Geschichte
Das Bockerl veränderte das Labertal

1968 wurde die Personenbeförderung der Allinger Linie eingestellt. Sie prägte fast 100 Jahre lang die Entwicklung der Region.

27.01.2018 | Stand 16.09.2023, 6:11 Uhr

Das Bockerl im Bahnhof Alling: Vor der Festlegung der endgültigen Trasse gab es Überlegungen, die für das Labertal schwere Konsequenzen gehabt hätten. Foto: Archiv Waeber

1968 ging dem Allinger Bockerl der Dampf aus. Die Personenbeförderung wurde eingestellt. Erinnerungen an den „Suppenzug“ und die kleinste Nebenbahn Bayerns lassen Emotionen aufleben. Die Entstehungsgeschichte dieser Bahnlinie war im Wesentlichen durch drei Elemente geprägt: den Bau der Eisenbahnlinie Regensburg-Ingolstadt, die Zugverbindung nach Nürnberg und den damaligen Industriestandort im Labertal.

Die spannende Geschichte begann Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Eisenbahneuphorie auf Bayern überschwappte. Wer heute mit dem Auto, dem Rad oder auf Schusters Rappen durch das Tal der schwarzen Laber kommt, stößt nur noch vereinzelt auf Relikte einer immensen industriellen Vergangenheit, wie die Poschenrieder Mühle in Bruckdorf. Dabei stand das liebliche Tal vor rund 160 Jahren vor der Zerstörung. Im Dunstkreis der Regensburger Finanzwelt beherbergte es in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Flut industrieller Betriebe, nicht zuletzt wegen der billigen Wasserkraft des Flusses.

Fabriken und Mühlen entstanden

In Bruckdorf standen zwei Kunstmühlen. Eine davon war die Poschenrieder Mühle, die sich seit 1809 in Familienbesitz befindet. Die Winkler Mühle wurde 1830 mit einer Ölstampfe ausgerüstet und diente ab 1850 der Firma Dehling und Hartmann als Öl- und Mehlmühle. Ergänzt wurden die industriellen Tätigkeiten durch Glasschleif- und Polierwerke. In Eichhofen entstanden neben der Brauerei eine Hammerschmiede, eine Getreidemühle, eine Schneidesäge und eine mechanische Werkstätte.

Der Transport war ein Problem

Das Frachtaufkommen wurde ergänzt durch die Holzindustrie aus dem Frauenforst und den Wäldern des Baron von Zuylen sowie den Früchten der Landwirtschaft. Die Erzeugung von Mehl, Steinfarben, Ocker, Tabak, Öl, Papier, Glas, Bier, Ziegelei- und Holzprodukten hatte nur einen Nachteil. Die Produkte mussten in die Stadt befördert werden. So war ein Großteil der Bäcker in der Stadt von den Mehllieferungen aus dem Labertal angewiesen, berichtet Josef Dollhofer in einem Sammelband für Nebenbahnen. Schon damals sei es grotesk gewesen, dass bei diesem Frachtaufkommen eine Brücke fehlte (damals gab es noch keine Eisenbahnbrücke in Mariaort oder Kleinprüfening). So bildeten die beiden Fähren in Sinzing und Kleinprüfening das Nadelöhr der Versorgung der Stadt. Zwar war die Fähre in Sinzing die größte zwischen Ulm und Linz, aber aufgrund von Witterungseinflüssen wie Eis und Hochwasser nie wirklich zuverlässig. „Der Wunsch nach einer Brücke ist so alt, wie die Verkehrsbeziehungen zwischen Stadt und Labertal“, weiß Dollhofer.

Durch das Labertal nach Nürnberg

Die Bahnverbindung nach Nürnberg führte damals noch mit einem gewaltigen Umweg über Amberg. Neben zusätzlichen Problemen der Streckenführung stieß die Strecke an ihre Belastungsgrenzen.

So entstand im Rahmen der Planungen einer kürzeren Bahnverbindung von Regensburg nach Nürnberg im Konsortium der Labertal Industriellen die heute absurd wirkende Idee, ein Gleis durch das Labertal gen Nürnberg zu verlegen. 1865/66 wurden deshalb Terrainuntersuchungen durchgeführt und 1866 der Plan vorgestellt. Die Linie sollte vom Ostbahnhof über die Donau zum Bahnhof Sinzing und von dort ins Labertal führen. Drei Tunnels, 14 Brücken waren für die Durchgangsstrecke der Linie nach Nürnberg im Labertal geplant.

Alternative Überlegungen waren ein Durchbruch von Dechbetten zur Donau und eine Brücke nahe Sinzing.

