandsschutz, „allein in den Brandschutz musste viel Geld investiert werden“, erzählt Powels im Gespräch mit unserer Zeitung.

Doch die Geschäftsführerin, die nach dem Studium vor 20 Jahren das Victoria übernahm, macht ihren Job nach wie vor mit Leidenschaft und Liebe: „Ich habe bisher keinen Tag bereut“. Dabei gilt die Hotellerie-Branche grundsätzlich alles andere als vergnügungssteuerpflichtig. Man muss arbeiten, wenn andere Feierabend oder Feiertag haben, und oft werden die Verdienste als eher mäßig beklagt.

Neue Hotels rund um den Bahnhof

Hinzu kommt gerade in der Messe- und Touristenstadt Nürnberg eine wachsende Konkurrenz – gerade rund um den Hauptbahnhof. Zuletzt wurde das ehemalige American Bavarian Hotel zum Park Plaza umgebaut, in derehemaligen Hauptpost sollen in einen geplanten Neubau noch einmal zwei Hotels einziehen.

Die Chefin positioniert ihr Familienhotel deshalb bewusst als Haus „mit Atmosphäre, persönlichem Service und Herzlichkeit“. Einerseits hat sie das Haus grundlegend renoviert, erweitert und in die 4-Sterne-Kategorie geführt. Andererseits hat sie eine Mannschaft nach ihren Vorstellungen aufgebaut.

Bei ihrem Einstieg in die Hotelwelt hatte die damals 24-Jährige etwa mit einem Empfangschef zu kämpfen, der sich aufgeführt habe, als sei er der Inhaber, erzählt Sabine Powels. „Da gab es einen Bruch.“ Sie scheint das richtige Händchen zu haben: „Mitarbeiter meiner ersten Stunde sind immer noch dabei“.

Die „Victorianer“ halten zusammen

Ihr Erfolgsrezept: „Freude am Beruf, nicht das Monetäre, ist entscheidend.“ Das sagen viele Chefs, doch Powels scheint es ernst zu meinen. Wer einmal bei ihr gearbeitet habe, wolle „Victorianer“ bleiben. So etwa ein Mitarbeiter aus Indien, der nach einem Jahr in Deutschland bei ihr eine Ausbildung absolvierte. Er macht zwar mittlerweile etwas anderes, aber für Dienste am Wochenende oder Heilig Abend steht er immer noch gerne zur Verfügung. Eine Italienerin wollte vor zwölf Jahren eigentlich nur ein Sprachpraktikum im Hotel machen – blieb hängen und ist immer noch im Haus.

So wie sie Mitarbeiter an ihr Hotel binden kann, schafft Powels es auch mit den Gästen. „Es kommt nur der Gast zu uns, der zu uns passt“, ist sie sich sicher. Zwar gebe es immer mal Beschwerden, „das lässt sich aber immer lösen“. Umgekehrt werde aber auch explizit gelobt, was sie mit dem persönlichen Ton im Haus begründet.

Lob allein reicht aber nicht: Liegen die Zimmerbelegung, der Umsatz pro Gast, eigene Qualitäts-Kennzahlen und auch Online-Bewertungen auf Kurs, erhalten die Mitarbeiter eine monatliche Prämie. Dieser Bonus ist für alle Mitarbeiter gleich, um das Zusammenwirken von Vertrieb und Rezeption, Housekeeping, Küche und Service zu stärken. Mit ihrer Personalpolitik konnte Powels ihr Haus unbeschadet durch die Krisenjahre 2007 und 2008 führen, die Auslastung kletterte in den vergangenen zehn Jahren von 65 auf 85 Prozent.

Wissenschaftler an ihrer Seite

Seit gut zwei Jahren arbeitet Powels mit Dr. Colin Roth vom Nürnberger Uni-Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie zusammen, der zugleich mit seiner Beratung „BlackBox/Open“ Unternehmen unterstützt. „Die wichtigste Ressource ist der motivierte Mitarbeiter“, weiß er aus seiner wissenschaftlichen Arbeit. Sind Unternehmenswerte und persönliche Werte in Einklang, komme es zum „Job crafting“, wie es bei den Wirtschaftspsychologen heißt. Dann gestalten Beschäftigte ihre Aufgaben am Arbeitsplatz möglichst selbst.

Das entspricht Powels eigenem Führungsstil: „Ich will nicht immer Dreh- und Angelpunkt im Hotelbetrieb sein. Stattdessen sollte Verantwortung auf mehrere Köpfe verteilt werden.“ Am Anfang habe sie durchaus Kämpfe durchstehen müssen, um den Mitarbeitern klarzumachen, dass jeder für seinen Bereich Verantwortung trage. Um den Wandel „vom Mitarbeiter zum Mitdenker“ zu vollziehen, wurde sogar der Verbrauch von Reinigungsmitteln gemessen. Im Ergebnis sank der Bedarf nachweislich.

Diese Beteiligung der Mitarbeiter – Wissenschaftler Roth nennt es „work engagement“ – motiviert die 30 Mitarbeiter dazu, ihre persönlichen Ressourcen aktiv einzubringen, um die Arbeitsaufgaben zu lösen. Die Forschung geht sogar davon aus, dass die Arbeit an sich als motivierend empfunden wird. Am Ende eines Arbeitstages „kommt man nicht platt nach Hause“.

Jetzt führen Powels und Roth eine „Höhle des Löwen“ ein. Für das 120-jährige Jubiläum wurden Ideen gesammelt, jetzt soll vor Kollegen und Vorgesetzten die Machbarkeit gezeigt werden. Dafür gibt es kein Geld, als Belohnung darf jeder seine Idee umsetzten. So will die Hotelchefin das vor Traditionshaus auch im wachsenden Wettbewerb fit in die Zukunft führen.