Wohnungsbau
Der Wieland-Hof wird abgerissen

Bagger machen den historischen Gutshof mit ehemaliger Gaststätte in Obertraubling dem Erdboden gleich. An seiner Stelle entstehen vier große Blöcke.

23.08.2013 | Stand 16.09.2023, 7:23 Uhr
Karl Matok

Der Wielandhof im Zentrum von Obertraubling wird derzeit mit dem Bagger dem Erdboden gleich gemacht. Hier entstehen vier große Blöcke mit Wohnungen und Gewerberäumen. Foto: Matok

Welch eine gravierende und gewaltige Veränderung erfährt derzeit der Innerortsbereich von Obertraubling? Den Bürgern, vor allem den Alteingesessenen, bietet sich ein trostloses Bild beim Abriss des aus dem 12. Jahrhundert stammenden Kreuzhofs bei der Kirche, besser bekannt als „Wielandhof“.

Seit Anfang August ist der Baggerführer Franz Wiedenhofer von der Abrissfirma Hess aus Hemau dabei, den gesamten Wieland-Gutshof mit großer Scheune, Stallung mit Granitsäulen und böhmischen Gewölben sowie dem Wohngebäude mit Gaststätte dem Erdboden gleichzumachen. Der Hof stand nicht unter Denkmalschutz.

Die Wohn- und Gewerbebau-Firma La Brique aus Tegernheim errichtet auf dem 6000 Quadratmeter großen, zentral gelegenen Areal vier große dreistöckige Gebäude mit Tiefgaragen im Werte von 6.5 Millionen Euro. In den Wohnhäusern bzw. Wohnblöcken sind 63 Wohneinheiten und sechs Läden oder Praxen an der Regensburger Straße und Kreuzhofstraße für eine gewerbliche Nutzung geplant. Ein Großteil der Wohnungen soll laut Gemeinde-Geschäftsführer Reinhard Kilian so gebaut werden, dass sie auch von älteren Menschen optimal genutzt werden können.

Der Gemeinderat gab grünes Licht

Der Gemeinderat mit Bürgermeister Alfons Lang hat sich bereits seit 2010 mehrmals mit dem innerörtlichen Dorfkern befasst und gab im Dezember 2012 grünes Licht. Nachdem auch die Baubehörde des Landratsamts nichts dagegen hatte, erhielt der Investor die Zustimmung. Das Todesurteil zum Abriss der fast 800 Jahre alten Hofstelle war damit gefallen.

Somit verändert das derzeit 4264 Einwohner zählende aufstrebende, früher landwirtschaftlich geprägte Dorf Obertraubling mit seiner in der Dorfmitte stehenden imposanten Kirche auf alle Zeiten hinaus sein Gesicht und leistet eine Vorarbeit für eine spätere Eingemeindung nach Regensburg, so MdB a.D. Benno Zierer. Die Mitte des Dorfs geht verloren, so der frühere Bundestagsabgeordnete.

Seit 5000 vor Christus besiedelt

Im Obertraublinger Bereich lebten spätestens seit 5000 vor Christus Menschen. Dies beweisen Funde gut erhaltener verzierter steinzeitlicher Gefäße. In einer Carta der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts kam es zwischen dem Regensburger Bischof Baturich (817 bis 847) und dem Adeligen Maurentius zu einem beurkundeten Landtausch und so zur ersten urkundlichen Erwähnung Obertraublings. Der Name geht auf das Adelsgeschlecht der „Traublinger“ zurück, die im 11. Jahrhundert die Grundherrschaft ausübten. Später waren noch die „Weichser“, die „Nothaft“, die „Auer“ und die „Lerchenfelder“ die Grundherren.

Erste Erwähnungen Obertraublings finden sich im ältesten Urbarium des Herzogtums Bayern aus dem Jahre 1240. Dort wird berichtet, dass 1294 Friedrich der Auer vier Urhöfe der herzoglichen Vogtei Traubling besitzt. Diese Höfe, darunter auch der Wielandhof, waren schon damals Eigentum des Frauenstifts Obermünster und des Dominikanerinnen-Klosters Hl. Kreuz in Regensburg.

In Herzogsurkunde erwähnt

Weitere Spuren des Hofs finden sich 1310 wegen eines Zehent (Abgabe von Nahrungsmitteln) von Obermünster und 1318 in einer Herzogsurkunde, in der dem Adeligen Friedrich Auer die Vogtei in Traubling überlassen wird. Da er zwei Klosterhöfe in Traubling zu Lehen hatte, ist anzunehmen, dass die herzogliche Vogtei ihren Sitz im burgähnlichen Hauptgebäude der Hofmark hatte. Ab 1318 tritt nur noch das Kloster Hl. Kreuz als Grundherr der Traublinger Höfe auf, die in der Hofmark, auch Kirchhof genannt, bis 1595 zusammengefasst waren.

