Geschichte
Nürnbergs Blütezeit nach dem Krieg

Das Nürnberger Stadtarchiv präsentiert bislang unveröffentlichte Bilder aus der Nachkriegszeit. Dabei geht es besonders um den Wiederaufbau.

09.08.2017 | Stand 16.09.2023, 6:19 Uhr

Die Hälfte der Nürnberger hatte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kein Dach über dem Kopf. Fotos: Stadtarchiv Nürnberg

Käfer brausen über den Hauptmarkt. Das neue Rathaus an der Nordseite des Platzes ist schon fast fertig. Wir schreiben das Jahr 1955. Ein Jahrzehnt liegt das Ende des Zweiten Weltkrieges zurück. „Schon“, könnte man denken. „Erst“, würden wohl die sagen, die die unermessliche Zerstörung der Stadt mit eigenen Augen gesehen haben. In seiner Sommerausstellung erinnert das Stadtarchiv Nürnberg nun mit bislang unveröffentlichten Aufnahmen an die großen Leistungen des Wiederaufbaus.

Bomben zerstörten die Altstadt

Nürnberg war nach dem Krieg nicht mehr Nürnberg. Im Bombenhagel untergegangen war die Altstadt mit ihren Bürgerhäusern, Gassen, Kirchen und Plätzen. Nürnberg glich einer Trümmerwüste. Mehr als 90 Prozent aller Häuser waren ganz oder teilweise zerstört. Die Hälfte der Bevölkerung hatte kein Dach mehr über dem Kopf. Rund 40 Prozent der Bausubstanz war verloren, rund die Hälfte des Wohnraums ausgelöscht. Vor diesem Hintergrund sind die dreizehn Aufnahmen zu sehen, die das Stadtarchiv Nürnberg derzeit im Handwerkerhof präsentiert.

„Das Jahrzehnt zwischen 1950 und 1960 ist gekennzeichnet durch den Wiederaufbau der von den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs schwer gezeichneten Stadt“, erklärt Ruth Bach-Damaskinos, die Kuratorin der Schau, die bis zum 16. September im Forum des Handwerkerhofes zu sehen ist. Während es in den fünf Jahren nach der Niederlage ums Überleben ging, standen ab 1950 der Wieder- und Neuaufbau der Frankenmetropole im Mittelpunkt. Dabei sei es gelungen, die „unverwechselbare Physiognomie Nürnbergs mit den Erfordernissen einer modernen Großstadt in Einklang“ zu bringen, erklärt Bach-Damaskinos, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Stadtarchivs. So seien neben Wahrzeichen wie Kaiserburg und Stadtmauer beispielsweise auch die Kirchen, die Mauthalle oder das Albrecht-Dürer-Haus wieder aufgebaut worden.

An anderen Stellen wurden neue Gebäude errichtet. Die Bayerische Staatsbank entstand beispielsweise am Lorenzer Platz. Das Plärrer-Hochhaus wuchs in diesem Jahrzehnt des Wiederaufbaus ebenfalls in den Himmel. Entlang des Laufertor-, Marientor- und Königstorgrabens wurden die für die 50er-Jahre typischen Versicherungs- und Bürohäuser mit ihren Rasterfassaden hochgezogen. In den Vorstädten aber auch in der Innenstadt war die Schaffung von Wohnraum eine dringende Aufgabe. Im Südosten von Nürnberg wuchs mit Langwasser sogar ein neuer Stadtteil empor. Mit Hilfe staatlicher Programme und dem Geld aus dem amerikanischen „Marshall-Plan“ seien zwischen 1945 und März 1955 allein mehr als 43 000 neue Wohnungen entstanden, hat der Nürnberger Historiker, Matthias Klaus Braun, in einem Beitrag zum „Wiederaufbau in Nürnberg“ erklärt.

Teilweise sei dabei wegweisende moderne Architektur entstanden, ist sich Bach-Damaskinos sicher. Die modernen Nachkriegsbauten aus der Ära des Wiederaufbaus sind heute freilich manchen ein Dorn im Auge. Das neue Pellerhaus am Egidienberg, das auf den Ruinen des alten Pellerhauses errichtet wurde, steht seit Jahren in der Kritik. Einige würden den nüchternen Nachkriegsbau lieber durch eine Rekonstruktion des historischen Prachtbaus ersetzen.

Signal für den Aufbruch

Damals galten die Neubauten den Menschen freilich wohl eher als Signal für eine positive Zukunft. Auf vielen Aufnahmen glaubt man so etwas wie Lebensfreude in den Gesichtern der Menschen wiederzuerkennen. Der Bevölkerung muss das Jahrzehnt des Wirtschaftswunders wahrhaftig wie ein Wunder vorgekommen sein. „Die für diese Ausstellung größtenteils erstmals zusammengestellten Fotografien machen das Nebeneinander von Tradition und Moderne sowie das mit dem Wirtschaftsaufschwung rasch einhergehende neue Lebensgefühl der Stadtbevölkerung deutlich“, erklärt Bach-Damaskinos.

13 bislang unveröffentlichte Aufnahmen sind zu sehen. Entstanden sind sie im Auftrag der städtischen Bauverwaltung, die seit den 1890er-Jahren Aufnahmen zur Dokumentation des Baugeschehens veranlasste. Auf vielen Bilder wird der Alltag der Menschen von 1945 bis 1960 anschaulich wiedergegeben – wer will, kann sogar eine Aufbruchstimmung erkennen.