Parallel gab es auch die Überlegung, die Linie über das Altmühltal zu führen. Ausgangspunkt sollte Geiselhöring sein, das damals zum Schrecken der Regensburger als Schnittstelle der Bahnlinien erkoren wurde. Die Planung wurde aber schnell verworfen.

Die Ideallinie über Etterzhausen

Auf der Suche nach der Ideallinie fiel letztendlich die Entscheidung einer Direktlinie über Etterzhausen, die dann auch zum Bau der Eisenbahnbrücke in Mariaort führte. Hier fiel eine weitere, bis in die heutige Zeit nachwirkende Entscheidung. Im Rahmen der Planung der Mariaorter Brücke sollte der Wunschtraum nach einer Straßenbrücke erfüllt werden. Nach einer in der Stadt geborenen Idee sollte eine kombinierte Eisenbahn- und Straßenbrücke gebaut werden. Die Umsetzung scheiterte jedoch an der Befürchtung der BOB, ihr Frachtaufkommen würde dadurch zu stark reduziert.

Zeitgleich fanden jedoch die Planungen für die Strecke Regensburg Ingolstadt statt, die das weitere Vorgehen maßgeblich beeinflussen sollten. Ursprünglich sollte die Bahnlinie bei Gundelshausen von der linken auf die rechte Seite des Donauufers wechseln und an Matting vorbei bis Großprüfening verlaufen. Diese Linie hätte durch Sprengungen zu starken Veränderungen des heutigen Max-Schultze-Steigs geführt und wegen Platzmangel auch den Betrieb der Sinzinger Fähre gefährdet.

Verschiedene zusätzliche topografische Anforderungen führten dann letztendlich 1871 zum Beschluss, die Trasse am linken Donauufer über Sinzing zu führen. Damit wurde der Bau der Eisenbahnbrücke bei Kleinprüfening notwendig und entfiel die Schleife einer Vizinalbahn ins Labertal über Mariaort. Der Bahnhof Sinzing gewann an Bedeutung. Die damalige Staatsbahnverwaltung hatte im Kampf um die Tonnagevergaben sogar die Anlage eines Hafens an der Labermündung und den Bahnhof als Umschlagplatz im Visier.

Die Vizinalbahn wird gebaut

Trotz der deutlich günstigeren Lösung über die neue Eisenbahnbrücke und ohne die Schleife über Mariaort stand der Bau der Vizinalbahn noch lange nicht fest, da die Staatsbahn kein Interesse zeigte. Zum einen habe die kurze Strecke für den öffentlichen Verkehr keine Bedeutung, zum anderen riet der eigene Betriebsrat aus wirtschaftlichen Gründen vom Bau dieses „Wurmfortsatzes“ der Donaubahn ab. Zu verdanken war die Realisierung am Ende den beiden Hauptinteressenten, Papierfabrik und Ölmühle, durch deren finanzielle Zugeständnisse erst am 27. Juli 1874 die gesetzliche Hürde genommen werden konnte.

Bereits am 2. September erhielt Bauunternehmer Franz Xaver Gräßmann aus Reinhausen den Zuschlag zum Bau. Am 9. September folgte der Spatenstich. Der Optimismus der Baufirma, die mit 200 Arbeitern und schwerem Gerät anrückte, war jedoch verfrüht, wie die parallel laufenden Grundstücksverhandlungen und überzogene Preisforderungen bewiesen sollten. Renitente Grundstücksbesitzer erzwangen Ende September 1874 die Einstellung der Arbeiten. Die Bewohner des Labertales machten es den Bauarbeitern nicht leicht, berichtet Dollhofer.

Bösartige Auseinandersetzungen

Die Auseinandersetzungen nahmen einen bösartigen Charakter an, die etwa 200 Bahnarbeiter wurden geschnitten und bekamen nur Quartiere zu weit überhöhten Mieten. Die Auseinandersetzung führte am Ende sogar zur Insolvenz der Baufirma Gräßmann. Erst im Januar 1875 konnte weitergebaut werden. Der Bau mehrerer Einrichtungen für den Bahnbetrieb führte aufgrund der hohen Kosten im Februar zu weiteren Irritationen. Zur Vermeidung dieser Kosten gab es von den beiden Industriellen sogar den Vorschlag, die Bahn auf eigene Rechnung mit Pferden zu betreiben. Doch Sachzwänge und Vernunft führten doch zur Fortsetzung der Baumaßnahmen. Am 20. Dezember 1875 war es dann soweit: Der Reise- und Güterverkehr wurde aufgenommen.

Weitere Nachrichten und Berichte aus dem Landkreis Regensburg lesen Sie hier.