Als besonderes Ereignis ist im Jahr 1537 zu bemerken, dass Albrecht Altdorfer, der große Maler und Regensburger Bürger, kurz vor seinem Tod einen Hof des Hl. Kreuz-Klosters in Obertraubling zu Lehen nahm. Der Kreuzhof heißt in den Urkunden meist „der Hof nächst der Kirchen“, bisweilen auch der Kirchhof (1537) oder er wird nach einem besonders zuverlässigen Lehensträger, dessen Familie mehrere Generationen auf dem Hof saß, wie z. B. der Schererhof genannt. Den Namen „Kreuzhof“ haben ihm erst viel später die Obertraublinger Bürger gegeben.

Auf dem Kreuzhof erlosch alles Leben

Im zweiten Teil des Dreißigjährigen Kriegs, von etwa 1632 bis 1648 und auch noch später erlosch alles Leben auf dem Kreuzhof. Viele Höfe gingen in Flammen auf. Die Pest besiegelte zudem das furchtbare Kriegselend. Alle Urkunden schweigen, in den Salbüchern des Klosters Hl. Kreuz sind die Seiten leer, es heißt nur „liegt öd“.

In einer Urkunde vom Dezember 1677 ersucht die Priorin des Klosters Hl. Kreuz, die Äbtissin von Obermünster, sowohl die Hofmark in Obertraubling, der Scherer- oder Kirchhof genannt, der im Krieg ganz zerstört wurde, dem Richter des Klosters Hl. Kreuz, Valentin Fleischhäcker, zum Lehen zu geben. Die Menschenleere und Armut, die der große Krieg verursacht hatte, hielten auch 1684, 1694 und 1717 immer noch an. Der Kreuzhof blieb auch nach 1803 noch Eigentum des Dominikanerinnen-Klosters Hl. Kreuz, da der Fürstprimas und Erzbischof Karl von Dalberg, der 1802 bis 1810 in Regensburg regierte, die Säkularisation des Klosters verhinderte. Erst 1839 wurden die Steuern, die der königlich bayerische Staat auf die Hofmark legte, für das Kloster so bedrückend, dass der damals 75 Hektar große Kreuzhof an den Grafen von Lerchenfeld in Köfering verkauft werden musste.

Erstmals 1438 in einer Urkunde erwähnt

Der Kreuzhof und die dazugehörende Tafernwirtschaft (Gaststätte), erstmals 1438 in einer Urkunde des Klosters erwähnt, wurden nach dem Verkauf zuerst an Franz Bindl aus Pfatter (1785 bis 1868) verpachtet. Mit dem Hof war auch eine Fleischhauer- und Bäckereigerechtsame, ferner ein Ziegel- und Kalkbrennrecht verbunden. Bei Franz Bindl kehrte 1850 der Dichter Eduard Mörike mit seiner Braut Margarethe von Speeth ein. Biendls Nachfolger auf dem Kreuzhof waren Nikolaus Lang (1843 bis 1929) und Alois Stangl aus Moosham (1855 bis 1917). Als Pächter der Wirtschaft ist 1873 ein gewisser Laumer verzeichnet.

Nach Stangls Tod nahm Graf Otto von Lerchenfeld (1869 bis 1938) den Hof in Eigenbewirtschaftung. Er berief 1919 Josef Wieland senior, der bisher das gräfliche Gut in Gebelkofen bewirtschaftet hatte, als Verwalter auf den Hof nach Obertraubling. Nach 13-jähriger vorbildlicher Bewirtschaftung durch Wieland verkaufte Graf Otto den Kreuzhof 1932 an den Nürnberger Kaufmann Schwegler. Josef Wieland wurde dessen Pächter. 1941 bis 1945 wirkte Wieland als Bürgermeister von Obertraubling. Er starb 1952.

1953 den Resthof erworben

Sohn Josef Wieland, 1914 im Schloss Gebelkofen geboren, erwirbt 1953 den Resthof von der Bayerischen Landessiedlung, die den Kreuzhof zuvor von Schwegler erworben hatte. 1977 musste Wieland einen Großteil fruchtbares Ackerland zur Ansiedlung von BMW auf den Hartinger Fluren abgeben. Der ehemalige „Oberpfälzer Patron der Bauernführer“, der mit Ministerpräsident Franz-Joseph Strauß und vielen Landwirtschaftsministern per „Du“ war, kaufte und pachtete danach viele Grundstücke an, so dass der Hof 2007 noch 120 Hektar hatte.

Josef Wieland, ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, der Bayerischen Verdienstmedaille und der Verdienstmedaille der Gemeinde, verstarb mit 94 Jahren am 1. Juni 2008. Letztes Verwalter-Ehepaar auf dem Hof waren Johann und Anna Semmler, die dem Chef 22 Jahre lang zur Seite standen, ebenso der unvergessene gute Melker Gerhard Tillner im Stall.

Die Gaststätte war eins Mittelpunkt

Viele alteingesessene Obertraublinger Bürger wundern sich dieser Tage beim Zuschauen der Abrissarbeiten und verstehen nicht, dass dieser Traditionshof nicht erhalten wurde. Die Gemeinde hätte das Grundstück im Vorverkaufsrecht für ein Gemeindezentrum erwerben müssen, so der Tenor der verärgerten Bürger.

Die „Wieland-Gaststätte“ war über Jahrhunderte der kommunale und gesellschaftliche Mittelpunkt des Dorfs. In ihr wurden Gerichtstermine, Beurkundungen, Gemeinderatssitzungen und Versammlungen abgehalten und beim gemütlichen Frühschoppen über tägliche Dinge des Lebens diskutiert. Zahlreiche Wirte als Pächter der Traditionsgaststätte, wie ein gewisser Laumer im Jahr 1873 oder die legendären Wirte Eduard Kulzer, Adolf Polierer, Hedwig Hasenöhrl, Jugoslawe Jozo Bilic und Johanna Dorfner gaben dem 90-jährigen Trachtenverein „Holzhacker“, dem 123-jährigen Krieger-, Soldaten- und Reservistenverein sowie weiteren Vereinen und Organisatoren eine Herberge.

Viele Bälle und Theaterabende

Unzählige Faschingsbälle, Tanzveranstaltungen, Theaterabende, Hochzeiten, Leichenfeiern und sonstige Veranstaltungen fanden im Saal statt, bis am 20. August 2001 die Gaststätte für immer ihre Pforten schloss. Dies alles ist jetzt unwiderruflich Vergangenheit und gehört der Geschichte an. Der 6000 Quadratmeter große Wielandhof ist in ein paar Wochen ebenfalls Geschichte und kein Stein oder Denkmal wird auf diesen legendären Gutshof hindeuten, wie auf sechs weitere Bauernhöfe, die zuvor schon dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Die Aussage des Bayerischen Landesamts für Denkmalspflege, das vor 40 Jahren von der Gemeinde versäumt wurde, den schützenswerten Wielandhof in die Liste der Denkmäler aufzunehmen, entkräftete Altbürgermeister Leo Graß dahingehend, dass Josef Wieland und Bürgermeister dagegen waren. Konfrontiert mit entsprechenden Äußerungen von Bürgern gab Bürgermeister Alfons Lang der MZ an, dass der Gemeinderat wohl abgewogen habe, letztendlich aber vom Kauf der Immobilie Abstand nahm, da keine sinnvolle öffentliche Nutzung darstellbar war. Ortsmittelpunkt soll das derzeitige Rathaus bleiben, so Lang.

Nur ein Trümmerfeld übrig

Dem seit 30 Jahren tätigen Heimatpfleger Pius Detterbeck überkommt Wehmut, wenn man sieht, was von einem stattlichen Bauernhof für ein Trümmerfeld übrig bleibt. Von 1953 bis 1959 verbrachte Detterbeck seine Lehrzeit auf dem Gutshof und weiß viel über die Geschichte. Er habe alles dokumentiert und fotografisch für die Nachwelt festgehalten.

„Das Herz schmerzt einem, wenn man sieht, dass alles aus ist“, sagte der letzte Verwalter Johann Semmler beim Aufriss des großen Stadels und muss gehen. Er könnte viel dazu sagen, will aber nichts mehr aufwärmen. „Es ist eh zu spät“, so der gelernte Landwirt zur MZ.

Zur Entwicklung des Hofgeländes

Rechtsanwalt Alexander Wieland, Erbe des Hofs, verkaufte 2012 schließlich die 6000 Quadratmeter große Hoffläche und 60 Hektar Ackerland.

Bebaut wird der Hofraum mit vier langgezogene Wohnkörpern in E+1+D Bauweise.

Der gesamte Hofraum wird für eine Tiefgarage unterkellert, dessen Ausfahrt in der Kreuzhofstraße liegt.

Obertraubling, so die aufgebrachten Bürger, ist kein Dorf mehr, es verändere zusehends sein Gesicht. Seine Identität und der dörfliche Charakter gingen verloren. Das Leben werde immer anonymer wie in der Stadt, so Karin Hoffmann.